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Künstliche BefruchtungDer Forschung erste Tochter

Nach 45 Jahren ist die In-Vitro-Methode mittlerweile Standard. Aber die ethischen Fragen bleiben. Wollen wir den Beginn des Lebens beeinflussen?

Das erste In-Vitro-Kind Louise Brown wurde durch Talkshows gereicht, wie hier 1979 Foto: Fred Jewell/ap/picture alliance

Im Dunkeln rollte das medizinische Personal die hochschwangere Lesley Brown in den Operationssaal des Oldham General Hospital bei Manchester. Draußen warteten seit Wochen Fo­to­gra­f*in­nen und Re­por­te­r*in­nen aus der halben Welt auf diesen Moment. Sie verkleideten sich als Hausmeister oder Krankenhausverwalter, um als Erstes ein Bild des Babys zu kriegen. Denn eins wollten alle wissen: Würde das Neugeborene „normal“ sein oder würde ein kleines Monster zur Welt kommen, ein „Franken Baby“, wie es damals genannt wurde?

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Kurz vor Mitternacht am 25. Juli 1978, kam vor 45 Jahren Louise Brown zur Welt, durchweg gesund, 2.600 Gramm schwer. Das erste in der Petrischale gezeugte Baby. Der Startschuss für die moderne Reproduktionsmedizin.

Mit ihr entstand ein völlig neuer Forschungszweig, die Embryologie. Sie untersucht die Anfänge einer Schwangerschaft, versucht, die Gründe für Fehlgeburten zu verstehen, und analysiert die frühen Entwicklungsstufen. Die Forschenden Robert Edwards, Patrick Steptoe und Jean Purdy, die jahrelang auf diesen Durchbruch hin arbeiteten, gaben dem Baby den Zweitnamen Joy – Freude.

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Durch Louise Brown und den medizinischen Fortschritt haben nun immer mehr Menschen die Chance, ein biologisch eigenes Kind zu bekommen. Dabei gibt es für ungewollte Kinderlosigkeit viele Gründe. Verschlossene Eileiter oder dysfunktionale Spermien können zu Unfruchtbarkeit führen. Nichtheterosexuellen Paaren bleibt der Kinderwunsch verwehrt, weil sie die gleichen Geschlechtsorgane haben. Und andere wollen ganz ohne Partnerschaft eigene Kinder.

Ringen zwischen Fortschritt und Moral

Die aktuelle Forschung findet immer mehr Wege, Kinderwünsche trotzdem zu erfüllen. Aber mit der Möglichkeit, eine Eizelle und ein Spermium außerhalb des Körpers zu verschmelzen und so den Beginn des Lebens zu beeinflussen, begann eine Debatte, die noch heute geführt wird: Haben Menschen ein Grundrecht darauf, eigene Kinder zu haben? Inwieweit darf die Biologie das Leben beeinflussen? Und ab wann ist ein Mensch ein Mensch?

Deshalb könnte man sagen, die Geschichte von Louise Browns Entstehung ist ein Ringen zwischen Fortschritt und Moral. Immer wenn Technologie und Medizin voranschreiten, müssen gesellschaftliche und rechtliche Bedingungen dafür geschaffen werden. Die Fragen, die damals gestellt wurden, gelten noch heute: Wer kontrolliert eigentlich wen? Galoppiert die Forschung stets voraus und der ethische Diskurs trottet hinterher und versucht sie wieder einzufangen? Oder steuert doch auch die Gesellschaft die Forschungsinhalte und kann ihr Fortschreiten beeinflussen, vielleicht sogar kontrollieren?

Damals, 1978, war man sich keineswegs einig im Umgang mit der Geburt des ersten Retortenbabys, wie man es damals nannte. „Aus der Retorte kommend“ ist der veraltete Ausdruck dafür, etwas Künstliches zu erschaffen. So wurden die Babys als Kunstprodukte wahrgenommen, bis man sie später als Wunschkinder bezeichnete.

Die In-vitro-Fertilisation (IVF) gab vielen Menschen damals Hoffnung. Innerhalb kürzester Zeit meldeten sich bei den Forschenden hunderte Paare, die seit Jahren erfolglos versuchten, ein Kind zu bekommen. Auf der anderen Seite standen die Skeptiker*innen, darunter auch Ärzt*innen. Sie hielten die Forschung an der künstlichen Befruchtung für unethisch. Sie fragten, wer künstliche Befruchtung wirklich brauche und ob Missbrauch nicht vorprogrammiert sei.

„Die Aufgabe des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters scheint zu sein, unvollkommen vorgefundene Natur durch eine perfekte, fehlerfreie Welt zu ersetzen“, beschrieb damals das feministische Magazin Courage die Entwicklung. „Sie fürchten, dass der Mensch, wo er dem Herrgott nachhelfen will, in Wahrheit selber Herrgott spielen will“, stand kurz nach Louise Browns Geburt in der Zeit. Aus der Perspektive der Skeptiker würden die „Forschungsklempner“ sich dazu bereit machen, die fundamentalsten Lebensvorgänge des Menschen zu kontrollieren und zu manipulieren.

