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Kühle Schocktherapie

Amerikas private Colleges sind zunehmend in Finanznot. Das ehemals liberale Bennington College ergiff nun rüde Gegenmaßnahmen  ■ Von Annette Jander

Ein Stützpfeiler des amerikanischen Bildungswesens ist ins Wanken geraten: Viele der privaten liberal arts colleges in den USA sind seit mehreren Jahren in finanziellen Nöten, manche haben bereits dichtmachen müssen. Die meist kleinen Ausbildungsstätten (250 bis 1.000 Studierende) für künstlerisch orientierte StudentInnen verzeichnen einen Zulaufschwund, der insofern fatal ist, als sich die Colleges ausschließlich über Studiengebühren und Spenden der „Ehemaligen“ finanzieren. Da sich inzwischen – auch rezessionsbedingt – die wenigsten Gebühren von bis zu 26.000 Dollar pro Jahr leisten können, gingen die Colleges in den achtziger Jahren dazu über, finanzielle Hilfspakete anzubieten: das Studium im Sonderangebot, zum Teil allerdings mit staatlicher Hilfe.

Neben sehr konservativen, religiös beeinflußten Colleges, gibt es auch solche, die als sehr liberal und innovativ im Umgang mit StudentInnen und der Kunst gelten und oft eine Vorreiterrolle im amerikanischen Bildungssystem hatten: Oberlin College beispielsweise hat als erste Institution Schwarze zugelassen, und Antioch College (beide im sonst eher faden Ohio angesiedelt) ließ Mitte des letzten Jahrhunderts als erstes College Frauen die gleichen Fächer studieren wie männliche Studenten.

Die meisten liberal arts colleges liegen an der Ostküste. Einen besonders innovativen Ruf hat Bennington College im ländlichen Vermont. Es wurde 1936 von Anhängern des Erziehungswissenschaftlers John Dewey als reines Frauencollege gegründet – mit dem Ziel, begabte Studentinnen in den künstlerischen Entstehungsprozeß einzubinden. So entwickelte beispielsweise Martha Graham ihren einzigartigen Tanzstil zusammen mit Bennington-Studentinnen, Erich Fromm unterrichtete und Bernard Malamud schrieb seine Romane in Bennington. In letzter Zeit fehlen jedoch berühmte Namen. Schriftsteller und bekannte Wissenschaftler ziehen Lehraufträge an großen Universitäten vor, die wesentlich mehr zahlen können und besser ausgestattet sind. Auch Bennington erlitt in den letzten fünf Jahren herbe Verluste. Statt 600 sind nur noch knapp 370 zahlende Studenten auf dem Campus, es gibt kaum Computer und zum Beispiel kein Sprachlabor. Statt dessen wurde das gesamte Geld in das teuerste Gebäude, in dem je Kunst unterrichtet wurde, gesteckt. Und während man die Verwaltung personell ausbaute, erhielten im vergangenen Sommer 26 der etwa 60 ProfessorInnen eingeschriebene Kündigungen – allesamt Personen, die sich in der Personalvertretung und anderen Gremien engagiert und bei der Präsidentin des College, Elizabeth Coleman, und dem Verwaltungsrat unbeliebt gemacht hatten.

Die gefeuerten Profs klagen gegen das College – was Millionen kosten wird – und der Fall geistert seit Monaten durch die gesamte nordamerikanische Presse. Denn der Benningtoner Umgang mit seinen Lehrenden und deren Rechten kann richtungweisend für andere Colleges sein. 15 der 26 entlassenen DozentInnen hatten sogenannte tenure, die amerikanische Form des Beamtenstatus. In Bennington wurde er alle fünf Jahre überprüft; nun ist er ganz abgeschafft, es gibt grundsätzlich nur noch Ein- oder Zweijahresverträge.

In einem „Symposiumsreport“ wurde der akademischen Welt jedoch gleichzeititg verkündet, das Bennington College zähle sich noch immer zur akademischen Avantgarde und werde als erstes College ernsthafte Konsequenzen aus der finanziellen Misere ziehen. Ganze Lehrzweige wurden abgeschafft, um der Idee der aus sich selbst entstehenden Kunstwerke voll und ganz gerecht zu werden. Ab Herbst 1995 wird es also weder Kurse in Kunstgeschichte noch Literaturtheorie, Politikwissenschaften, Wirtschafts- ud Sozialwissenschaften oder Philosophie geben. Alle Literatur- und SprachprofessorInnen und alle MusiklehrerInnen, sofern nicht selber angesehene KomponistInnen, wurden mit der Begründung entlassen, sie kämen eben nicht aus der Praxis. Nun haben wenig bekannte SchriftstellerInnen die entlassenen LiteraturtheoretikerInnen ersetzt und lehren amerikanische Literatur „wie ein Leser“, wie einer der „Neuen“ sich treuherzig ausdrückte, und der bisher intensive Fremdsprachenunterricht wird künftig in ein regionales Sprachenzentrum ausgelagert. Es sieht nicht gerade so aus, als hätten die College-Präsidentin Elizabeth Coleman und der Verwaltungsrat wirklich eine bessere, moderne Ausbildung im Sinn. Der Verwaltungsrat lag nämlich seit Jahren mit einem Teil der Lehrerschaft im Clinch, was darin gipfelte, daß die Präsidentin letztes Jahr jede Votumsmöglichkeit der LehrerInnenversammlung abschaffte. Auch die bis dato in Bennington übliche studentische Mitbestimmung wurde abgeschafft und ist ab sofort nicht mehr Recht, sondern wird als Konzession gewährt.

Insbesondere Lehrende, die eloquent und unbequem ihre Meinung vertraten, wurden entlassen – unter dem Vorwand, sie seien keine KünstlerInnen, sondern TheoretikerInnen. Ein Photograph mit zahlreichen Ausstellungen und Publikationen machte die Verwaltung darauf aufmerksam und wurde – zähneknirschend – wieder eingestellt. Ein Musikprofessor, dessen letzte Komposition vor einigen Monaten in New York mit Erfolg aufgeführt wurde, verzichtete darauf.

Die Präsidentin, die jetzt über Einstellungen oder Vertragsverlängerungen allein entscheidet, mußte diese Veränderungen natürlich positiv in die Presse bringen. In Interviews klagte sie über das Mittelmaß von StudentInnen und Lehrenden in Bennington. Arbeitsplatzsicherheit und studentische Mitbestimmung soll es nicht mehr geben, denn daraus könnte ja Illoyalität erwachsen. In der New York Times wurde denn auch unmißverständlich darauf hingewiesen, daß alle noch lehrenden ProfessorInnen ihren Job persönlich der Präsidentin verdanken. Selbst langjährige StudentInnen, die sich beschweren, werden kühl gebeten, sich doch anderswo ausbilden zu lassen.

Wenn in einem Unternehmen der Profit sinkt, wird in der Regel erst mal das Management geschaßt – in Bennington hat das Management entschieden, erst mal die Belegschaft auszuwechseln. Wenn das College mit dieser Schocktherapie Erfolg haben sollte – die Studentenzahlen wieder steigen und man den Prozeß gegen das gefeuerte Lehrpersonal übersteht – werden Colleges in ähnlichen finanziellen oder personellen Nöten wohl zu ähnlichen Maßnahmen greifen.

Ob in diesem Klima die erhofften Kunstwerke entstehen und von Bennington werbeträchtige, große Namen ausgehen können, ist mehr als fraglich. Von der unter deutschen StudentInnen gerühmten freizügigen und freundlichen Atmosphäre ist jedenfalls schon jetzt nichts mehr übrig.

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