Kultur in der DDR: Wo früher getanzt und gelacht wurde
Das Heide-Theater in Berlin-Pankow war in der frühen DDR ein beliebter Anziehungspunkt. Die Mauer machte dem ein Ende. Spuren finden sich noch heute.
Vorbei am Aldi und einer Jugendverkehrsschule die Hermann-Hesse-Straße entlang, wo der Gehweg zu einem sandigen Seitenstreifen wird. Gleich nach der Kreuzung mit der Heinrich-Mann-Straße führt auf der linken Straßenseite ein Weg in den Wald. Wenige Meter weiter erhebt sich links ein kleiner Hügel mit einem ausgetretenen Pfad. Nach einem kurzen Antritt die Anhöhe hinauf kommt dahinter, umrandet von hochgewachsenen Bäumen, eine helle Lichtung in einer kleinen Senke zum Vorschein.
Am Fuß des Hügels stehen acht Betonsäulen im Halbkreis – das sind Reste der 27 Meter breiten und 21 Meter tiefen Bühne des einstigen Heide-Theaters. An einer Seite der Lichtung führen Steinstufen samt verrostetem Handlauf in die Erde: die Überreste der Treppen, die in den heute zugeschütteten Zuschauerraum führten, wo auf langen Bankreihen bis zu 2.500 Personen Platz hatten.
Gleich daneben ragen drei Meter hohe verrostete Metallpfosten aus dem Boden, an denen früher die Scheinwerfer und die Lautsprecher der Stereotonanlage hingen. Im Dickicht des umliegenden Waldes finden sich noch einzelne überwachsene Reste des Theaters und seiner Anbauten, doch außer ihnen und der ovalen Form der Lichtung zeugt nichts mehr davon, dass hier einst ein großes Freilichttheater stand.
Wasserrutsche, Tanzpavillons, Varieté und Achterbahn!
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die Schönholzer Heide zu einem beliebten Ausflugsziel der Berliner:innen, die mit der neu eröffneten Nordbahn (einer Bahnstrecke von Berlin nach Stralsund hinauf) in das nördliche Umland fahren. Mit der Eingemeindung von Niederschönhausen und Schönholz und der Gründung von Groß-Berlin im Jahr 1920 kommen weitere Attraktionen hinzu, wie ein Fußballplatz und Tennisplätze. Ein Jahrzehnt später folgt schließlich auch ein Vergnügungspark mit Wasserrutsche, Tanzpavillons, Varieté und Achterbahn.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich der Bezirk um die Schönholzer Heide immer mehr zum politischen und intellektuellen Zentrum der DDR. Im Schloss Schönhausen residiert DDR-Präsident Wilhelm Pieck, am Majakowskiring die Politprominenz und in der nahegelegenen Heinrich-Mann-Straße entsteht bereits Ende der 1940er Jahre die Erich-Weinert-Siedlung, eine von drei Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin.
Dass die DDR gerade hier einen Kulturort baut, ist daher kein Zufall. Von 1955 bis 1956 bewegen 7.616 Freiwillige im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks 3.000 Kubikmeter Sand und errichten eine Freilichtbühne. Am 15. August 1956 eröffnet das Potsdamer Hans-Otto-Theater mit Shakespeares „Maß für Maß“ das Programm der neuen Spielstätte.
Gastspiele namhafter DDR-Bühnen folgen. Zehn Tage später wird es sogar international: Zu Preisen zwischen 1 und 3 Mark lauschen die Gäste dem Orchester der Staatlichen Philharmonie aus Bukarest. Die Veranstaltungen sollen nun wöchentlich stattfinden und sind – so die Verantwortlichen – für alle Berliner:innen gedacht. Wenige Monate später mahnen einzelne Lokalpolitiker:innen bereits, dass das Theater nicht ausreichend ausgelastet sei.
Mauerbau läutet das Ende ein
Doch die Realität sieht anders aus: Die Spielstätte erfreut sich großer Beliebtheit – und das nicht nur bei den Menschen aus Ostberlin, sondern auch bei den Bewohner:innen aus dem Westteil der Stadt. Komikerwettbewerbe, Operetten und klassische Theaterstücke dominieren das Programm. Besonders beliebt sind aber die Tanzabende, an denen die Klänge der neuesten Hits des staatlichen Plattenlabels Amiga über die Stereotonanlage durch die Schönholzer Heide hallen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Als fünf Jahre nach der Eröffnung die Mauer gebaut wird, beginnt der langsame Niedergang des Theaters. Die Grenze teilt nun Berlin, und die Zuschauer:innen aus dem Westen, die vor dem Mauerbau vor allem über den S-Bahnhof Schönholz zum Heide-Theater kamen, bleiben fern.
Der Theaterbetrieb geht noch einige Zeit weiter, doch die Freilichtbühne verliert immer mehr an Bedeutung. Die paramilitärische Massenorganisation Gesellschaft für Sport und Technik nutzt das Gelände noch einige Jahre für ihre Übungen, doch der letzte Vorhang ist schon längst gefallen.
Seitdem ist es ruhig geworden hier, das Klatschen verhallt. Wenige Menschen verirren sich an diesen versunkenen Ort abseits der offiziellen Wege. Nur das Rauschen der nahegelegenen Straße hallt noch durch diesen Teil der Schönholzer Heide.
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