Den Vorwürfen entgegnete Patrick Steptoe damals: „Ich bin lediglich daran interessiert, all jenen Frauen zu helfen, die einzig deswegen kein Kind bekommen können, weil ihre Eileiter eine vergleichsweise unbedeutende Funktion nicht erfüllen können.“

Die Primitivlinie als ethische Grenze

Die Forscher waren dem Diskurs vorausgeeilt. Erst in den Folgejahren etablierten sich Gremien, die versuchten, Regeln aufzustellen, in manchen Ländern früher als in anderen. Die britische Regierung setzte 1982 die Warnock-Kommission ein, benannt nach ihrer Vorsitzenden Lady Warnock. Wegen der öffentlichen Besorgnis über IVF und ihre möglichen Folgen sollte die Kommission Handlungsempfehlungen entwickeln.

„Die meisten Menschen wussten nichts von der jahrelangen Arbeit zu diesem Kind, so schlug das Kind ein wie eine Bombe“, erinnert sich die Vorsitzende in einem Interview 2018 mit dem Science Museum in London. Vor allem die Frage, wie mit überzähligen Embryonen umgegangen wird, spielte eine Rolle bei der Regulierung. Ob nun in der Praxis oder der Forschung, „Embryonen im Labor zu erschaffen und dann die Hälfte wegzuwerfen, entsetzte die Menschen, sie sahen es als Wegwerfen eines Babys“, so Lady Warnock.

Als Kompromiss entstand damals die 14-Tage-Regel. Erst danach entwickelt sich die Primitivlinie, eine Vorläuferstruktur des Rückenmarks und damit des Nervensystems. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen daher Embryonen in Ländern, die die Forschung zulassen, in der Petrischale wachsen. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Großbritannien, Japan oder die USA.

Kreisliga statt Champions-League

In Deutschland ist diese Forschung nach dem Embryonenschutzgesetz von 1990 verboten. Es reguliert sowohl die embryonale Forschung als auch die Transplantation von Embryonen und die künstliche Befruchtung. Während sich For­sche­r*in­nen in Deutschland lange selbst um die ethischen Fragen kümmern mussten, sind die Regeln heute strenger als in vielen anderen Ländern.

Viele Forschende sehen darin ein Hindernis, denn für neue Ergebnisse sind sie auf Arbeiten aus dem Ausland angewiesen. „Deutschland hätte auch in der Fortpflanzungsmedizin weiter auf Champions-League-Niveau spielen können, so sind wir lediglich Kreisklasse“, sagt Gynäkologe Jan-Steffen Krüssel, der das Kinderwunschzentrum an der Uniklinik Düsseldorf leitet.

Die Akademie der Wissenschaften Leopoldina formulierte 2019 und 2021 Forderungen, das Gesetz anzupassen. Ende März dieses Jahres setzte das Bundesgesundheitsministerium eine Arbeitsgruppe ein, die sich mit reproduktiver Selbstbestimmung befasst. Unter anderem soll ausgelotet werden, inwiefern die Eizellspende oder eine altruistische, also nicht bezahlte Leihmutterschaft ermöglicht werden können. Auch, um Reproduktionstourismus zu verhindern.

Dass Ethik und Fortschritt Tauziehen spielen, zeigt auch die moderne Debatte: Darf Gentechnik in der Fortpflanzung genutzt werden, um Menschen schon als Embryonen vor Krankheiten zu schützen? Über die Frage haben Forschende dieses Jahr auf dem Dritten Internationalen Gipfel zur Hu­man­ge­nom­­edi­­tie­rung beraten. Besonders relevant wurde die Frage, nachdem der chinesische Forscher He Jiankui 2018 erstmals genetisch veränderte Kinder schuf.

Im Abschlussbericht der Konferenz sind sich die Forschenden einig – der Fall He Jiankui darf sich nicht wiederholen, aktuell sollen keine als Embryo genetisch veränderten Babys auf die Welt kommen. Zu unsicher ist die Technologie noch, die das Erbmaterial beeinflusst. Lediglich die Grundlagenforschung zu der Methode dürfe weitergehen. Auch die Weltgesundheitsorganisation spricht sich gegen eine Anwendung am Menschen aus. Juristisch ist das Ganze aber Sache der Staaten.

Teilweise haben sich im Wartebereich Paare getroffen, die sich kannten. Ihre Gesichter wurden leichenbleich

Jan-Steffen Krüssel, Gynäkologe

Blicken wir in 30 Jahren auf diese Debatte zurück und lachen? So dachten Forschende schließlich auch vor Louise Browns Geburt über künstliche Befruchtung. Erst 2010, 32 Jahre nach dem Durchbruch, erhielt Robert Edwards den Medizin-Nobelpreis und wurde damit für seine Forschung anerkannt. Zu dem Zeitpunkt waren seine Kol­le­g*in­nen lange tot. Dennoch, „die Auszeichnung hat das ganze Feld beflügelt“, erinnert sich Jan-Steffen Krüssel, und „damit aus der Schmuddelecke gehoben“.

Heute ist diese Form der Reproduktionsmedizin nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in weiten Teilen der Gesellschaft anerkannt. Über die Jahre habe eine Enttabuisierung stattgefunden, sagt der Gynäkologe Krüssel: „Niemand hat früher im Freundeskreis über das Thema gesprochen. Teilweise haben sich im Wartebereich Paare getroffen, die sich gut kannten. Ihre Gesichter wurden leichenbleich, als sie sich sahen.“ Bis heute kamen weltweit über 8 Millionen Menschen durch künstliche Befruchtung zur Welt. Allein in Deutschland zählte das offizielle Register 363.940 Geburten für die Zeitspanne von 1997 bis 2020.

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