Künstler über 90 Jahre Antifaschistische Aktion: „Nazis auf den Fersen bleiben“
Die Antifaschistische Aktion feiert Jubiläum. Bewegungs-Chronist Bernd Langer spricht über Kontinuitäten und Herausforderungen für die Antifa heute.
taz: Herr Langer, die Antifaschistische Aktion wurde auf einem von der KPD ausgerichteten Kongress am 10. Juli 1932 in Berlin ausgerufen, um den Selbstschutz der Arbeiter gegen die NSDAP zu organisieren. Wieso werden Slogan und Symbol 90 Jahre danach immer noch verwendet?
Bernd Langer: Sie werden ja nicht gradlinig verwendet, sondern haben eine starke Veränderung hinter sich. Das Logo besteht heute nicht mehr aus zwei roten Fahnen, sondern einer roten und einer schwarzen, die außerdem die Richtung geändert haben. Schon das zeigt, dass es einen historischen Bruch gegeben hat. Gleichwohl besteht weiterhin die Herausforderung, auf den Faschismus mit antifaschistischer Organisierung zu reagieren. Das ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
Meint Antifaschismus nur gegen Faschismus zu sein?
Ursprünglich stammt der Begriff aus der kommunistischen Bewegung, wo zwischen Antifaschismus und Antikapitalismus nicht unterschieden wurde. Heute gibt es da verschiedene Auffassungen, eine einheitliche ideologische Klärung dieser Frage ist nicht möglich. Aber der Antifaschismus, der sich auf die Antifaschistische Aktion beruft, hat grundsätzlich das Gesamte im Blick. Demnach ist der Faschismus nur möglich aufgrund des kapitalistischen Profitsystems; der Kampf gegen den Faschismus ist immer auch gegen den Kapitalismus gerichtet.
In den 1930ern konnte die Antifaschistische Aktion den Sieg des Faschismus nicht mehr aufhalten und wurde nach nur einem halben Jahr zerschlagen. Wann und wie kam es zum Revival einer antifaschistischen Bewegung?
62, seit 1977 aktiv in der autonomen Antifa-Bewegung und Entwickler des heute verwendeten Antifa-Logos mit roter und schwarzer Fahne. In den 1990ern gehörte er zur Antonomen Antifa (M) in Göttingen, Teil der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO). Seit 2001 lebt er in Berlin, hat zahlreiche Bücher über die Geschichte revolutionärer, antifaschistischer Bewegung verfasst und arbeitet als Künstler; Kunst und Kampf heißt sein Projekt.
Na ja, zunächst überwog nach 1945 die moskautreue Linie, bestimmt durch die KPD und später die VVN. Im Zuge der 1968er Bewegung entstand eine neue antiautoritäre Linke, die der Politik der Sowjetunion teilweise konträr gegenüberstand. Eine Zusammenarbeit mit der 1968 als KPD-Nachfolgeorganisation entstandenen DKP bzw. der VVN gestaltete sich schwierig. Letztlich entstand aus der Neuen Linken in den 1970er Jahren eine neue Antifa-Bewegung. Die griff das Symbol der Antifa-Aktion wieder auf. Es stammte aus der linksradikalen Geschichte, stand für militanten Antifaschismus und unterschied sich deutlich vom roten Dreieck-Logo der VVN.
Welche Entwicklung nahm die Bewegung dann?
In den 1970ern hat sich die neue Antifa-Bewegung etabliert. Es entwickelten sich Basis-Initiativen, es gab Aktionen wie Rock gegen Rechts und es gelang rechte Mobilisierungen zurückzudrängen. In den 1980ern gab es dann eher den Ansatz der klandestinen, aber gleichzeitig bundesweiten Organisierung; aber Antifa blieb ein weniger beachteter Teilbereichskampf. Anti-AKW, -Nato oder Hausbesetzerbewegung standen viel mehr im Fokus. Mit der Wiedervereinigung und der großen rechtsradikalen Mobilisierung wurde Antifa dann zur breiten Bewegung und löste quasi die alte autonome Bewegung ab.
