Kultband Pankow auf Abschiedstournee: Viel rumgerannt, gestritten, geliebt
Die Berliner Band Pankow, 1981 in der DDR gegründet, trat in Pankow auf. Ein Heimspiel auf ihrer Abschiedstour. Große Klasse! Und einfach zum Heulen.
Dummerweise kollidierte das mit einer anderen Veranstaltung in Köpenick. Dort spielte der 1. FC Union gegen den VfL Wolfsburg. Die TV-Profitmaximierer von der Deutschen Fußballliga hatten die Partie erst auf 17.30 Uhr gelegt. Der Konzertbeobachter musste also vor Abpfiff los, was einen Gesetzesbruch bedeutete, denn für Union-Fans gilt die ungeschriebene Regel, das Stadion nicht vor Abpfiff zu verlassen, egal wie schlimm es steht.
Während ich in der S-Bahn den Rest des Spiels am Liveticker verbrachte, erinnerte ich mich der These, dass es keine Zufälle gibt. Wolfsburg, Pankow – das passt so was von nicht zusammen, dass es Absicht gewesen sein muss, als Pankow-Fan das Wolfsburg-Spiel nicht zu Ende sehen zu dürfen. Der Begriff Wolfsburg steht für ein Leben (eigentlich mehr Arbeiten) in Westdeutschland, von dem ernsthaft niemand träumen kann. Auf jeden Fall niemand, der mit der Musik von Pankow groß und glücklich geworden ist. Das heißt, in der DDR.
Wenn man durch das Eingangstor zur Kulturbrauerei geht, kommt man an einem kleinen Museum vorbei, einer Zweigstelle der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es beherbergt eine Dauerausstellung mit dem Titel „Alltag in der DDR“. In der Werbung dafür heißt es: „Durch Inszenierungen wie einen originalen DDR-Zeitungskiosk, einer Kneipe aus Brandenburg oder einem Konsum-Laden gewinnen die Besucher einen lebendigen Eindruck von der alltäglichen Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen.“ Eine nachgebaute Kneipenecke verschafft einen Eindruck von der Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen? Ein Prosit auf die Museumsgemütlichkeit.
Metal-Schallplatten waren Goldstaub
Aktuell gibt’s noch eine Ausstellung in der Ausstellung: „Metal in der DDR“. Mit Musik geht ja alles besser, auch das Erklären von Geschichte. Metal-Schallplatten waren in der DDR richtig Goldstaub, von allen Westplatten die teuersten. Das lag daran, dass insbesondere junge Männer aus der Arbeiterklasse auf Krachmusik standen. Weil sie in ihren Malocherjobs ordentlich verdienten, trieben sie die Preise auf dem Schwarzmarkt hoch.
Zu den begehrten Platten gehörten auch die der Scorpions. Ihr Sänger Klaus Meine hat mir in einem Interview vor etlichen Jahren mal berichtet: „Wir waren ja unerwünscht in der DDR.“ Anekdoten, wie verboten sie drüben waren, haben Westpromis nach der Wende gern erzählt. Der Hinweis, dass die staatliche Plattenfirma Amiga ein Scorpions-Album veröffentlicht hat, hat Klaus Meine echt überrascht. Tja, DDR, seltsames Land.
Und das traf erst recht für den staatlichen Umgang mit Musik, speziell Rockmusik, zu. Warum welcher Song, welche Platte, welche Band verboten war, ist nicht immer nachvollziehbar gewesen. Auf den Wellen an Absurditäten, Vorgaben und Verboten ist auch die Band Pankow hin- und hergeschaukelt. Mal war sie obenauf, mal drohte der Untergang. Gleich ihr erstes Album, das Rockspektakel „Paule Panke“, fiel bei Amiga aus dem Veröffentlichungsplan, obwohl es im Radio gesendet worden war.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die zumeist Ü50-Frauen und -Männer, die am Sonntag ins Kesselhaus der Kulturbrauerei gekommen sind, dürften die ganzen Eiertänze der DDR-Kulturpolitik größtenteils aus eigenem Erleben gekannt haben. Nach den Reaktionen auf die Ansagen von Sänger André Herzberg haben sie überwiegend DDR-Sozialisationshintergrund. So wie vier der fünf reifen Herren auf der Bühne. Nur Keyboarder Andreas Dziuk war nie DDR-Bürger. Die beiden einzigen Pankow-Urmitglieder sind Gitarrist Jürgen Ehle (mit Schiebermütze) und Sänger André Herzberg (mit Hütchen).
Ein Drei-in-eins-Streich
Den Bandnamen hatten sie mit ihren damaligen Kollegen pfiffig gewählt. Ein Drei-in-eins-Streich. In der alten BRD war Pankow ein Synonym für die Machthaber in der DDR. Zudem lebten die Musiker in der Pankower Ecke. Und nach etwas Punk klang der Name auch. Eine Punkband waren Pankow jedoch nie. Sie streiften zwar New Wave, standen aber vor allem für stonigen Rock ’n’ Roll.
