Kritk an Facebook-Newsfeed: Die Aufmerksamkeitsdealer

Viele Menschen konsumieren Nachrichten via Facebook. Wer wegen dessen Algorithmus auf das soziale Netzwerk schimpft, macht es sich zu leicht.

Facebook-Logo und Smartphones als Schatten davor dargestellt

Ohne geht's irgendwie auch nicht: Facebook Foto: Reuters

Wer keinen Facebook-Account hat, hat auch kein Sozialleben. Und wer als Unternehmen nicht auf Face­book ist, kann den Laden eigentlich gleich zumachen. Derart wichtig ist das Unternehmen mittlerweile geworden – der Boykott durch Einzelne ändert daran nicht viel.

Mehr noch als für den Sportladen an der Ecke gilt das für Medien; viele Menschen beziehen ihre Nachrichten heutzutage vor allem über den Facebook-Newsfeed. Wenn aber der Facebook-Algorithmus darüber entscheidet, wessen Artikel wahrgenommen werden und welche im Nirwana der Posts verschwinden, wird es brenzlig. Und wenn es nicht gut läuft, ist der Schuldige schnell gefunden: Facebook. Das sagt sich gut, das glaubt man gern – und trotzdem ist es nicht immer ganz so einfach.

Vergangene Woche berichtete das Medienportal Meedia, Facebook habe die Reichweite journalistischer Inhalte verknappt, Verlage verzeichneten Einbrüche von bis zu 20 Prozent. „Der Dealer verknappt die Ware, um die Abhängigen zu zwingen, auf anderen Stoff umzuschwenken“, fasst die Meedia-Redaktion zusammen. Und macht es sich damit bei der Schuldzuweisung zu leicht.

In den vergangenen vier Jahren ist nicht nur die Zahl der Nutzer*innen auf Facebook enorm gestiegen – allein in Deutschland von 26 auf 31 Millionen, sagt ein Sprecher des Unternehmens, der namentlich nicht genannt werden will. Weltweit seien es inzwischen 2,1 Milliarden Nutzer.

Unternehmen konkurrieren auf Facebook

Auch die Zahl der Unternehmensseiten auf Face­book sei in dieser Zeit weltweit von 30 auf 70 Millionen gewachsen. Der Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit potenzieller Kund*innen findet heute auf Facebook statt. Verständlich also, dass Unternehmen besorgt auf die Entwicklung der Reichweite schauen.

Der Meedia-Artikel beruht auf einer Analyse eines US-Unternehmens namens Buzzsumo. Dieses hat über das vergangene Jahr hinweg 880 Millionen Face­bookposts von Firmen und Verlagen ausgewertet – und dabei festgestellt, dass das durchschnittliche „Engagement“ seit Anfang 2017 um mehr als 20 Prozent gesunken ist.

Aber: Buzzsumo ist ein privates Monitoringunternehmen. Sein Leistungsspektrum umfasst unter anderem: Facebook-Analysen. Buzzsumo lässt sich also von Unternehmen mehrere hundert Dollar im Monat dafür zahlen, dass es ihnen aufzeigt, wie sie ihr „Engagement“ auf Facebook erhöhen können. Da kommt es natürlich gelegen, die Unternehmen vorher darauf hinzuweisen, dass sie Hilfe brauchen.

Und dann muss man auch zwischen „Engagement“ und „Reichweite“ unterscheiden. Mit „Engagement“ sind Interaktionen der User mit Posts auf Facebook gemeint. „Engagement“ entsteht, wenn jemand etwas anklickt, likt, kommentiert, teilt, aber es zählt auch, wie lange jemand ein Video ansieht oder ob er auf einen im Post enthaltenen Link klickt.

Was genau Buzzsumo in seiner Analyse alles zum „Engagement“ zählt, wird in dem Blogbeitrag nicht aufgeschlüsselt. Und hier macht die Meedia-Redaktion den ersten Fehler: Sie übersetzt „Engagement“ mit „Reichweite“, also die Zahl der durch den Post erreichten User-Accounts. Einen Post angezeigt zu bekommen, ist noch keine Interaktion. Zwar haben „Engagement“ und Reichweite etwas miteinander zu tun – viel Interaktion kann förderlich sein für eine hohe Reichweite. Dasselbe sind sie aber nicht.

Sommerloch, Ferienzeit, Wahlkampf

„Es gibt keine künstliche Verknappung der Reichweite auf Face­book“, sagt der Sprecher des Unternehmens der taz. Man habe sich wegen der „irreführenden Berichterstattung“ bereits an Meedia und einige andere Medien gewandt. „Das ist ein Mythos, der immer wieder auftaucht“, sagt der Facebook-Mitarbeiter.

Trotzdem zeigen die Zahlen von Buzzsumo deutlich einen Rückgang des durchschnittlichen Engagements. Auch verschiedene Social-Media-Redaktionen deutscher Medien berichten von Schwankungen und teilweise auch von sinkenden Zahlen in den vergangenen Monaten, sowohl was die Interaktion als auch die Reichweite angeht.

