Künstler im Wahlkampf: Sie opfern ihre Freiheit der Macht
Leichtfertig werben Schriftsteller für Parteien. Die Schriftstellerin Tanja Dückers meint, Intellektuelle sollten eine andere Rolle spielen.
Es gibt Grund genug, sich in den Wahlkampf einzumischen: Wir werden mit Billigung der Bundesregierung in einer Weise überwacht, gegen die Georg Orwells Visionen harmlos erscheinen, wir erleben angesichts von bedrückenden Klimaprognosen hilflose Politiker, wir nehmen staunend zur Kenntnis, dass die von der Regierung geretteten Banken die gleichen unseriösen Geldprodukte verkaufen wie ehedem.
Wenn man sich unsere Gesundheits- und Sozialpolitik vor Augen führt, erleben wir eine Renaissance der Klassengesellschaft, gar nicht zu reden vom versuchten Ausverkauf von Allgemeingut (Stichwort: Wasser). Wir blicken auf eine zerrüttete EU-Politik mit unklaren Folgen für die Zukunft, wir werden Zeugen einer katastrophalen Flüchtlingspolitik an den Küsten Europas.
Die Frage ist nur: Wie reagieren Intellektuelle auf all diese Missstände? Wie mischen sie sich ein? In den vergangenen Jahren haben sich die Parteien darauf kapriziert, Schriftsteller und Kulturschaffende für sich zu gewinnen. Ihr Vorteil aus solch einer Anwerbung ist evident. Einige Parteien haben ihre klassischen Stammwähler verloren, sie müssen sich, wie die SPD, neue Milieus erschließen. Die FDP wiederum möchte schicker, jünger aussehen, vom Image der Zahnarzt- und Anwaltspartei wegkommen.
Aber warum sollten Künstler – abgesehen vom gelegentlichen kritischen Austausch mit Politikern – parteipolitische Werbung machen? Nicht nur Günter Grass, den mit der SPD eine lange persönliche Geschichte verbindet, auch jüngere Kollegen finden sich auf Podien ein und geben ihre politische Farbwahl bekannt. Warum sollten sie sich freiwillig, ohne Not, an die Seite der Macht oder der Macht von Morgen stellen?
Denkfaulheit und Bequemlichkeit
Die Schriftstellerin und Essayistin ist 44 Jahre alt und lebt in Berlin. Sie ist Autorin mehrere Romane, politischer Essays und Gedichte. Dückers organisierte u. a. Soli-Lesungen für die Berliner Kältehilfe. Zuletzt erschien: „Fundbüros und Verstecke. Gedichte“ (2012)
Sie, die wie nur wenige auf der Welt keine Firma, keine Institution oder gar den Staat als Arbeitgeber im Rücken haben oder vertreten müssen, die nur für sich stehen und dennoch öffentlich viel Gehör finden, sollten die Freiheit ihrer fabelhaften unabhängigen Position niemals aufgeben!
Wenn man bedenkt, dass die versuchte Verpflichtung der Literatur auf Propagandazwecke in diesem Land erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit – 1945 bzw. 1989 – überwunden wurde, kann es einen wundern, wie leichtfertig Künstler, insbesondere Schriftsteller, heute bereit sind, sich einer Partei zur Verfügung zu stellen. Sie geben den Posten des neutralen Beobachters auf, obwohl sie auf ihrem ureigenen Feld, der Literatur, sehr gut politische Fragen verhandeln können – kaum ein Werk von Weltrang, das nicht von innen heraus ein gesellschaftspolitisches Porträt liefert.
Sich unisono einer Partei zur Verfügung zu stellen bedeutet Ja sagen zu zig Positionen, denen man für sich betrachtet oft nicht zustimmen würde; das hat mit einem unabhängigen Urteil nichts zu tun. Von den Medien wird der Schriftsteller dann für die nächsten Jahrzehnte als Teil dieser Machtsphäre wahrgenommen. Das haftet ihm an, ob die Partei, die er beworben hat, vielleicht in einen Krieg zieht oder uns ausspähen lässt oder nicht.
Warum also das grassierende parteipolitische Engagement? Ich fürchte, da sind Denkfaulheit und Bequemlichkeit im Spiel: Man will ein bisschen politisch sein, das ist wieder hip, aber zu viel Arbeit möchte man sich nicht machen.
Positionen ja, Parteien nein
Also: einfach mitmachen, im Blitzlichtgewitter stehen, unterschreiben, Ja Sagen, anstatt für sich selbst zu erörtern und zu formulieren, was genau einem änderungsbedürftig erscheint, wogegen man protestieren oder wofür man mit Verve eintreten möchte. Natürlich kann und sollte man als Intellektueller für bestimmte Inhalte und Positionen eintreten, aber nicht mit Haut und Haaren für eine ganze Partei.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin gebeten worden, Wahlkampf zu betreiben – von einer Partei, der ich vermutlich meine Stimme geben werde. Ich habe abgelehnt. Nicht weil ich unpolitisch bin, sondern gerade weil ich politisch bin. Unter politisch sein verstehe ich bei Intellektuellen: unabhängig im Urteil zu sein und Distanz zur Macht zu wahren.
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