Kultur im Blickpunkt vor der NRW-Wahl: Unmut im Inkubationszentrum
Die schwarz-gelbe Regierung in NRW verdoppelte den Kulturetat, um mehr "Talente" an den Standort zu holen. Dagegen aber wehren sich Kulturschaffende und Kommunen.
In NRW herrscht Wahlkampf. In Zeiten, in denen Kulturschaffende sonst sanft am eigenen Netzwerk stricken, herrscht dieses Mal aber ein rauer Ton. "Wir machen den Scheiß nicht mehr mit", steht über einem Aufruf der LAG Soziokultur, in der sich die freien Kulturzentren des Bundeslandes organisiert haben. Und gleich danach die sattsam bekannten Worte "Ein Gespenst geht um in unserem Land". Damit beschwören die Autoren nicht den Kommunismus, sondern ein prosaisches Bündnis aus Stadtoberen, Finanzbeamten und Kulturschaffenden.
Denn wegen der Finanzkrise müssen am meisten die Kommunen sparen. "Die Kämmerer begrüßen unseren Aufruf", erzählt Rainer Bode von der LAG Soziokultur, "aber ihnen sind die Hände gebunden." Die LAG fordert eine Abkehr vom bisherigen Leitbild der Städte. Weg von einer Politik, in der Kultur ein Standortfaktor in der Konkurrenz um Arbeitsplätze und -kräfte ist. Hin zu einer Stadt, die die Bedürfnisse der Stadtbewohner in den Mittelpunkt stellt.
Dass ausgerechnet über Kultur so erbittert im Wahlkampf gestritten wird, ist neu im Industrieland NRW. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition ernannte mit dem ehemaligen Düsseldorfer Kulturdezernenten Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) zum ersten Mal einen Staatssekretär für Kultur und versuchte mit Programmen wie "Jedem Kind ein Instrument" einen traditionellen Begriff von Bildung zu verwirklichen.
Begründet wurde dies mit den Theorien des Ökonomen Richard Florida: Kultur solle die "Talente" für den Standort NRW interessieren und sei "Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität", hieß es damals aus der Staatskanzlei. Das ließen sich CDU und FDP einiges kosten. Der Kulturhaushalt wurde seit 2005 verdoppelt und liegt jetzt bei 160 Millionen Euro. Auch die Mittel für die freie Szene wurden dabei um 60 Prozent erhöht.
"Damit können wir zufrieden sein. Aber es hatte einen hohen Preis", kommentiert Rainer Bode die Arbeit der Regierung. Zwar habe Schwarz-Gelb bei der Kultur erhöht, gestrichen wurde dafür im Sozialbereich, etwa bei der Förderung der Arbeitslosenberatung in den soziokulturellen Zentren. Damit scheint sich auch die Selbstwahrnehmung der Soziokultur verändert zu haben. War man vor kurzem noch stolz auf die Rolle als "Inkubationszentren einer kleinen Kultur- und Kreativwirtschaft", sieht Bode nun die Einmischung in den Stadtteil und die Kommune als primäre Aufgabe an.
Im Düsseldorfer Jugendzentrum ZAKK kann man beobachten, wie so etwas aussehen könnte. Unter dem Label "Freiraum für Bewegung" sitzen knapp 50 Künstler, Musiker und DJs in einem kahlen Gruppenraum und planen ihre nächsten Aktionen. Auch zwei Jusos haben sich hierhin verirrt, wirken jedoch mit Dokumentenmappe und gebügeltem Hemdkragen etwas deplatziert. "Freiraum für Bewegung" übt sich in Distanz zum Politikbetrieb der Landeshauptstadt.
Stattdessen geht es um handfeste Probleme: steigende Mieten, Sicherheitsdienste in der Innenstadt und eine Bauplanung, die Gewerbeflächen den Vorrang vor Wohngebieten gibt. Das betrifft nicht nur junge Künstler, sondern auch Alleinerziehende, Rentner und Migranten. Die Stimmung auf dem Treffen ist euphorisch. Man will sich in der Stadt engagieren und auf Leerstände aufmerksam machen.
Anfang März hat man den Düsseldorfern die Gestaltung einer Unterführung zum Geschenk gemacht, die Resonanz bei der Bevölkerung war positiv. "Das Unwohlsein ist bei vielen Leuten in den Köpfen", erzählt Klaus Klinger, einer der Aktivisten. Seit 30 Jahren gestaltet er Düsseldorfer Fassaden - zuerst um Häuser vor dem Abriss zu bewahren, später um soziale Bewegungen mit seiner Kunst zu unterstützen. Klinger ist ein alter Polithase und damit bei "Freiraum für Bewegung" in der Minderheit. Hier haben sich in erster Linie Kreative versammelt, die gemerkt haben, dass die Stadt Düsseldorf zwar gerne mit ihnen wirbt, im Zweifelsfall aber doch lieber die großen Ausstellungen und Kulturevents unterstützt.