Woran das genau liegt, könne man aber nicht sagen, von einem krassen Einbruch sprechen wolle man nicht. Sommerloch, Ferienzeit, Wahlkampf, die Aufbereitung der Beiträge – es gibt viele Faktoren, die den Erfolg oder Misserfolg eines Posts beeinflussen können. Also was ist los auf Facebook?

Täglich eine Stunde auf Facebook

Der Facebook-Algorithmus ist darauf ausgelegt, jeder Person in ihrem Newsfeed genau das anzuzeigen, was sie vermutlich gern sehen will. Denn natürlicherweise hat das Unternehmen ein Interesse daran, dass Nutzer*innen sich für die Inhalte in ihrem Feed interessieren – und so öfter und länger auf der Plattform verweilen. Das sind sie, die viel beschworenen Filterblasen.

Viele Unternehmen und Verlage setzen auf ihren Seiten täglich mehrere Posts ab. Nutzer*innen wiederum verbringen dem Unternehmen zufolge im Durchschnitt eine Stunde täglich auf Facebook – dass sie in dieser Zeit nur einen Bruchteil der für sie potenziell relevanten Posts sehen können, erschließt sich von selbst. Dass irgendwie gefiltert werden muss, ebenso. „Durch den großen Zuwachs an Inhalt wird es für egal welches Unternehmen schwieriger, die Gesamtzahl seiner Fans organisch zu erreichen“, sagt ein Facebook-Sprecher.

In diesem Satz steckt ein wichtiger Punkt, denn mit „organischer Reichweite“ meint Face­book unbezahlte Reichweite. Um aus der Konkurrenz hervorzustechen, gibt es nämlich für Unternehmen und Verlage ein einfaches Mittel: bezahlte Werbeposts.

Algorithmus schraubt die Spirale weiter

Es gibt noch eine Alternative und das sind optimal an den Face­book-Algorithmus angepasst Posts; ein solcher Service wiederum ist eine Goldgrube für Unternehmen wie Buzzsumo oder auch Facebook selbst. Face­book hat schon 2013 den Algorithmus angepasst und will Nutzer*innen „qualitativ hochwertigeren“ Inhalt anzeigen – also Posts, die bei mir als Nutzerin auf Interesse stoßen.

Dazu muss man wissen: Es sind vor allem Videos, die momentan enorm erfolgreich auf Face­book sind – was dem Unternehmen in seinem Konkurrenzkampf etwa mit YouTube durchaus gelegen kommt. Der Algorithmus schraubt die Spirale weiter: Schaue ich viele Videos, wird Facebook mir automatisch mehr Videos anbieten – was wiederum dazu führt, dass ich noch mehr Videos schaue. Und so weiter. Wer mich erreichen will, sollte mir also Videos zeigen.

„Facebook ist einer der größten Reichweitenbringer für Verlage“, sagt ein Unternehmenssprecher. „Wir sind für die Unternehmen unheimlich wichtig.“ Das stimmt – und somit ist es ein Problem für die Verlage, wenn ihre Text- und Link-Posts auf der Seite wegen des stärker werdenden Trends zum Video nicht mehr so gut ankommen wie früher.

Eine „schwierige Situation, denn die Videoressourcen in den Redaktionen sind noch immer sehr begrenzt“, schreibt Meedia. Das mag sein, ist aber eine Entscheidung der Redaktionen. „Verlage können nicht einmal eine Strategie für Face­book festlegen und davon ausgehen, dass diese dann jahrelang funktioniert“, sagt ein Face­book-Sprecher. „Die Publisher müssen aufrüsten und Video zum Teil ihrer Strategie machen.“

Die perfekte Selbstoptimierung

Und da zeigt sich das eigentliche – und alte – Dilemma: Face­book ist zu einem der, wenn nicht dem wichtigsten Kanal für viele Medien geworden. Und zwar, weil Facebook sich insgesamt als eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen etabliert hat. Dass es daran ein Interesse hat, macht Sinn bei einem profitorientierten Unternehmen. Damit machen Verlage sich allerdings zwangsläufig abhängig von Facebooks Algorithmus.

Wollen sie mitspielen, müssen sie auf Facebook präsent sein. Wollen sie dort eine hohe Reichweite erzielen, müssen sie ihren Inhalt und ihr Format dem Algorithmus und dem Nutzerverhalten der Facebook-User*innen unterordnen. Wenn die Leute Videos wollen, haben Verlage die Wahl: Videos machen oder eben nicht und auf die Reichweite verzichten. Denn so funktioniert der Algorithmus, und zwar schon immer.

Für Facebook ist das überaus erfreulich: Es macht sich unentbehrlich, und gleichzeitig liefern Unternehmen und Verlage kostenfrei den Inhalt, den die Plattform ihren Nutzer*innen präsentieren kann – und optimieren sich dabei auch noch selbst. Und zwar ganz nach Face­books Vorstellungen. Eine aktive, künstliche Verknappung der Reichweite, um Verlage zu drängen und zu drangsalieren – das hat Facebook in diesem System gar nicht nötig.

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