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Künstlerhaus Tacheles vor dem AusKultur-Ballermann gegen Geld-Goliath

Das Tacheles soll geräumt werden. Die Grundstückseigentümerin will das Gelände verkaufen. Dass es keinen Investor gibt, stört sie nicht. Eine absurde Posse aus der Hauptstadt.

Inzwischen ein touristischer Erlebnispark: das Tacheles. Bild: dpa

BERLIN taz | "Die kreative Mitte Berlins darf nicht zerstört werden!" Mit diesem dramatischen Appell wenden sich Vertreter des Berliner Künstlerhauses Tacheles an Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen. In dem offenen Brief, den die Künstler letzte Woche gen Norden schickten, wehren sie sich gegen die drohende Räumung ihres Hauses durch die HSH Nordbank.

Reagiert hat bisher nur die Hamburger "Linke": Sie will mit den Künstlern in der ersten Februarwoche eine Pressekonferenz im Rathaus veranstalten, auf der auch rund 70.000 gesammelte Unterschriften für den Erhalt des Tacheles verteilt werden sollen. An wen auch immer. Eigentlich hätten die Unterschriften den Bankvorständen der HSH Nordbank übergeben werden sollen. Aber auch hier kam kein persönlicher Kontakt zustande. "Notfalls werfen wir die Unterschriften irgendwo ab", sagt Tacheles-Vorstand Martin Reiter kampfeslustig.

Die geplante Pressekonferenz ist das vorläufig letzte Gefecht in einem langen Kampf zwischen Kunst und Immobilienmarkt, zwischen Hinterhauskreativität und globalisiertem Kapital, zwischen David und Goliath. Und ähnlich wie in anderen Städten sieht es auch in Berlin-Mitte für David nicht gut aus.

Geschichte

1909 eröffnete die pompöse "Friedrichstadtpassage", ihre fünfgeschossige Stahlbetonkonstruktion galt als ultramodern. Doch das Kaufhaus ging pleite und wurde 1914 zwangsversteigert. Ab 1928 nutzte die AEG das Haus, während der Nazizeit die SS und in der DDR der FDGB. Im Krieg wurden Teile des Gebäudes beschädigt. In den Achtzigern begann man, das Tacheles abzureißen, weil eine Straße quer über das Gelände geplant war. Künstler besetzten 1990 das Gebäude, verhinderten den Abriss und erreichten, dass das Tacheles unter Denkmalschutz gestellt wurde.

1998 einigten sich die Künstler mit der Eigentümerin Fundus-Gruppe auf einen Mietvertrag. Für Touristen wurde die bemalte Ruine an der Oranienburger Straße zum Berlin-Mekka. Der mit Sand- und Schrottskulpturen gefüllte Garten, das Treppenhaus mit den vielen Künstlerateliers, das Kino High End und die Konzerte im Café Zapata vermitteln eine Ahnung von der Nachwende-Aufbruchszeit in der das Künstlerhaus entstand. Etwa 10 Millionen Touristen haben das Tacheles seit seinem Bestehen besucht. Doch seit 1. 1. 2008 sind die Künstler wieder Illegale in ihrem Haus. Das Grundstück soll zwangsversteigert werden, die derzeitige Besitzerin, die HSH Nordbank, droht mit Räumung.

Am 13. Februar will das Künstlerhaus Tacheles trotz allem seinen 20. Geburtstag mit einer Gala feiern, Künstler Jonathan Meese hat bereits zugesagt.

In den großen Städten ist derzeit ein Prozess im Gang, den Stadtplaner "Gentrifizierung" nennen: Durch Aufwertung von Stadtteilen werden einkommensschwache Bevölkerungsschichten an den Stadtrand verdrängt, die innerstädtische "Premiumlage" wird zum Tummelplatz für Investoren und Standortvermarkter. Das ist im Hamburger Gängeviertel so, wo ein holländischer Investor historische Arbeiterwohnungen aus dem 19. Jahrhundert plattmachen will, um darauf Geschäftsbauten zu errichten. Und das droht an der Berliner Friedrichstraße, wo mit dem graffitibesprühten Künstlerhaus jetzt auch noch der letzte Farbtupfer einer gleichförmigen "City"-Architektur weichen soll. Und das, obwohl es noch nicht einmal zahlungskräftige Investoren gibt.