Vielen galt die Gruppe um die Ostberliner Glimmer Twins Herzberg/Ehle in den 1980ern als einzig wirkliche Rock-'n'-Roll-Band in der DDR-Rockelite. Underground war sie nie, genoss aber einen gepflegten Rebellenruf, weil sie den verspießerten DDR-Alltag ohne lyrische Girlanden besang. Herzberg, der den gängigen Ostrock „schon immer scheiße“ fand, sang rotzige Texte auf rotzigen Gitarrensound. Manchmal ging es, wie in der Rockoper „Paule Panke“, um den Alltag eines Lehrlings, oft um Tagträume aus dem Leben Pubertierender, gern auch um das Ausleben sexueller Triebe. Was die jungen Menschen halt so umtreibt im wahren Leben, das es selbstverständlich auch im falschen gab, sprich in der sozialistischen Gängelrepublik.
Man fragt sich ja manchmal, ob eine Band alter Männer noch Songs voller Teenagergedanken singen sollte. Das ist natürlich müßig, weil ihre größten Hits in der Regel halt von früher sind. Auch bei Pankow. Das gebiert zuweilen lustige Momente. So, als dem Sänger beim Lied „Doris“ kurz der Text entfällt, als würde sein Gehirn signalisieren: „Jeder kleine Junge träumt von seiner Prinzessin / Meine sollte blond sein und große Brüste haben“ – das kannst du mit 69 nicht singen, lächerlich. Herzberg muss dann auch selbst lachen, als ihm die textsicheren Fans aushelfen. Ironie ist ihm ohnehin nicht fremd, gern mit einem Schuss Melancholie. „Heute wollen ja alle anders sein“, sagt er nach dem Song „Er will anders sein“, dessen banale Aussage im kollektivistischen Staat eine ganz andere Wucht entfaltete als heute.
Auch „Die wundersame Geschichte von Gaby“, in der ein Mädchen traumhaft durch ein Disco-Fenster in die Welt fliegt, wirkt heute semioriginell. Damals war es ein „Lied über Freiheit, eingepackt in ein Märchen“, wie Herzberg sagt.
Unvergessliche Momente
Einerseits wirkt es lustig, wenn ältere Menschen, die seit Jahrzehnten nicht mehr in die Disco gehen, die Zeilen inbrünstig mitsingen. Andererseits ist es nicht lächerlicher, als wenn alte Stones-Fans beim Konzert „Satisfaction“ mitgrölen. Man kann es Nostalgie nennen oder schlicht einen kurzen Rückruf in die Jugendzeit, die einen geprägt hat.
Songzeilen von Pankow legen unvergessliche Momente nach Jahrzehnten frei. 1988, Studentenbude in Leipzig. Das frische Album „Aufruhr in den Augen“ auf einem ollen Plattenspieler und mit dem Kumpel das erste Mal den Song „Langeweile“ gehört: „Ich bin rumgerannt, zu viel rumgerannt, ist doch nichts passiert.“ Man musste kein Oppositioneller sein, um abgetörnt zu sein von der bleiernen Schwere in der DDR. Und weiter: „Dasselbe Land zu lange gesehn … Zu lange die alten Männer verehrt“. Ein Hammer. Wie konnten diese Worte durch die Zensur gehen?! Die gemeinten alten Männer sind so gut wie alle tot, aber das Publikum singt die Zeilen auch nach 37 Jahren inbrünstig mit, als würden sie noch leben.
Es gibt Rockzeilen, die durch die Umstände der Zeit ikonisch werden, weil sie ein Lebensgefühl ausdrücken und für ewig festhalten. Als Rio Reiser 1988 in der Ostberliner Seelenbinderhalle auftrat, fragte er 6.000 junge DDRler in seinem Song „Der Traum ist aus“ mit einer Liedzeile: „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist?“ Der aus dem Songtext abgeleitete Antwortschrei war die ultimative Ankündigung vom Ende der DDR: „Dieses Land ist es nicht! Dieses Land ist es nicht!“
André Herzberg, Sänger der Band Pankow
„Langeweile“ flog 1988 aus dem Radioprogramm. Auch für Pankow waren alle Illusionen verflogen. Sie durften zwar im Westen spielen, aber die vor allem bei André Herzberg vorhandene Hoffnung auf eine bessere, gerechtere DDR war längst weg. Ihr kurzes Aufflackern mit dem Mauerfall – geschenkt. Im Konzert erinnert der Song daran, dass es diese Hoffnung tatsächlich gab. „Über politische Sachen haben wir oft gestritten“, spricht Herzberg, der Sohn kommunistischer Eltern, der seit Kindheit an viel Wut in sich trug. „Aber am Ende ging es immer um Liebe.“
Das bezeugt auch ihr aktuellster Song „Bis zuletzt“: „Wir haben geliebt und uns gehasst / Das ist heute Schnee von gestern, spielt keine Rolle mehr / Etwas hat uns hier zusammengebracht“.
Nur noch einmal, auf der Parkbühne Weißensee im Juli, werden sie in Berlin gemeinsam auf der Bühne stehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!