Davon ist heute nicht viel übrig: weniger Gruppen, keine großen Bündnisse. Ist die Antifa-Bewegung in der Krise?
Antifa würde ich heute eher als eine politische Szene beschreiben, doch nach wie vor existieren etliche Basisgruppierungen. Natürlich ist die Situation in keiner Weise mit den 1990er Jahren zu vergleichen, aber ich sehe das nicht so pessimistisch. Wenn sich große rechte Mobilisierungen auf den Straßen zeigen, dann stellen sich ihr Leute entgegen. Die Bewegung kann sich schnell wieder aktivieren. Abgesehen davon ist ein Teil der Strukturen auch in staatlichen Institutionen aufgegangen. Das kann man bedauern oder als Verrat empfinden – beides tue ich nicht – aber so wirkt natürlich auch vieles fort.
Gründung Am 10. Juli 1932 fand in der Berliner Philharmonie der „Reichseinheitskongress“ der KPD statt, der die „Antifaschistische Aktion“ ausrief. 1.500 Delegierte beschworen den „geschlossenen roten Massenselbstschutz der Arbeiter, Erwerbslosen und Werktätigen“ gegen die NSDAP. Der Aufruf sollte auch SPD-Anhänger überzeugen. Eine Einheit mit der Sozialdemokratie scheiterte aber daran, dass die KPD-Führung an der Sozialfaschismusthese festhielt, die die SPD als Hauptfeind markierte. Mit der Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 war ihr Ende besiegelt.
Gedenken Zum 90. Jahrestag gibt es am Samstag, 9. Juli, um 18 Uhr, im Tommy-Weisbecker-Haus eine Podiumsdiskussion zu verschiedenen Perspektiven antifaschistischer Bewegung. Am Sonntag, ab 14 Uhr, gibt es am Ort der Alten Philharmonie in der Bernburger Straße 22a/23 eine Kundgebung, bei der auch eine Gedenktafel angebracht werden soll. (epe)
Das öffentliche Bild hat sich verschlechtert, „Antifa“ wird in den letzten Jahren immer mehr als Feindbild markiert.
So einfach kann man das nicht sagen. Antifaschismus an sich gehört zum Mainstream, jeder will in gewisser Weise Antifaschist sein. Aber die Frage ist, welcher Antifaschismus gemeint ist. Sobald diese beiden Fahnen auftauchen, dieses Emblem, gilt man als linksextremistisch und wird ausgegrenzt. Das hat sicherlich in letzter Zeit eine Steigerung erfahren. Es ist heute schwieriger als noch vor einigen Jahren, das Symbol auf Bündnisplakate mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zu drucken.
Ist es dann eigentlich richtig an diesem Namen, dieser Symbolik festzuhalten?
Ja, selbstverständlich. Es macht eine gewisse Linie klar; sagt aus, dass man unabhängig von staatlichen Strukturen ist, undogmatisch, basisdemokratisch und auch antikapitalistisch agiert. Und auch, dass man dem Faschismus mit allen Mitteln begegnet, also auch militant. Man muss diese Militanz nicht so hoch hängen, das ist kein Politikansatz, aber es gehört eben dazu. Der Faschismus lässt sich nicht nur mit dozierenden, aufklärerischen Worten bekämpfen. Bei den bürgerlichen Kräften ist aber an diesem Punkt die Diskussion beendet. Das ist die Grenzlinie.
AfD, Verschwörer oder die sich zuspitzende soziale Krise: Was ist die zentrale Aufgabe für die Antifa-Bewegung heute?
Dieser Frage wollen wir uns mit unserer Diskussion diesen Samstag stellen. Ich denke, Antifa muss darauf reagieren, dass sich in der Verbindung von AfD, Reichsbürgern und Querdenkern eine neue reaktionäre Szene gebildet hat, auch auf die Verbindung dieser Szene mit Putins Russland. Das andere ist, Nazis, sobald sie sich zeigen, auf den Fersen zu bleiben und sie zu bekämpfen. Das ist und bleibt die originäre Aufgabe des Antifaschismus.
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