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KulturDer geile Bock

Eine Skulptur aus dem früheren Besitz des württembergischen Königshauses zeigt den Göttervater Jupiter, wie er im Begriff steht, sich über eine knackige Königstocher herzumachen. Ein Skandal?

Jupiter als lüsterner Ziegenbock . Foto: Joachim E. RöttgerZurück

Von DietrichHeißenbüttel↓

Lüstern blickt der bärtige Gesell auf die nahezu unbekleidete, schlafende junge Frau in seinem Arm: Ist das nicht ziemlich sexistisch? Aber ja! Und wie! Wie ein Großteil der europäischen Kunst von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert. Die Adligen – Männer! – delektierten sich an Darstellungen nackter Frauenkörper, die gerne schlafen durften, da konnte man sie in Ruhe ansehen. Die „Schlummernde Venus“ des Malers Giorgione in der Dresdner Gemäldegalerie ist das erste und berühmteste Beispiel.

Ein weiteres ist „Jupiter und Antiope“. Nach den verschiedenen Überlieferungen, unter anderem bei Homer und Ovid, sieht der Göttervater Jupiter die bildhübsche junge Tochter des Königs von Theben nicht nur lüstern an, sondern vergewaltigt sie. „Verführt“, heißt es zumeist in den Beschreibungen, oder auch: „Er überrascht sie im Schlaf“. Das Thema war beliebt.

Auch beim italienischen Bildhauer Francesco Pozzi, der die Szene als Marmorskulptur verewigte. Diese befand sich in der Westgrotte der Villa Berg im Stuttgarter Osten, bis sie der SWR 2010 versteigerte. Heute steht sie, in den Arkaden des Alten Schlosses, denn das Land hat sie zehn Jahre später zum vierfachen Preis zurückgekauft. „Der total beknackte Jupiter-Deal“, titelte die „Bild“-Zeitung. Ist das wirklich so beknackt? Das Land Bayern hätte sicher nicht zugelassen, dass seine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein herausragendes Kunstwerk von einem der wichtigsten Baudenkmale Münchens ins Auktionshaus trägt. Wenn hier etwas beknackt ist, dann dass das Land das nicht verhindert hat.

Francesco Pozzi war nicht irgendwer. Er leitete eine Bildhauerklasse an der Akademie von Florenz, der ältesten Kunstakademie der Welt. Er war Schüler von Antonio Canova, des bedeutendsten klassizistischen Bildhauers überhaupt. Pozzis Skulpturengruppe stammt aus dem Jahr 1828.

Damals war Karl, Kronprinz von Württemberg, gerade mit dem späteren Architekten der Villa Berg, Johann Friedrich Leins, in Italien unterwegs. Dabei reifte sein Wunsch, in Stuttgart eine Villa als Landsitz zu errichten. Zwei Jahre später, 1846, lernte er in Palermo seine spätere Gemahlin, die Zarentochter Olga kennen und heiratete sie noch im selben Jahr in Sankt Petersburg. Ihr Geld machte den Bau der Villa erst möglich, jedenfalls in diesen Dimensionen mit einer opulenten Ausstattung. Zu der wiederum Pozzis Skulpturengruppe gehört, die das königliche Paar für den Landsitz erwarb.

Jupiter als lüsterner Teufel

Glatt ist die Haut der Antiope am Oberschenkel, weiß schimmert der Marmor an den Brüsten. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass der Göttervater gleich zupacken wird. Sie wiederum befindet sich in einem schwer definierbaren Zustand. Schmachtet sie ihn an? Oder hat sie die Augen, im Schlaf oder in Ohnmacht, geschlossen? Jedenfalls hängt sie in seinem Arm. Sie wehrt sich nicht.

Und Jupiter erinnert an den Teufel. Die Figur hat Beine wie ein Ziegenbock und Hörner an der Stirn. Das geläufige Bild des Teufels ist abgeleitet vom antiken Satyr. Die lateinische Inschrift im Sockel besagt, dass es sich tatsächlich um den Göttervater handelt: „Jupiter sah Antiope“, so beginnt der schwer verständliche Text, in dem es weiter heißt, dass sie seiner Liebe freudig nachgibt.

Satyrn wurden gern dargestellt, um den Sexualtrieb zu versinnbildlichen. Als naturnahes Mischwesen zwischen Mensch und Tier waren sie sozusagen immer geil, manchmal erkennbar daran, dass ein Zipfel ihres Pelzes zwischen den Beinen nach oben steht. Diese direkte Anspielung hat Pozzi vermieden. Aber dass er Jupiter in Gestalt eines Fauns darstellt, zeigt unmissverständlich, dass er sich gleich über die schöne Königstocher hermachen wird. Und der grimmig dreinblickende Adler an Jupiters Seite? Der stammt aus einer anderen seiner amourösen Affären. Der Göttervater war bisexuell und sehr verwandlungsfähig. In Gestalt eines Adlers entführte er den schönen Hirtenknaben Ganymed: die berühmteste seiner Liebesgeschichten.

Kronprinz Karl stand ebenfalls auf Männer. Nur hat sich zur damaligen Zeit niemand geoutet. Außerdem musste er die königliche Linie fortführen, also eine Frau heiraten, sonst hätte es Wilhelm II. ja nicht gegeben. Ob er Olga wirklich liebte, so wie sie allem Anschein nach ihn, ist nun schwer herauszufinden. Schließlich hätte er niemals etwas anderes behauptet, schon um keinen Skandal zu erregen. Immerhin lebten sie bis an ihr Lebensende zusammen.

Bei Karls Vater, Wilhelm I., war das ganz anders. Auch er hatte bereits eine Zarentochter geheiratet: Katharina. Sie starb, als er sich mit einer anderen vergnügte und sie ihm mit der Kutsche hinterherfuhr, sich dabei aber aufgrund der winterlichen Temperaturen eine tödliche Erkältung zuzog. Als Zeichen seiner Reue und Huldigung an das Zarenhaus ließ Wilhelm den Stammsitz der Württemberger abreißen und errichtete ihr dort, oberhalb von Untertürkheim, eine Grabkapelle.

Wilhelm I., das kann man so sagen, war ein Lustmolch. Seine Nuditätensammlung war berüchtigt: Bilder unbekleideter Frauen in allen Positionen, gemalt von zweitrangigen Künstlern, die heute das Depot der Staatsgalerie verstopfen. Seinen Landsitz, die Wilhelma, ließ er im maurischen Stil errichten und rund um den See im Oberen Schlossgarten weibliche Figuren in verschiedenen Stadien der Entkleidung aufstellen. Die pietistischen Bürger:innen tobten.

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