Künstlich gezüchtetes Fleisch: Schönes neues Steak
Im Labor gezüchtetes Muskelgewebe als Alternative zur animalen Fleischproduktion? Forscher halten Kunsthack in zehn Jahren für realistisch.
STOCKHOLM taz "50 Milliarden Tiere werden jährlich gezüchtet, gequält und getötet, um als menschliche Mahlzeit zu enden. Zählt man Fische hinzu, müsste man vermutlich noch eine Null anhängen." Und dazu gibt es zumindest eine Alternative, meint Ludvig Lindström. Der Schwede ist selbst Vegetarier, glaubt aber nicht, dass ein grösserer Anteil der Menschheit je darauf verzichten wird, Fleisch essen zu wollen. "Für die ist künstliches Fleisch die Lösung. Sie können dann weiter auf Leichenteilen herumkauen, auch wenn es künstliche sind."
Lindström, Vorsitzender von "Charity International" ist einer der TeilnehmerInnen der weltweit ersten Konferenz über Laborfleisch oder "In Vitro Meat", die am Mittwoch in Ås bei Oslo beginnt. Eingeladen hatte die Universität Oslo und das norwegische Zentrum für Lebensmittelforschung. Auf der Tagesordnung fand man Veranstaltungen zu Themen wie der Zusammensetzung von Nährlösungen, Fragen der Muskelfaser-Konstruktion, Problemen von Bioreaktor-Kulturen und der Wirtschaftlichkeit grossindustrieller Muskelgewebeproduktion.
Die Forscher aus den USA, den Niederlanden und Neuseeland, die dort zusammentreffen, verstehen sich vor allem als Pioniere einer gar nicht allzu fernen Zukunft. "In fünf bis zehn Jahren kann man im Geschäft künstlich hergestelltes Hackfleisch kaufen", ist Lindström überzeugt. Vielleicht auch Chicken Nuggets und Leberwurst. Für Steaks und Koteletts werde es aber noch ein wenig länger dauern.
Gewebezüchtung ist keine Zukunftsmusik. Aus einer tierischen Stammzelle können schon heute in einer Nährschale Muskelzellen und ein wachstumsfähiges Gewebe gezüchtet werden. Anfänglich dünne Muskelfasern kann man durch leichte Stromstösse "trainieren" und zu dickeren Fasern heranwachsen lassen. Der nächste Schritt, und daran bastelt man gerade, ist die Nährstoffversorgung mehrschichtiger Fasergebilde und die Kombination von Muskel- und Fettgewebe. Die NASA hält es für möglich, mit solch künstlich produziertem Fleisch irgendwann Astronauten auf langen Weltraumflügen versorgen zu können. Aus einer einzigen Zelle könne man den weltweiten Fleischbedarf für ein ganzes Jahr herstellen, sagt der US-Biologe Jason Matheny. Im Prinzip.
Eigentlich gebe es nur Vorteile mit Laborfleisch, meint Lindström. An erster Stelle natürlich der Tierschutz. Entsprechendes "Design" könne aber künstlich hergestellte Produkte für den Konsumenten auch wesentlich nahrhafter und - da beispielsweise ohne Schwermetall- oder Antibiotikabelastung - gesünder machen. Vermutlich sei irgendwann auch die Produktion billiger und die Umwelt werde gleich mehrfach entlastet. So produzieren die Tiere keine Gülle mehr, die Böden und Gewässer verunreinigt. Schluss ist auch mit der immensen Wasserverschwendung: Für die Produktion von 100 Gramm Rundfleisch werden 7000 Liter Wasser verbraucht. Und auch dem Klima würde ein Ausstieg aus der animalen Fleischproduktion gut tun. Der Norweger Stig Omholt hat errechnet, dass der Anteil der Fleischproduktion an der weltweiten Klimagasproduktion von derzeit 18 Prozent, das ist mehr als der ganze Transportsektor, mit Laborfleisch auf nur noch 2 Prozent sinken würde.
Doch grundlegende Fragen sind ungelöst: Die Nährlösung für die Zellkulturen ist zu teuer. Wie man das Kunstfleisch von Geruch, Geschmack oder Struktur her dem natürlichen anpassen könnte, ist noch weithin Theorie. Und wer mag eigentlich Laborfleisch essen? Wer an die Alternative denkt, die Massentierhaltung und die Schlachthöfe, meint Lindström.
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