Der Fall Tacheles ist besonders absurd. Denn hier stilisieren sich Künstler als "kreative Mitte", denen über die Jahre jede Utopie abhandengekommen ist. Und eine Bank, die seit der Finanzkrise überwiegend in staatlichem Besitz ist, spielt sich als große Investorin auf.

Die ganze Geschichte geht so: 1990 besetzten Ostberliner Künstler die kriegszerstörte Kaufhausruine, um sie vor dem Abriss zu retten. 1998 erreichten sie eine Vereinbarung mit der Kölner Fundus-Gruppe, die das Gelände erworben hatte: Die Kreativen dürfen das Gelände zehn Jahre lang für symbolische 50 Cent im Monat nutzen, müssen aber alle Instandhaltungskosten der Ruine selbst tragen. Das funktionierte neun Jahre lang gut. Das Areal an der Friedrichstraße mit seinem wilden Skulpturengarten wurde zur international bekannten Adresse für schrägen Berlinschick. Die Künstler waren da schon längst so zerstritten, dass sie sich gegenseitig mit Räumungsklagen drangsalierten.

Die Fundus-Gruppe, der unter anderem das Grand Hotel in Heiligendamm und das Hotel Adlon gehören, wartete derweil in Ruhe auf die Wertsteigerung ihres Grundstücks. Das wollte man mit einem Premium-Ensemble aus Wohn- und Büroflächen bebauen - mit der denkmalgeschützten Tacheles-Ruine als "Kreativinsel". Doch 2007 konnte Fundus die Bankkredite für das Grundstück nicht mehr bedienen. Die Gläubigerbank übernahm und beantragte die Zwangsversteigerung.

Seit dem 1. 1. 2009 sind die rund 30 Künstlerateliers, das Kino High End, das Theater und die Musikkneipe Café Zapata illegal im Gebäude. Die Künstler baten um Verlängerung des Mietvertrags, rauften sich notdürftig zusammen und arbeiteten ein umsatzorientierteres Zukunftskonzept aus. Sie erwogen sogar, das Gebäude selbst zu erwerben - doch die Bank ließ alle Verhandlungen platzen.

Die HSH Nordbank hat für das 24.000 Quadratmeter große Areal in bester Citylage andere Pläne: Sie will es in 16 Teilgrundstücken meistbietend an einen Investor versteigern. Obwohl bisher weit und breit niemand in Sicht ist, der die insgesamt 30 Millionen Euro Verkehrswert aufbringen könnte, sollen die Künstler raus. Und zwar lieber heute als morgen.

Um die Sache ein wenig zu beschleunigen, rechnete die HSH Nordbank kürzlich aus, wie viel Miete ihr durch die "Kunstbesetzer" bisher entgangen ist. Und schickte dem Tacheles eine Klage über rund 108.000 Euro ausstehende "Nutzungsentschädigungen". Bei Nichtbezahlung droht die Räumung. Die Künstler, die zuvor lediglich 50 symbolische Cent im Monat zahlen mussten, beantragten daraufhin Insolvenz. Und rechnen nun täglich damit, auf der Straße zu stehen. "Wir haben schon einige angedrohte Räumungen überlebt, doch diesmal ist es wirklich ernst", sagt Tacheles-Vorstandsmitglied Martin Reiter.

Die Situation steht in krassem Gegensatz zu den Verhältnissen am Immobilienmarkt. Eine Luxusbebauung für 400 bis 600 Millionen Euro, wie sie der ehemalige Eigentümer Fundus 2003 vom Bezirksamt Mitte genehmigen ließ, ist unwahrscheinlicher denn je. Trotzdem hält die Gläubigerbank stur an ihrem Konzept fest.

Es bleibt der Verdacht, dass sich Fundus und HSH Nordbank durch eine Zwangsversteigerung gesundstoßen werden. Am Ende wird das Gelände meistbietend verscherbelt und endet als Spekulationsbrache für zukünftige Investorenträume. Ohne die Künstler, die das öde Stück Land bisher bestellt haben. Gegen dieses hirnrissige Immobiliengeschacher hat sich in der Stadt bislang nur vereinzelt Widerstand gebildet.

