Krude Thesen zum Olympia-Attentat von 1972: „Ich habe eins auf die Nase bekommen“
Arnd Krüger treibt die Frage um, warum israelische Sportler 1972 im Olympischen Dorf blieben, obwohl es Warnungen vor einem Anschlag gab. Im Interview nimmt er Stellung zu seinen umstrittenen Thesen.
taz: Herr Krüger, Sie haben Sie behauptet, die israelischen Sportler seien bei dem Olympiamassaker 1972 freiwillig in den Opfertod gegangen.
Arnd Krüger: Das habe nicht gesagt, ich habe nicht vom Opfertod oder ähnlichem gesprochen.
Sondern?
Ich gehe davon aus, dass es in der israelischen Olympiamannschaft Warnungen vor einem palästinensischen Attentat gab. In Israel hatte man darüber öffentlich diskutiert. Die Sportler, die im Olympischen Dorf blieben, müssen dies nach reiflicher Überlegung getan haben.
Dafür bieten Sie unter anderem die Begründung an, dies sei eine „Grundlage für die Verlängerung der Schuld(en) Deutschlands gegenüber Israels“.
Wenn man versucht, das Ganze zu erklären, läuft man Gefahr, auch von mir akzeptierte Grenzen zu berühren oder zu übertreten. Bei dem Versuch, mir selbst die Sache zu erklären, habe ich alle möglichen Erklärungsansätze aufgelistet, auch diesen. Dass ein Teil von dem, was ich gesagt habe, bei Anderen in den falschen Hals kommt, habe ich nicht erwartet.
Was denn?
Ich wollte ja gerade klarmachen, dass es keine antisemitischen Erklärungen gibt. Ich habe nicht antisemitisch argumentiert, nicht einmal antiisraelisch.
Wie kommen Sie denn auf Ihre These?
Hana Shezifi, eine israelische Läuferin, mit der ich befreundet war, hatte mir damals gesagt, dass sie über Nacht aus dem Olympischen Dorf ausgezogen war, weil es ihr zu heiß wurde. Meine Frage ist nun, warum sind elf Sportler geblieben? Große Teile des israelischen Teams wurden in Privatwohnungen untergebracht. Warum diese Elf nicht?
Sie haben ein angeblich anderes Körperverständnis in der israelischen Gesellschaft angeführt: Mit Behinderten ginge man nicht gut um, die Abtreibungsrate sei exorbitant hoch. Was soll das?
Ich habe eine israelische Dissertation aus dem Jahr 2007 zitiert, die vom Körperverständnis in Israel handelt.
Was wollten Sie zeigen?
Es war ein Fehler von mir, dies zu zitieren. Es ist eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2007, die sich auf die letzten Jahre bezieht. Daraus einen Schluss auf 1972 zu ziehen, ist falsch und ahistorisch.
Nehmen wir an, es gäbe eine Studie zur Abtreibungsrate in Israel in den frühen Siebzigerjahren – was hätte das über den Mord in München besagt?
Es ging mir um das individuelle Entscheidungsproblem der Sportler. Weil in Israel eine freie Diskussionskultur herrschte, gehe ich davon aus, dass niemand den Sportlern gesagt hat, sie müssten bleiben. Ich will herausfinden, warum die Sportler aus freien Stücken geblieben sind.
Mit der Abtreibungsrate?
Nein, es gibt in verschiedenen Ländern unterschiedliche Einstellungen zum Körper, zum Leben. Das äußert sich etwa in der Diskussion zur Stammzellenforschung. In Israel ist man viel forschungsfreundlicher als in Deutschland. So war meine hypothetische Überlegung. Das war wohl ein Fehler. Individuelles Handeln kann man so nicht erklären.
Sie machen den Versuch, das Verhalten von Menschen in der Extremsituation mit einem besonderen Körperverständnis zu begründen. Unbegreiflich.
Ich will herausfinden, warum die Sportler in dem Haus blieben. Ich glaube, man kann nicht sagen: Die waren durch Zufall da. Auch eine politische Erklärung, wonach es einen Befehl gegeben hätte, schließe ich aus. Es bleibt der soziologische Ansatz. Da könnte es zum einen eine gruppensoziologische Antwort geben, dass es eine Art Gruppendruck gab, nicht vorab aus dem Dorf auszuziehen oder in der konkreten Situation zu flüchten. Aber es sind ja viele Sportler ausgezogen. Und einige sind auch geflohen. Und dann gibt es noch die Ebene der Körpersoziologie. Es ist also der Versuch, die Frage, warum die elf Sportler geblieben sind, aus dem Umgang mit ihrem Körper heraus zu erklären. Ob man das wirklich so erklären kann, weiß ich nicht.
Im Göttinger Hochschulsportmagazin „Seitenwechsel“ haben Sie auch schon zu dem Thema geäußert.
Das war doch satirisch. Haben Sie das Interview ganz gelesen?
Ja.
Dann wissen Sie, dass ich auch gefragt wurde, ob ich den Fosbury-Flop erfunden habe und so weiter. Das war vom Tonfall der Studenten ulkig gemeint. Meine Antworten waren flapsig, dem Thema nicht angemessen.
Sie haben dort gesagt, die Sportler, die im Olympiadorf wohnten, seien Geheimdienstmitarbeiter gewesen.
Habe ich das gesagt?
Ja, ich zitiere: „Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da. Außer der Ringer Moshe Weinberg.“
Ich muss sagen: Dafür habe ich keinen Beleg.
Es heißt, Sie wollten Ihre Thesen demnächst gemeinsam mit einem israelischen Kollegen veröffentlichen.
