Krude Thesen zum Olympia-Attentat von 1972: Uni findet Vortrag doch antisemitisch

Mit abstrusen Israel-Thesen hat sich der Göttinger Professor Arnd Krüger um Kopf und Kragen geredet. Der Olympia-Bund tobt, jetzt distanziert sich auch die Uni von dem Professor.

Die israelischen Sportler hätten sich freiwillig in ihrem Schicksal ergeben, um sich als politische Opfer zu stilisieren, meint Krüger. Bild: dpa

Es wird langsam eng für den prominentesten Göttinger Israeltheoretiker: Nach seinem umstrittenen Vortrag auf einer Tagung der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS) am 20. Juni geht die Universität Göttingen in einer neuen Stellungnahme auf Distanz zu ihrem Sporthistoriker Arnd Krüger: "Das Präsidium der Georg-August-Universität distanziert sich mit aller Entschiedenheit von dem politischen Gehalt der von Prof. Krüger geäußerten Thesen und verurteilt, dass durch diese Äußerungen antisemitischen Positionen in unserer Gesellschaft Vorschub geleistet wird", heißt es in der Erklärung. Jetzt muss die eingesetzte Ombudskommission klären, ob disziplinarische Maßnahmen eingeleitet werden. Krüger entschuldigte sich am Abend "für die Folgen, die meine Erklärungsansätze ausgelöst haben".

Der Sportwissenschaftler hatte auf der Jahrestagung der DVS einige abstruse Thesen zum Besten gegeben. Der Titel seines Vortrags lautete: "Hebron und München. Wie vermitteln wir die Zeitgeschichte des Sports, ohne uns in den Fallstricken des Antisemitismus zu verhaspeln?" Kern des Power-Point-Vortrags: Die ermordeten Israelis hätten vom bevorstehenden Attentat gewusst und sich freiwillig ihrem Schicksal ergeben. So hätten sie sich als politische Opfer stilisieren können, "um der Sache Israels als ganzer zu nutzen". Die Opfertod-These stützte Krüger auf ein unterschiedliches "Körperverständnis und Verständnis von (werdendem) Leben" in Israel im Vergleich zu anderen Industrienationen. So gäbe es in Israel eine höhere Abtreibungsquote, einen geringeren Schutz ungeborenen Lebens und eine Kultur, die "versucht Leben mit Behinderungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern". Noch auf der Tagung hatten Kollegen ihm "dummes Zeug" und "antijüdische Stereotype" vorgeworfen und sich geweigert, den Beitrag in den Sammelband der Tagung aufzunehmen.

Inzwischen hat auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Krüger aufgefordert, seine Thesen öffentlich zurückzunehmen. Diese seien "völlig inakzeptabel", vor allem wegen des daraus sprechenden antisemitischen Menschenbildes, sagten DOSB-Präsident Thomas Bach und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. Krüger müsse sich unverzüglich bei den Hinterbliebenen der damaligen Terroropfer entschuldigen. Auch von Seiten des DVS dürfte er noch etwas zu hören kriegen. Der Dachverband widmete sich am Donnerstag in einer extra einberufenen Präsidiums-Sitzung der Causa Krüger. "Ich halte das wirklich für einen sehr ernsten Vorgang", sagte Präsident Bernd Strauß der taz. "Wir müssen deutlich Position beziehen." Eine Erklärung wird für den Abend erwartet.

Entsetzt ist auch die israelische Botschaft. Deren Vize Ilan Mor hatte vor ein paar Tagen von der "schlimmsten Formen der Dehumanisierung des Staates Israel" gesprochen. In Kürze will Israels Chefdiplomat Yoram Ben-Zeev einen offiziellen Brief an den Unipräsidenten Kurt von Figura senden, um sich über Krüger zu beschweren. Die Thesen des Sporthistorikers seien eine Mischung aus Dummheit und Ignoranz, hies es am Donnerstag in der Botschaft. Dies betreffe besonders Krügers Beschreibung der israelischen Bevölkerungspolitik. Ein Blick auf die israelischen Ergebnisse bei den Paralympics hätte genügt, um zu wissen, dass er falsch liege.

Krüger selbst kündigte am Abend in seiner neuesten Erklärung an, seine Thesen nicht weiter verfolgen zu wollen. Ihm sei klar geworden, dass seine Erklärungsversuche untauglich seien. "Ich ziehe sie daher mit dem Ausdruck großen Bedauerns zurück."

Unterstützung erhält der 64-Jährige dagegen von der sozialwissenschaftlichen Dekanin der Uni Göttingen, Margret Kraul. Sie werde ihm keinen Rücktritt nahelegen. Sein Lebenswerk zeige, dass "Herr Krüger eher antifaschistisch argumentiert", sagte Kraul der taz. "Herr Krüger hat Fragen gestellt. Fragen darf ein Wissenschaftler stellen. Auch solche, die schwer zu ertragen sind." Ganz glücklich sei jedoch auch sie nicht mit der Vorstellung Krügers: "Belege für Antworten vermisst man bei Herrn Krüger." Er habe verschiedene Dinge vermischt. "Israel hat eine pronatalistische Bevölkerungspolitik. Aber die Frage ist, was das mit 1972 zu tun hat", so Kraul.

Jetzt warten alle auf das Ergebnis der Ombudskommission. "Wir haben eine Vorprüfung auf Verdacht von wissenschaftlichem Fehlverhalten gemäß der Richtlinie der Universität Göttingen begonnen", erklärte Kommissionsmitglied Andreas von Tiedemann der taz. Das Gremium habe Krüger deshalb um eine kurzfristige Stellungnahme gebeten. "Zu bewerten, ob das antisemitisch ist, ist allerdings nicht Aufgabe einer Ombudskommission."

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