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Künstlerverachtung aus der Parteizentrale

Die italienischen Intellektuellen und die weich gespülten Berlusconi-Gegner: Der Filmregisseur Nanni Moretti wirft der Linksopposition Versagen vor

Es war eine schallende Ohrfeige, die der Filmregisseur Nanni Moretti am vergangenen Samstag in Rom den Politikern der Mitte-Links-Opposition versetzte: 5.000 Kundgebungsteilnehmer waren auf der Piazza Navona zusammengeströmt, um gegen Berlusconis Umgang mit der Justiz zu protestieren.

Einigermaßen lustlos, wie immer in den letzten Monaten, war die gesamte Führungsspitze des Ulivo-Bündnisses – Francesco Rutelli, Piero Fassino, Massimo D’Alema und all die anderen – auf dem Podium versammelt. Die Kundgebung war schon gelaufen – da trat Moretti ans Mikro. Ein paar Sätze wie Peitschenhiebe: „Die Linkswähler haben das Spektakel ihrer Führungsleute nicht verdient. Mit dieser Sorte Parteiführern werden wir niemals gewinnen.“

Rutelli und Fassino verrutschten die Gesichtszüge – doch fünf Minuten später hatten sie sich wieder gefangen. War da was? Ein „Künstler“ habe da gesprochen, verfügte Rutelli, und in seiner Stimme schwang Verachtung. Die gleiche Verachtung, die D’Alema jedes Mal spüren lässt, wenn er das Wort Intellektueller in den Mund nimmt. Das ist die Crux des italienischen Mitte-Links-Bündnisses: Stimmen aus der Welt der Kultur gelten heute nur noch als lästig. Nicht, dass sie so rar wären, stört die Chefs der Opposition – gegen Berlusconi polemisieren immer die Gleichen: die Schriftsteller Antonio Tabucchi, Andrea Camilleri, Vincenzo Consolo –, sondern dass sich da überhaupt noch jemand meldet, der die Beschlusslage mit womöglich zu radikalen Anti-Berlusconi-Tönen unterläuft. Soft habe die Opposition zu sein, konstruktiv und kein bisschen schrill, verfügt D’Alema – da stören Intellektuelle nur, die Berlusconi immer noch für einen Skandal halten. Die verschrecken angeblich die Wähler.

Dumm nur, dass die Basis das ganz anders sieht. Hunderte Anrufe, Faxe, E-Mails gingen in den letzten Tagen in den Parteizentralen der Linksdemokraten und der anderen Ulivo-Parteien ein, alle mit dem gleichen Tenor: Endlich hat euch mal einer die Wahrheit gesagt. Moretti ist der neue Star der frustrierten Linkswähler. Die haben bisher ohnmächtig zusehen müssen, wie ihre Politchefs jede Regung intellektueller Energien gegen Berlusconi mit genervtem Achselzucken beantworteten. Der Komiker Luttazzi mit seinen Schmähreden auf die Rechte? Ein Brunnenvergifter. Die Zeitschrift MicroMega mit ihren Kampagnen zu Berlusconis Prozessen? Radikalinskis im Minderheitenghetto. Bloß mit entschlossen weich gespültem Modernisierungskurs seien Wahlen zu gewinnen, verkündet seit Jahr und Tag Massimo D’Alema – derweil sind die Linksdemokraten in den Umfragen bei erschütternden 13 Prozent gelandet. Weniger diese 13 Prozent als der Basisaufschrei nach Morettis Auftritt haben jetzt für neue Töne gesorgt.

Piero Fassino, seit letztem November Vorsitzender der Linksdemokraten, ließ alle Welt wissen, Moretti sei sein Freund, und überhaupt wolle er sich jetzt ganz dringend mit dem Regisseur samt ganz vielen anderen Intellektuellen treffen; die Partei „brauche“ diese Leute. Ganz viel Dialog soll plötzlich sein; doch der wird nicht leicht in die Gänge kommen. Ein schönes Beispiel fürs Gespräch zwischen Parteifürsten und den ihnen entfremdeten linken Denkern liefert die neue Nummer von MicroMega. Auf Seite 202 folgt da gleich Seite 251. Kein Druckfehler: 50 Seiten fehlen. Ein Streitgespräch zwischen dem Zeitschriftenchef Paolo Flores D’Arcais und Massimo D’Alema sollte da stehen; doch dann zerstritten die beiden sich sogar über die Druckversion, weil Herr D’Alema nachträglich seinen Gesprächspart neu schreiben wollte – und weil Herr D’Arcais sich darob weigerte, „einen nie erfolgten Dialog“ in den Druck zu geben. MARINA COLLACI

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