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Künstlergruppe Rimini-Pro­tokollAnstoß für lebendige Debatten

Eine Installation der Künstlergruppe Rimini-Pro­tokoll führt nach Burg Hülshoff, Geburtsort von Annette von Droste zu Hülshoff – und in den Wald.

Der Wald in der Nähe von Münster als Bühne: Annette von Droste zu Hülshoff trifft Rimini-Protokoll Illustration: Sebastian König

Havixbeck taz | Neidische Blicke streifen ihn und das ein oder andere wohlwollende Lächeln. Bis Burg Hülshoff, das lohne sich, rufen die Kollegen. Der Taxifahrer schaltet das Navi ein. Von Münster ist es nicht weit bis nach Havixbeck, zehn, zwölf Kilometer vielleicht. Doch der öffentliche Nahverkehr lässt einen wochenends im Stich. Manche empfehlen eine Fahrradtour. Mit Rollkoffer unmöglich.

Ich nehme ein Taxi in Richtung Westen. Eilig schnellt das Taxameter in den zweistelligen Bereich, der Fahrer sucht Orientierung. „Nach Schonebeck oder Havixbeck?“ Keine Ahnung! Ich bin nicht von hier. Offenbar stimmt beides. Bald schon werden die Straßen leerer, gesäumt von Pflegediensten und Alterswohnsitzen mit boden­tiefen Fenstern.

Burg Hülshoff, so hatte ich gedacht, kennt hier jeder, den Geburtstort der Dichterin Annette von Droste zu Hülshoff (1791–1848). Mit dem Center for Literature (CfL) bespielt die Annette-von-Droste-zu-Hülshoff-Stiftung seit 2018 den Ort. Durch diese Arbeit, so heißt es auf der Website, „transformieren sich Burg und Landhaus zu offenen Foren. Kunst wird hier Anstoß für lebendige Debatten.“

Kunst im Wald statt Feier

Kunst wird zurzeit im Wald (noch bis 9. Oktober 2022) gezeigt. In der Installation. „16 Szenen für einen Wald“ des Regiekollektivs Rimini-Protokoll, die sich auf Droste-Hülshoffs 1842 veröffentlichte Novelle „Die Judenbuche“ bezieht. Die Fahrt dorthin führt vorbei an Fachwerkhäusern, die sich hinter immergrünen Hecken ducken, an überdimensionalen Autohäusern und vermeintlich italienischen Eiscafés.

Ob ich auf Burg Hülshoff zu einer Hochzeit wolle, fragt mich der Fahrer und auch, ob wir hier richtig seien. Keine Ahnung. Ich bin ja nicht von hier. Und nein, murmele ich, ich besuche „eine Kunst-Installation im Wald“. Er resümiert: „Also Arbeit.“

Die von Kastanien gesäumten Straßen werden schmaler. Wir passieren Laub fegende Eigenheimbesitzer und windschnittige Fahrradfahrer. Der Himmel hängt tief über den abgeernteten Feldern, am Horizont dreht sich ein einzelnes Windrad.

Hochsitze zwischen Buchen

Der Parkplatz vor Burg Hülshoff ist so leer, dass der Taxifahrer mich erst aussteigen lässt, als ich meine Kontaktperson, eine Mitarbeiterin des CfL, anrufe. Mit ihr gehe ich durch den Park, ziehe meinen Rollkoffer über knirschende Kies- und matschige Waldwege, werfe einen Blick auf Burg und Graben und in das angrenzende Hirschgehege. Es riecht nach feuchtem Laub und Erde.

Acht Jägersitze schimmern durch den Wald. Bis zu dreieinhalb Meter sind sie hoch. Jeder mit einem Tablet und einem Lautsprecher ausgestattet. Vorsichtig klettere ich hoch, blicke abwechselnd auf den Bildschirm, über den Droste-Hülshoff-Zeilen wippen, und durch ein am Geländer baumelndes Fernglas. „Schau dir den Aufschneider an!“, schallt es aus einem der Lautsprecher, aus einem anderen echot ein Räuspern. „Da drüben ist er, der Friedrich Mergel“, ruft jemand. Von irgendwoher die Antwort: „Das bin ich.“

Häusliche Gewalt, Alkoholismus, Antisemitismus und Korruption. Ausgehend von den Themen der „Judenbuche“, haben Helgard Haug und Daniel Wetzel mit Menschen aus und in Münster gesprochen und schließen diese mit dem Originaltext kurz. Eine unheimliche Mischung aus Hörspiel und Naturbetrachtung. Im besten Fall mit Mitspielern auf den anderen Hochsitzen. Heute sind keine da. Stattdessen ein welkes Blatt, eine gurrende Taube, ein Vogelzwitschern. Aus dem Lautsprecher, aus dem Wald? Ich suche die hohen Buchen ab. Da splittert Glas, fällt ein Schuss. Eine Taube flattert vorbei und noch ein Blatt. Die Installation schließt, ein Unbehagen bleibt.

Vor Burg Hülshoff brechen sich die Sonnenstrahlen in den milchigen Scheiben der Bushaltestelle. Ich rufe ein Taxi.

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