Krude Thesen zum Olympia-Attentat von 1972: „Ich habe eins auf die Nase bekommen“

Arnd Krüger treibt die Frage um, warum israelische Sportler 1972 im Olympischen Dorf blieben, obwohl es Warnungen vor einem Anschlag gab. Im Interview nimmt er Stellung zu seinen umstrittenen Thesen.

Historisches Foto von Polizisten auf einem Hausdach.

Polizeieinsatz nach der Terrorattacke bei der Olympiade im September 1972 Bild: Klaus Rose/imago

taz: Herr Krüger, Sie haben Sie behauptet, die israelischen Sportler seien bei dem Olympiamassaker 1972 freiwillig in den Opfertod gegangen.

Arnd Krüger: Das habe nicht gesagt, ich habe nicht vom Opfertod oder ähnlichem gesprochen.

Sondern?

Ich gehe davon aus, dass es in der israelischen Olympiamannschaft Warnungen vor einem palästinensischen Attentat gab. In Israel hatte man darüber öffentlich diskutiert. Die Sportler, die im Olympischen Dorf blieben, müssen dies nach reiflicher Überlegung getan haben.

Dafür bieten Sie unter anderem die Begründung an, dies sei eine „Grundlage für die Verlängerung der Schuld(en) Deutschlands gegenüber Israels“.

Wenn man versucht, das Ganze zu erklären, läuft man Gefahr, auch von mir akzeptierte Grenzen zu berühren oder zu übertreten. Bei dem Versuch, mir selbst die Sache zu erklären, habe ich alle möglichen Erklärungsansätze aufgelistet, auch diesen. Dass ein Teil von dem, was ich gesagt habe, bei Anderen in den falschen Hals kommt, habe ich nicht erwartet.

Was denn?

Ich wollte ja gerade klarmachen, dass es keine antisemitischen Erklärungen gibt. Ich habe nicht antisemitisch argumentiert, nicht einmal antiisraelisch.

Wie kommen Sie denn auf Ihre These?

Hana Shezifi, eine israelische Läuferin, mit der ich befreundet war, hatte mir damals gesagt, dass sie über Nacht aus dem Olympischen Dorf ausgezogen war, weil es ihr zu heiß wurde. Meine Frage ist nun, warum sind elf Sportler geblieben? Große Teile des israelischen Teams wurden in Privatwohnungen untergebracht. Warum diese Elf nicht?

Sie haben ein angeblich anderes Körperverständnis in der israelischen Gesellschaft angeführt: Mit Behinderten ginge man nicht gut um, die Abtreibungsrate sei exorbitant hoch. Was soll das?

Ich habe eine israelische Dissertation aus dem Jahr 2007 zitiert, die vom Körperverständnis in Israel handelt.

Was wollten Sie zeigen?

Es war ein Fehler von mir, dies zu zitieren. Es ist eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2007, die sich auf die letzten Jahre bezieht. Daraus einen Schluss auf 1972 zu ziehen, ist falsch und ahistorisch.

Nehmen wir an, es gäbe eine Studie zur Abtreibungsrate in Israel in den frühen Siebzigerjahren – was hätte das über den Mord in München besagt?

Es ging mir um das individuelle Entscheidungsproblem der Sportler. Weil in Israel eine freie Diskussionskultur herrschte, gehe ich davon aus, dass niemand den Sportlern gesagt hat, sie müssten bleiben. Ich will herausfinden, warum die Sportler aus freien Stücken geblieben sind.

Mit der Abtreibungsrate?

Nein, es gibt in verschiedenen Ländern unterschiedliche Einstellungen zum Körper, zum Leben. Das äußert sich etwa in der Diskussion zur Stammzellenforschung. In Israel ist man viel forschungsfreundlicher als in Deutschland. So war meine hypothetische Überlegung. Das war wohl ein Fehler. Individuelles Handeln kann man so nicht erklären.

Sie machen den Versuch, das Verhalten von Menschen in der Extremsituation mit einem besonderen Körperverständnis zu begründen. Unbegreiflich.

Ich will herausfinden, warum die Sportler in dem Haus blieben. Ich glaube, man kann nicht sagen: Die waren durch Zufall da. Auch eine politische Erklärung, wonach es einen Befehl gegeben hätte, schließe ich aus. Es bleibt der soziologische Ansatz. Da könnte es zum einen eine gruppensoziologische Antwort geben, dass es eine Art Gruppendruck gab, nicht vorab aus dem Dorf auszuziehen oder in der konkreten Situation zu flüchten. Aber es sind ja viele Sportler ausgezogen. Und einige sind auch geflohen. Und dann gibt es noch die Ebene der Körpersoziologie. Es ist also der Versuch, die Frage, warum die elf Sportler geblieben sind, aus dem Umgang mit ihrem Körper heraus zu erklären. Ob man das wirklich so erklären kann, weiß ich nicht.

Im Göttinger Hochschulsportmagazin „Seitenwechsel“ haben Sie auch schon zu dem Thema geäußert.

Das war doch satirisch. Haben Sie das Interview ganz gelesen?

Ja.

Dann wissen Sie, dass ich auch gefragt wurde, ob ich den Fosbury-Flop erfunden habe und so weiter. Das war vom Tonfall der Studenten ulkig gemeint. Meine Antworten waren flapsig, dem Thema nicht angemessen.

Sie haben dort gesagt, die Sportler, die im Olympiadorf wohnten, seien Geheimdienstmitarbeiter gewesen.

Habe ich das gesagt?

Ja, ich zitiere: „Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da. Außer der Ringer Moshe Weinberg.“

Ich muss sagen: Dafür habe ich keinen Beleg.

Es heißt, Sie wollten Ihre Thesen demnächst gemeinsam mit einem israelischen Kollegen veröffentlichen.

Meine Hypothese, dass es eine Warnung in israelischen Zeitungen gab, muss ich überprüfen. Ich spreche leider kein Hebräisch, also habe ich im Vorfeld Kontakt zu einem Kollegen aufgenommen. Ich weiß nicht, ob er mir als Partner noch zur Verfügung steht, jetzt, wo überall zu lesen ist, ich sei ein Antisemit.

Warum wollen Sie an dem Thema dran bleiben?

Ich habe eins auf die Nase bekommen. Nicht wegen der These, sondern wegen ihrer Begründung. Die These, dass es vorab eine Warnung gab, die das Verhalten der Sportler beeinflusst hat, halte ich für tragfähig. Nur kann ich die so nicht veröffentlichen.

INTERVIEW: MARTIN KRAUSS

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