Press-Schlag: Kultur statt Knüppel
■ Buntes Programm des Fanprojekts Hannover
PRESS-SCHLAG
Kultur statt Knüppel
Buntes Programm des Fanprojekts Hannover
König Fußball verwandelt eine Stadt: Zu Zehntausenden ergießen sich vom frühen Vormittag an die Dänen über die niedersächsische Metropole. Der Bierumsatz zwischen Bahnhof und Leineufer bricht neue Rekorde, die Altstadt, als gastronomisches Oberzentrum, wird für ein paar Stunden zur dänischen Kolonie.
Schon seit Monaten wird in den Städten des Europameisterschaftsgeschehens die Angst vor der Invasion der Fans geschürt. Alkoholisierte Rowdys könnten dem guten Ruf der Organisatoren schaden. Ein Riesenaufgebot an Polizeikräften ist für die Verantwortlichen die angemessene Maßnahme auf dieses ordnungspolitische Problem.
In Hannover hat man sich zumindest zum Teil eines Besseren besonnen. „Kultur statt Knüppel“ heißt die Devise, mit der jegliche Aggression im Keim erstickt werden soll. Entstanden ist die Idee, für die anreisenden Fußballbegeisterten ein sportlich-kulturelles Rahmenprogramm zu gestalten, im hannoverschen Fan-Projekt. Seit mehr als drei Jahren arbeiten zwei Sozialpädagogen einfühlsam und mit wissenschaftlichem Auge recht erfolgreich mit den Fans von Hannover 96. Für die EM erarbeitete das Fan-Projekt einen Veranstaltungsplan mit sportlichen Aktivitäten und viel Musik.
Die Finanzierung übernahm zum großen Teil die Stadt, nachdem der DFB es schlichtweg abgelehnt hatte, mehr als die jedem EM-Austragungsort zugestandenen 5.000 Mark locker zu machen. Doch auch mit wenig Geld läßt sich viel auf die Beine stellen. Rund um die Marktkirche, auf halbem Wege zwischen Bahnhof und Stadion, wurde eine Riesenfete organisiert. Mit Disco-Musik, dänischem Bier und spanischer Paella wird der Platz zum Anziehungspunkt Nummer eins für die rot-weißen Gäste aus dem Norden.
Am Maschsee-Nordufer warten Fußball, Tischtennis, Fußballtennis, Volleyball und Ruderboote im wahrsten Wortsinn auf Beteiligung. Zwar sind Bälle und Boote in ständiger Bewegung, doch der erwartete Andrang bleibt aus. „Wir hatten doch mit mehr Beteiligung gerechnet“, verrät Dieter Schippert (47), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni und im Fan-Projekt. Und als Begründung für das Fernbleiben der Massen von den angebotenen Aktivitäten führt er an: „Der größte Teil der Dänen ist gleich in der Innenstadt hängengeblieben.“ Der Drang nach alkoholischen Getränken war weitaus stärker als der nach körperlicher Betätigung.
Aber dennoch, von Mißerfolg will hier keiner etwas hören. Das schlechte Wetter wird als Argument bemüht. Dieter Schippert ist darüber hinaus überzeugt: „Wenn hinterher nur 200 Fans zu Hause positiv über die Sache hier berichten, dann ist für Hannover und sein Image schon viel gewonnen.“ Das Image der niedersächsischen Landeshauptstadt ist an diesem EM-Tag aber vor allem durch die dänischen Fans geprägt worden, die so gar nichts Böses im Sinn hatten. Polizeisprecher Klages ist begeistert: „Heute ist weniger passiert als bei einem Bundesligaspiel.“ Sind die Dänen ein Sonderfall mustergültigen Fan-Verhaltens? Oder war das der Beweis für die Befriedung durch Spaß an der Freude? Am Mittwoch, wenn im Niedersachsenstadion Irland gegen die Sowjetunion kickt, bietet das Fan-Projekt das gleiche Programm noch einmal im kleineren Maßstab. Mal sehen, was die Iren dazu sagen... Petra Schöbel
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