Kulturkritik, Literatur und Politik: Ein Abend für „Sieben Nächte“
Nicht jede ästhetische Irritation ist emanzipativ: Auf der Bühne des Berliner Aufbauhauses diskutierten Autor*innen und ein Philosoph.
Das Feuilleton. Die Linke. Die Rechte. Die Literatur. Die Politik. Die Romantik. Das interessante Sprechen und Debattieren fängt immer erst an, wenn es gelingt, solche Allgemeinbegriffe hinter sich zu lassen und konkret zu werden.
Am Dienstagabend saßen der FAZ-Redakteur und Journalist Simon Strauß, die Schriftstellerinnen Nora Bossong und Julia Franck sowie der Philosoph Wolfram Eilenberger auf der dunklen Bühne des Berliner Aufbauhauses, um laut Ankündigung über Literatur und Politik zu reden, in Wahrheit aber natürlich über die kontroverse Debatte um Simon Strauß, die in der taz ihren Ausgang nahm, und gleich noch über das Gedicht „Avenidas“ von Eugen Gomringer.
Das war eine seltsame Konstellation. Weder saß jemand, der Simon Strauß eine Nähe zur Neuen Rechten vorgeworfen hatte, auf dem Podium noch jemand, der sich für die Abhängung des Gedichts von der Wand der Berliner Alice-Salomon-Hochschule eingesetzt hat. Aber immerhin rührte die Diskussion an Punkte, an denen es konkret wurde oder zumindest hätte werden können.
Beim „Avenidas“-Fall war das eindeutiger. Wolfram Eilenberger legte, rhetorisch beeindruckend, einen Rundumschlag vor gegen Identitätspolitik, die Hermeneutik des Verdachts und die Tendenz, jedes Kunstwerk auf Macht- und Opferverhältnisse abzuklopfen, da brachte Julia Franck die konkreten Aspekte ins Spiel.
Das Gedicht wurde hoch oben an der Wand einer Hochschule für Sozialpädagogik, die hauptsächlich von Frauen besucht wird, angebracht. Dass das Gedicht selbst für sie nicht sexistisch sei, machte Franck klar. Aber die Studentinnen der Hochschule könnten gar nicht anders, als die lyrischen Akteur*innen der „Frauen“, der „Blumen“ und des „Bewunderers“ als Kommentar auf sich zu beziehen.
Sehnsucht nach einem eigentlichen Sprechen
Das war ein deutlicher Hinweis darauf, in diesem Fall nicht gleich Dammbruch, Zensur oder Meinungsterror aus der Opferposition heraus zu vermuten und sich in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen, ob dieser Ort wirklich der richtige Platz für dieses Gedicht ist. Niemand will es ja ganz verbieten.
In Bezug auf Simon Strauß gab es am Dienstag wenigstens einen Moment, an dem so ein Hinweis auf die Umstände des Einzelfalls explizit fehlte. Wieder bleibt einem Wolfram Eilenberger als rhetorisch durchschlagskräftigster Podiumsteilnehmer im Gedächtnis.
In seiner Lesart hat Simon Strauß mit seinem Roman „Sieben Nächte“ das Risiko auf sich genommen, sich dem allgemeinen „Diktat der Ironie“ zu entziehen und die Sehnsucht nach einem eigentlichen Sprechen zu artikulieren – und dafür wurde er, so Eilenberger, unter ein „politisches Gestell“ gestellt, sprich in die Nähe der Neuen Rechten gerückt.
„Gemeinschaftsverlust als Selbstverlust“
Um alle Aspekte des Einzelfalls zu berücksichtigen, wäre schon gut gewesen, darauf hinzuweisen, dass es zuvor die Befürworter des Buches gewesen sind, die das reine Literaturspiel verlassen und das Buch als Ereignis gelesen haben. Es waren Florian Illies in der Zeit und Volker Weidermann im Spiegel (bevor er sich von Strauß wieder distanzierte), die den Roman in die Nähe eines Generationenmanifestes rückten. Das beschwerte das Buch sehr.
Und vor allem darf da auch jemand, der, so wie ich, die Anwürfe gegen Simon Strauß viel zu heftig fand, einmal nachfragen, ob es denn im Moment des Aufkommens der AfD gut und richtig ist, „Gemeinschaftsverlust als Selbstverlust“ darzustellen – eine Wendung, die Eilenberger auf die heroischen Erzähler des frühen 20. Jahrhunderts münzte, die man aber auch dem Erzähler der „Sieben Nächte“ unterstellen kann.
Simon Strauß selbst bezeichnete seinen Roman am Dienstag als „Suchanfrage“, wie man heutzutage ein Bewusstsein seiner selbst erlangen kann. Darüber ließe sich immer reden, auch über die Umwege, die es dazu braucht. Aber als Suchanfrage an sich selbst war das Buch eben nicht auf dem Markt, sondern als Repräsentant einer neuen Generation. Und in einem Punkt möchte man Nora Bossong, die Simon Strauß in der taz verteidigte und auf dem Podium hierin doch eine entscheidende Differenz zu ihm markierte, zustimmen: Nicht jede ästhetische Irritation ist gut im Sinne von emanzipativ, sagte sie sinngemäß. Erst wenn man diese Prämisse akzeptiert, wird man differenziert über die Einzelfälle sprechen können.
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