"Für die freie Szene bleibt dabei ein Trinkgeld übrig", beschreibt Klinger die Politik der Stadtverwaltung. Dort zeigt man sich angesichts der Aktionen der Künstler irritiert. Mitte April sollte der Stadtverwaltung ein Porträt des verstorbenen Oberbürgermeisters Joachim Erwin geschenkt werden. Erwin polarisierte die Düsseldorfer, verkaufte städtische Wohnungen an die EnBW und hinterließ durch die Genehmigung von Einkaufszentren seine Spuren im Stadtbild. Und wird deshalb von "Freiraum als Bewegung" mit einer Krone als "Arkaden-König" porträtiert.
Die Stadt wies das Geschenk zurück, Erwins Nachfolger bezeichnete es als "despektierlich und unwürdig". Wobei den Aktivisten immer droht, von der Eigenlogik ihres Wohnorts vereinnahmt zu werden. In Düsseldorf, wo seit 1773 eine Kunstakademie, aber erst seit 1965 eine Universität existiert, ist für dissidente Kunst immer Platz, und sei es nur als Sammlerobjekt.
In Dortmund dagegen ist Kultur zuerst Symbol des Wandels. Man will nicht länger nur die Stadt von Stahl, Bier und dem Fußballclub Borussia sein, sondern investiert in Kulturbauten. Das Dortmunder U, ein altes Brauereigebäude, soll zum "Kreativzentrum" mit Museum, Hochschulinstituten und Beratungsstelle für die Kreativwirtschaft werden. Die regierende SPD spricht von 50, die Opposition von 68 Millionen Euro Baukosten. Land und EU tragen 70 Prozent, danach muss die Stadt einspringen. Für Dortmund ist es ein riskantes Unterfangen.
Nicht nur, weil die Stadt schrumpft und mit einem Haushaltsloch von 140 Millionen Euro und einer Arbeitslosenquote von 13,4 Prozent zu kämpfen hat. Auch die Kreativwirtschaft, das Paradeprojekt der Kulturhauptstadt "RUHR.2010", kann die sozialen Probleme bislang nicht auffangen. "Die Zahl der Kreativen kann mit der ,harten' Industrie konkurrieren", meint Jörg Stüdemann (SPD), der Kulturdezernent und zugleich Kämmerer ist, "Wir wissen aber, dass die Einkünfte sehr niedrig sind." Knapp drei Viertel der Kreativen arbeiteten an der Grenze zum Existenzminimum.
Trotzdem zeigt sich Stüdemann vom Projekt des U-Turms überzeugt, rechnet mit Investionen von 200 Millionen Euro und wischt Bedenken beiseite: "Im Kulturbereich gibt es immer Konflikte, da geht es um symbolische Distinktionen." Auf den Sportplätzen sei man jedenfalls stolz auf das neue "U". Kritik am "Wandel durch Kultur" gibt es trotzdem. Für den 1. Mai haben Künstler und soziale Basisinitiativen zu einem Euromayday aufgerufen. Im Mittelpunkt steht die RUHR.2010. "Die Kulturhauptstadt lässt einen großen Teil der Bevölkerung einfach zurück", sagt ein Sprecher des Bündnisses. "Kreativität wird dabei zur Geschäftsidee degradiert."
"Sicherlich wollen Künstler Aufmerksamkeit", erzählt der Dortmunder Musiker Martin Juhls, "aber wenn der Erfolg ausbleibt, wirft ihnen der Diskurs der Kreativwirtschaft vor, sie hätten sich nicht genug vermarktet." Juhls ist ein typischer Vertreter der jüngeren Musikszene im Ruhrgebiet, in der schon lange nicht mehr Metal und Rock den Ton angeben, sondern House, Electronica und Dubstep. Er organisiert Konzerte und produziert Ambient, und das seit über zehn Jahren. Damals stand in Dortmund noch ein Stahlwerk. "Es tut sich was durch die Kulturhauptstadt", meint er.
Zwar sei wichtige Infrastruktur geschaffen worden, aber die Strukturen wirkten teilweise aufgesetzt. Stattdessen sei manchmal eher "unbürokratische" Hilfe nötig - zum Beispiel um Einladungen für Preisverleihungen oder Festivalauftritte annehmen zu können. "So etwas scheint bisher beim Land NRW nicht vorgesehen zu sein." Weniger Bürokratie wünscht sich auch Rainer Bode. "Wir müssen stärker auf Augenhöhe mit Kämmerern und Landesverwaltung diskutieren - und zwar nicht nur in der Krise." Im gesamten Bundesland entdecken die Kommunen den "Bürgerhaushalt" für sich. So sollen die Bürger über die Gewichtung der Kürzungen mit entscheiden, deren Umfang ohne sie beschlossen wurde.
Theatermacher und der Städtetag fordern außerdem eine Erhöhung des Landesanteils an der Finanzierung der kommunalen Theater. Die Landesregierung lehnt das ab. Man sei genauso wie die Kommunen in der Finanzkrise, sagt Staatssekretär Heinrich Grosse-Brockhoff und ergänzt: "Wir können nicht einseitig eine 60-jährige Tradition der Theaterfinanzierung hierzulande umstürzen." Mit der Förderung der Tradition hatte Grosse-Brockhoff bei seinem Amtsantritt die neue Bedeutung der Kultur begründet. Welche Gespenster er damit rief, war ihm damals wohl nicht klar.
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