Anders als für das Hamburger Gängeviertel, wo Künstler die Gebäude besetzten und damit breite öffentliche Unterstützung fanden, gibt es noch keine große Solidaritätswelle für das Tacheles. Das könnte unter anderem daran liegen, dass der Ort inzwischen viel von seinem Nachwendecharme eingebüßt hat. Aus einem Skulpturengarten mit den umgestürzten Autos im Sand und wilden Technopartys im Keller wurde ein touristischer Erlebnispark mit Ballermann-Atmosphäre. Nicht von ungefähr werben die Tacheles-Macher kurz vor ihrem 20. Geburtstag damit, mit 300.000 Besuchern im Jahr ein "Touristenmagnet" zu sein. Für Berliner liegt die "kreative Mitte" längst nicht mehr an der Friedrichstraße.

Dennoch ist das Tacheles der einzige Ort, der inmitten einer geleckten Innenstadtmeile noch ein wenig Persönlichkeit aufweist. Man kann sich an ihm reiben. Darum verdient dieser Ort eine Zukunft. Ebenso wie es Städte verdienen, als lebendiger Lebensraum für Menschen behandelt zu werden. Und nicht als Marketingstandorte mit austauschbaren Oberflächen ohne Inspiration.

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3 Kommentare

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  • N
    Neu-Besetzung

    Wenn es einen Beleg für die heillose Zerstrittenheit der Tacheles-Mannschaft gibt, dann doch wohl solche hausinternen Schuldzuweisungen gegen das Cafe Zapata und die Betreiber der Freifläche wie sie Gogo vorbringt. Spiegelbildliche Vorwürfe sind freilich ebenso von der anderen Seite zu hören: http://www.cafe-zapata.de/p_berichte.htm

     

    Faktisch leisten alle verfeindeten Fraktionen bei aller Feindschaft immer wieder hervorragende Arbeit, erinnert sei etwa an die Ausstellung von Ina Artemova oder an die Live-Auftritte der Berliner Avantgardisten A.M.T im letzten Jahr.

     

    Angesichts der internen Auseinandersetzungen jedoch sieht es düster aus für das Tacheles: Wer nicht gemeinsam handlungsfähig ist, ist es gar nicht. Vielleicht sollte man das Tacheles einfach neu besetzen und Ballermann-Touris und Betreiber rauswerfen... Das Hamburger Gängeviertel ist Vorbild genug, dass es auch Möglichkeiten gibt, gemeinsam gegen Gentrifizierung vorzugehen. Aber vielleicht ist Berlin dazu nicht mehr politisch genug.

     

    Doch schade wäre es um das Gebäude und die Aktivitäten, die von ihm ausgehen, allemal.

  • G
    GoGo

    Leider falsch! Die Künstler im Haus waren und sind nicht zerstritten: Das Konzept des Hauses sieht vor, dass u.a. das Cafe Zapata neben anderen Gewerbebetrieben die Kunstprojekte querfinanzieren, doch die zahlen seit 2001 weder Miete noch Betriebskosten. Ein gemeinütziger und nichtsubventionierter Verein wie der Tacheles e.V. kann nicht darauf verzichten. Würde der Vorstand im übrigen hier nicht den Rechtsweg der Klage beschreiten , macht er sich unmittelbar strafbar.

    Der Verein distanziert sich zudem ausdrücklich von den Trittbrettfahren auf der Freifläche und dem Cafe Zapata. Leider wird das in der Presse immer und immer wieder in einen Topf geworfen. Die Künstler kochen dabei schon lange nicht mehr in der eigenen Suppe: seit 2000 werden die 30 Ateliers jährlich + neu! an Bewerberinnen aus aller Welt zum Selbstkostenpreis vergeben.

    Es gibt für das Haus nur eine vernünftige betriebliche Perspektive: Die Überführung des Gebäudes nebst Grundstück in eine möglichst eigenständige Kunststiftung.

    Da das Haus quasi ohnehin dem Staat gehört, kostet dieses Verfahren dem Steuerzahler keinen Cent.

  • P
    pseudokritik

    Ist ja alles richtig,

     

    Aber wenn die Eigentumverhältnisse klar sind, kann man formal nichts machen. Oder man besetzt das Gelände und hofft auf Öffentlichkeit und große Aufmerksamkeit.

     

    Trotzdem müsste dann einer bereit sein zu zahlen.

     

    Und wer soll das sein?

     

    Die Stadt etwa?

     

    Die Linke?

     

    Immer wenn es ans Geld geht, werden die "Revolutionäre" dann kleinlaut.