Meine Hypothese, dass es eine Warnung in israelischen Zeitungen gab, muss ich überprüfen. Ich spreche leider kein Hebräisch, also habe ich im Vorfeld Kontakt zu einem Kollegen aufgenommen. Ich weiß nicht, ob er mir als Partner noch zur Verfügung steht, jetzt, wo überall zu lesen ist, ich sei ein Antisemit.
Warum wollen Sie an dem Thema dran bleiben?
Ich habe eins auf die Nase bekommen. Nicht wegen der These, sondern wegen ihrer Begründung. Die These, dass es vorab eine Warnung gab, die das Verhalten der Sportler beeinflusst hat, halte ich für tragfähig. Nur kann ich die so nicht veröffentlichen.
INTERVIEW: MARTIN KRAUSS
Leser*innenkommentare
Tino Tinus
Gast
... man zitiert ja nur ... und somit kann man nie sagen, dass mit diesem Artikel die eigene Meinung dargestellt wird ...
Joachim Petrick
Gast
Arnd Krüger agiert wie einer, der sportativ aus allen Himmeln seiner Ulk- und Spaßgesesellschaft in Göttingen gefallen, schlagartig der unheimliche Auftrag erwächst von fremden wie nahestehende Mächten, angesichts der Gefahr kurz bevorstehender Offenbarung von Indizien, Belegen nachrichten- , geheimdienstlicher Zusammenhänge, Zusammenarbeit im globalen Olympia Betrieb, falsche Spuren zu legen, vorhande Spuren durch krude Theorien auszutreten?
Selbst sein beachtlicher Hinweis auf eine bestehende freiheitliche Demokratie in Israel
“ in Israel herrschte eine freie Diskussionskultur“ fällt krude aus, angesichts einer miltarisiert hochgeschaukelten, begründet, unbegründet hysterisierten Gefühlslage der Bevölkerung in Israel, die mit dem Begriff :
“Wir stehen als Volk Israel für alle demokratischen Völker der Welt stellvertretend an der Wand“ nur unzureichend beschrieben ist.
Israelis werden eher nicht als Geheimdienstler in solcher Gefühlslage angeworben, sie sind es, weil sie auf die Zusammenarbeit mit Geheimdienstlern angewiesen!?
Wichtige Hinweise wie“ Mit Behinderten ginge man in Israel nicht gut um“ geraten ihm so bilig und schäbig dahingeworfen zu Indizienverbrennungen.
Ähnlich krude wie Arnd Krüger im Hier & Jetz, hatte Klaus von Dohnanyi da 1997 einmal eine Frage an die Juden in der Welt, um Martin Walser nach seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche im Streit mit Ignaz Bubis selten eigen beizuspringen:
“Was haben Juden für Behinderte, Geisteskranke 1933- 45 im Deutschen Reich getan, unternommen als die amtsärztlich der Euthanasie zugeführt wurden? Soweit ich weiß Nichts! Das sollte auch einmal bedacht werden“.
Das klingt so krude wie die Frage:
“Warum haben Sie ihren Folterer im Gestapo Gefängnis, in Guantanamo auf Kuba nicht stehenden Fußes angekettet freimütig auf Augenhöhe unabdinglich unerschrocken gerügt, daß er bereits vorhin andere gefoltert: „Herr Folterer! sowas tut man nicht. Weiß eigentlich Ihre Mutti, was Sie hier tun? Auf jeden Fall vorab, bleibt meine Nase wie sie ist und dran“
Shefmeister
Gast
Ich freue mich, dass Ihr den Mann im Interview zu Wort kommen lasst, anstatt dem Pawlowschen Reflex der Berufsbetroffenen nachzugeben. Sollte Herr Krüger neue wissenschaftliche Erkenntnisse ans Tageslicht gebracht haben, so gehören die auch in die öffentliche Debatte, und zwar so vorurteilsfrei, wie nur möglich.
Dem Interview nach zu urteilen, ist der Mann aber in die John Mearsheimer-Falle getappt: so gern er es auch wissenschaftlich belegt hätte, so verschwindend gering scheint nun mal die Beweislage.
anke
Gast
Ich fürchte, an der Frage, in wieweit individuelles Handeln (oder auch nicht Handeln) von (gesamt-)gellschaftlichen Normen beeinflusst wird, werden sich noch Generationen von Wissenschaftlern (und Journalisten) die Zähne ausbeißen. Nicht, weil der Zusammenhang von irgend jemandem ernsthaft bezweifelt werden könnte (jeder Mensch weiß aus eigenem Erleben, wie sehr ihn seine Umgebung geprägt hat), sondern weil es keine klare, keine allgemeingültige Skala gibt, an der man diesen Einfluss nur abzulesen bräuchte.
Für Martin Krauss ist es unbegreiflich, dass es Menschen gibt, die das für sie unverständliche Verhalten anderer mit deren Körperverständnis zu begründen versuchen. Er arbeitet schließlich überwioegend mit Leuten, die ihr Geld mit Denken verdienen. Für Arndt Krüger scheint es mindestens so unbegreiflich zu sein, dass jemand den entsprechenden Zusammenhang nicht erkennen kann. Er arbeitet nicht umsonst am Institut für Sportwissenschaft.
Logisch, dass jedem der beiden die Reaktionen des jeweils anderen ein Rätsel bleiben müssen. Traurig, wenn sich zwei Leute derart öffentlich ihr Unverständnis demonstrieren. Schlimm, wenn sich um die zwei "Pole" herum pure Masse ansammelt.
Yaku
Gast
Israel hatte 2006 mit 11,8 Prozent die niedrigste Abtreibungsrate aller westlichen Länder und gleichzeitig die höchste Geburtenziffer.
Soviel dazu.
Der Typ ist ein Antisemit und kein angeblicher.