Kroatien vor der Parlamentswahl: Viktor Orbán lässt grüßen
Angesichts Zehntausender Flüchtlinge spielt die Opposition HDZ die nationalistische Karte. Sie will sofort Militär für den Grenzschutz einsetzen.
Bisher stellen internationale Journalisten und humanitäre Helfer der sozialdemokratisch geführten kroatischen Regierung ein gutes Zeugnis aus, was den Umgang mit den Flüchtlingen angeht. Im Gegensatz zu Serbien werden die Flüchtlinge in Kroatien professionell behandelt, die Registrierung und die Versorgung mit sauberen Schlafplätze verläuft reibungslos, es gibt Essen, Duschen, medizinische Versorgung und eine organisierte Weiterfahrt in Bussen an die slowenische Grenze. Denn niemand der Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan will in Kroatien bleiben. Ihr Ziel ist Deutschland.
„Die gute Organisation,“ witzelt Igor, ein kroatischer freiwilliger Helfer, „hat damit zu tun, dass man die Flüchtlinge so schnell wir möglich aus dem Land haben will.“ Die Strategie der kroatischen Regierung sei, den Flüchtlingen ein positives Bild von Europa zu vermitteln, also im Gegensatz zu Ungarn den Anforderungen der Europäischen Union gerecht zu werden, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Weitertransport reibungslos verläuft. Soll sich das jetzt ändern?
Die Stimmung im kroatischen Oppositionsbündnis, das von der konservativ-nationalistischen Partei HDZ ( Kroatische Demokratische Gemeinschaft) angeführt wird, ist bereits aufgeheizt. „Man kann sogar von einer Orbanisierung der Opposition sprechen,“ sagt der bekannte Ex-Verleger und Publizist Nenad Popovic.
Stimmung machen mit nationalistischen Tönen
Die aus der HDZ stammende Präsidentin des Landes, Kolinda Grabar-Kitarovic, würde nach Ansicht auch anderer Beobachter der kroatischen Innenpolitik am liebsten schon jetzt Militär an die Grenzen schicken. Die HDZ warte nur auf die Gelegenheit, vor den Parlamentswahlen am 8. November mit nationalistischen Tönen in rechtspopulistischer Manier Stimmung zu machen. Denn nur so könnte sie die Mehrheit der Wählerstimmen erringen.
„Wir sind in einer Wirtschaftskrise, beide Parteiblöcke haben keine Ideen, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes anzukurbeln, man hofft nur auf eine generelle Besserung in Europa insgesamt,“ sagt Nenad Popovic. Die humanitären Helfer wie der Student der Volkswirtschaft Igor und kroatische Journalisten vieler Medien, die sich derzeit in Vukovar aufhalten, stimmen dieser Analyse im Prinzip zu. „Beide Parteienblöcke versprechen ihrer Klientel mehr Mittel aus dem Staatsbudget, ohne zu erklären, woher das Geld kommen soll,“ sagt Igor.
Schon seit Jahren werden in Kroatien fehlende Innovationen für die Entwicklung neuer Industrien beklagt. Die vor allem nach dem Krieg ab 1995 systematisch betriebene Deindustrialisierung unter dem damaligen Tudjman-Regime – große Teile der Volkswirtschaft wurden an Günstlinge des Regimes verteilt - wurde später auch von anderen Regierungen nicht grundsätzlich korrigiert. Kroatien hat beispielsweise die Entwicklung der Solarenergie verschlafen, obwohl das Land vor allem an der Adriaküste über große Potentiale verfügt.
Wichtige Industrien, die schon vor dem Krieg existierten - in Kroatien wurden die Hard- und Software für die damals in Jugoslawien mächtige Rüstungsindustrie entwickelt – wurden einfach fallen gelassen. „Das Potential war da,“ sagt auch Stjepan, ein junger Ingenieur aus Vukovar, „man hätte es für die Entwicklung moderner Industrien nutzen müssen.“
Junge Leute haben die Nase voll
In der Region Ostslawonien und vor allem in Vukovar ist die Schuh- und Lederindustrie, in der vor dem Krieg 1991 über 20 000 Menschen beschäftigt waren, völlig zusammengebrochen. Stjepan hat jetzt die Nase voll. „Wir jungen Leute haben angesichts der Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent keine Hoffnung mehr.“ Er hat sich schon bei einer Firma in Baden-Würtemberg beworben. „Wer Englisch spricht, will nach Großbritannien, wer Deutsch gelernt hat, will nach Deutschland.
Wir verlieren die jungen Leute,“ sagt Goran, ein Gerichtsdolmetscher aus Vukovar, der den jungen Menschen beim Ausfüllen der Formulare hilft. „52 Ärzte und Krankenschwestern haben in diesem Jahr gekündigt und sind nach Westeuropa gegangen.“ Stjepan wird auch nicht wählen gehen. Er vertraut keiner Seite mehr. Alle sind sich aber einig darin, dass Kroatien gar nicht in der Lage sei, angesichts der eigenen sozialen Probleme Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.
Einer der Offiziere sagt bei einer Raucherpause vor dem Hotel immerhin: „5000 Flüchtlinge wäre für uns Kroaten die Obergrenze.“ Er lächelt. Das Treffen der Armeeoffiziere deutet auf mehr hin: Geht es um die Koordinierung militärischer Aktivitäten der beteiligten Staaten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen