Kritische Theologen in Regensburg: Die Widersacher
Drei Regensburger Theologen und ein Pfarrer haben Ärger mit dem Bischof. Sie haben einen Protestbrief gegen die kirchliche Rehabilitation von Holocaustleugner Williamson unterschrieben.
REGENSBURG/DEGGENDORF taz In Regensburg wütet der Teufel an jeder Ecke. "Es gibt den Widersacher", sagt ein 43-jähriger Katholik mit bayerischem Zungenschlag vor der Kirchenpforte der Herz-Jesu-Gemeinde am Rande der schmucken Altstadt. "Es sind böse Geister, die uns beeinflussen. Da muss man auf der Hut sein." Die Messe am Donnerstagabend ist zu Ende. Es war ein Gottesdienst mit gerade mal einem Dutzend Gläubigen. Sie verloren sich im ziemlich großen Kirchenschiff. Still war es, auch ein wenig trist. Das leise Schnaufen des Altpfarrers wurde von den Lautsprechern verstärkt. Sein Nachfolger, Pfarrer Martin Müller, fehlte. Vielleicht hat das mit dem Ärger zu tun, den er mit seinem Bischof hat. Der heißt auch Müller.
Die Kirche hat Macht an der staatlichen Universität, zumindest bei der Besetzung der Lehrstühle für Katholische Theologie: Die rechtliche Grundlage für diesen Einfluss ist das bayerische Konkordat. Es wurde geschlossen zwischen dem Vatikan und der bayerischen Landesregierung und regelt das Verhältnis von Staat und Kirche im Freistaat. Laut Artikel 3 des Konkordats kann die jeweilige Diözese, in diesem Fall das Bistum Regensburg, einem Theologieprofessor oder einer Theologieprofessorin den Lehrauftrag entziehen. Der Staat muss dann für den oder die geschassten Hochschullehrer/in eine andere Aufgabe finden.
Gerhard Ludwig Müller ist Regensburgs Oberhirte und herrscht ganz nahe im prächtigen Dom. Seine Schäfchen hier wissen um die Ambitionen des reaktionären Kirchenfürsten. "Vielleicht wird unser Bischof ja noch zu etwas anderem berufen", sagt der Gläubige mit der Teufelsangst. Dieser höllische Ehrgeiz des Bischofs ist der tiefere Grund für den Konflikt, den Bischof Müller mit seinem wackeren Pfarrer Müller hat - und, wichtiger noch, mit drei Theologen der örtlichen Universität.
Seit gut einem Monat befindet sich die katholische Kirche mit ihrer über einer Milliarde Gläubigen weltweit in der Krise, weil sie vier exkommunizierte, ultratraditionelle "Bischöfe", darunter den Holocaustleugner Richard Williamson, wieder aufgenommen hat. Nun hat der Konflikt auch innerhalb der deutschen Kirche einen hochexplosiven Ableger bekommen. Dutzende Theologen katholischer Fakultäten protestierten in mehreren Petitionen gegen die Wiederaufnahme des Holocaustleugners Williamson und der anderen drei "Bischöfe" der Pius-Priesterbruderschaft. Auch drei Theologen von der Regensburger Uni haben einen solchen Protestbrief unterstützt - die eher harmlose "Petition Vaticanum 2". Tausende haben sie unterschrieben. Dennoch ist Bischof Müller erzürnt.
Das Ganze ist mehr als eine Provinzposse, weil hier die Freiheit der Lehre an den hiesigen Universitäten und die Freiheit in der Kirche fundamental angegriffen wird. Bischof Müller schrieb den Regensburger Theologen Burkard Porzelt, Heinz-Günther Schöttler und Sabine Demel am 9. Februar per Einschreiben mit Rückschein: "Sie unterstellen dem Papst ein Handeln zum Schaden der Kirche", heißt es in dem zweiseitigen Schreiben Müllers, "damit haben Sie sich selbst als katholischer Theologe disqualifiziert." Der Bischof fordert von den Wissenschaftlern mit einem Ultimatum bis zum heutigen Montag eine Distanzierung von der Petition, eine schriftliche Entschuldigung beim Papst ("zur Weiterleitung über mich") - und das Ablegen eines Treueeids und des Glaubensbekenntnisses vor ihm. Sonst drohten "weitere Schritte".
"Ich war über den Brief außerordentlich überrascht", berichtet Burkard Porzelt in seinem Professorenzimmer. Es sind Semesterferien, leger ist der 46-Jährige gekleidet. Ruhig schaut er auf eine verschneite Wiese. Porzelt hat einen angegrauten Dreitagebart, in eine Gauloises-Reklame passte er gut. Aus der Radtasche kramt er den Bischofsbrief. Der Theologe gönnt sich lange Redepausen, wägt gerade jedes Wort ganz genau. "Ich gehe davon aus, dass es für alle Katholiken und Theologen das Recht gibt, sich zu positionieren."
Am Donnerstag erhielt der Bischof als Reaktion einen gemeinsamen Brief der drei Theologen. Der Inhalt ist geheim. Am Freitag dann traf sich der Oberhirte mit dem Dekan der theologischen Fakultät. Danach äußerte sich das Bistum am Abend nur knapp auf ihrer Homepage. Der Kernsatz: "Alle Professoren einschließlich der drei Unterzeichnenden lehnen eine Interpretation der Petition ab, wonach dem Papst eine mangelnde persönliche und lehramtliche Integrität unterstellt wird." Die Professoren erklärten später in einer Pressemeldung, sie stünden "nach wie vor uneingeschränkt zum Inhalt dieser Petition". Ein Zukreuzekriechen hört sich anders an.
Die drei Theologen haben in den vergangenen Tagen von Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland viel Solidarität erfahren. Kritik am Bischof leistet sich Porzelt dennoch nur durch die Blume, ja durch einen ganzen Blumenstrauß: "Ich wünsche mir ein Verhältnis von Wissenschaft und Bischofsamt, das von Vertrauen geprägt ist und bei dem konstruktive Kritik als selbstverständlich erachtet wird", betont Porzelt. Habe er Angst um seinen Lehrstuhl? Forscher und Lehrer zu sein, sagt er, das liege ihm am Herzen. "Aber das bedeutet nicht, dass ich mir Angst einjagen lassen muss."
Der Bischof selbst ist natürlich nicht zu sprechen. Das Ganze sei ein "interner Vorgang", erklärt ein Pressereferent, und außerdem sei "alles schon gesagt". Er verweist auf die Homepage der Diözese, wo der Mahnbrief des Bischofs online gestellt wurde. Dort ist auch sehr prominent eine Anzeige für eine andere Unterschriftenliste geschaltet: "Ja zu Benedikt" nennt sich die Petition, die bereits über 12.000 Menschen unterschrieben haben. "Heiliger Vater Benedikt XVI.!", heißt es da, "wir - die Unterzeichner - wehren uns gegen die maßlosen Angriffe in den Medien gegen Sie - unseren Hirten." Zu gewinnen gibt es bei einer Unterschrift auch einen von 10 "Crossplayern" - "den katholisch-trendigen MP3-Player im Kreuz-Design!".
Wer den vatikankritischen Brief unterschreibt, kann dagegen nichts gewinnen außer Ärger mit dem Bischof, wie ein katholischer Seelsorger erzählt, der unerkannt bleiben will. Wie andere Geistliche musste er beim Bischof antanzen, als online nachzulesen war, dass auch er die "Petition Vaticanum 2" unterstützt hatte. "Die Sache wurde in freundlicher Atmosphäre und gütlich beigelegt", diktiert er in den Block. Er habe seinem Oberhirten deutlich machen können, dass er nicht unterschrieben habe, um den Papst anzugreifen. "In dieser Richtung konnte man sich einigen", sagt der Geistliche. Wolle sich Bischof Müller mit seiner Aktion gegen die Professoren beim Papst lieb Kind machen? Da lächelt der Geistliche fein - und führt einen Zeigefinger als Geste des Schweigens an seinen Mund.
Tatsächlich profiliert sich Bischof Müller seit Jahren am kirchenpolitisch rechten Rand seiner Kirche - immer mit einem devoten Blick auf Rom, wo man seine Aktionen mehr oder weniger offen unterstützt hat. Der Bischof hat 2008, nachdem die Universität nicht recht anbiss, ein eigenes "Institut Papst Benedikt XVI." gegründet, das alle Schriften des Pontifex maximus editieren will - die Schleimspur dürfte ohne Problem bis zum Tiber reichen.
In seinen bald sieben Jahren als Bischof hat Müller schon zwei fortschrittliche Pfarrer und einen Professor abgesägt. Zudem mit viel Lob aus Rom, jedoch unter scharfer Kritik etwa von Kardinal Karl Lehmann die Laienvertretungen auf Diözesan- und Gemeindeebene entmachtet. Fünf kirchliche und noch mehr weltliche Prozesse gegen liberale Geister oder Anliegen hat er schon geführt. Dazu kamen Possen wie die kostspielige Um- und Höhersetzung seines Bischofssitzes im Regensburger Dom, angebliche Kosten: zehntausende Euro. Schön ist auch die Order seines Generalvikars an den Priesterrat, wie Exzellenz zu empfangen sei: "Der Pfarrer muss sichtbar und erkennbar sein und den Bischof an der rechten hinteren Tür des Autos begrüßen." Solches Gebaren hat ihn unter seinen Schäfchen nicht gerade beliebt gemacht. Ungefragt lästern brave Katholiken des Bistums über ihren Oberhirten: "In Regensburg gibt es nicht nur eine päpstliche, sondern auch eine bischöfliche Unfehlbarkeit." Oder: "Der geht mit seiner Mitra sogar ins Bett."
Um offenen Widerstand gegen Müller zu finden, muss man ins beschauliche Deggendorf fahren. Es liegt etwa 70 Kilometer von Regensburg entfernt. Dort lehrt Johannes Grabmeier Wirtschaftsinformatik. Bis 2003 war der 52-Jährige ein führender Laienvertreter in seinem Bistum. Dann wurde er von Bischof Müller gefeuert. Seitdem befehden sich die beiden, inner- und außerhalb der Gerichte. Grabmeier und seine Frau Sigrid, eine Sprecherin der "Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche", haben den Verein "Laienverantwortung Regensburg" mitgegründet. Spitz schreibt der Verein, zwei Triebfedern steuerten Bischof Müller immer mehr: "Zum einen seine Anbiederung an die Person des Papstes, zum anderen sein ständiges und reflexartiges Entwickeln von Verschwörungstheorien." Und weiter: "Es wirkt nahezu absurd, wenn der Papst den Verweigerern der Lehren des Vaticanums II mehr als eine Hand entgegenstreckt, der Bischof von Regensburg aber drei Theologen attackiert, die sich gerade für diese Lehren einsetzen." Sigrid Grabmeier erzählt, sie habe mehrere Pfarrer gefragt, ob sie die Petition stützen wollten. Oft hörte sie die Antwort: "Nein, ich habe Angst." Glaubt sie, dass Müller einen Kompromiss mit den Theologen eingehen wird: "Wenn er schlau ist: ja. Aber er ist nicht schlau", sagt sie.
In Regensburg will Pfarrer Martin Müller von der Herz-Jesu-Kirche nicht über seine Unterschrift unter die "Petition Vaticanum 2" reden, auch nicht über die Folgen für ihn: "Ich sage nichts", sagt er kurz am Telefon. Vor der Tür seiner Kirche steht nach der Messe ein engagiertes Gemeindemitglied. Die Frau findet seine Unterschrift unter die Petition okay. "Nicht in Ordnung" aber sei der Rüffel ihres Bischofs gegen die Theologen: "Ich kann in dieser Petition keinen Angriff gegen den Papst erkennen", sagt sie. Ihren Namen will sie nicht nennen.
Mutiger sind da die Biermösl Blosn. Die Eskapaden des Bischofs inspirierten sie zu einem Lied über ihn. Es heißt: "Hoaz Sparifankerl - Heiz ein, Teufel". Darin singen die Volksmusiker die Zeile: "Waar der no länger Bischof bliebn, na waar er für d Höll no z schlecht", also: Wäre der noch länger Bischof geblieben, dann wäre er für die Hölle noch zu schlecht. In Bayern ist der Leibhaftige nie fern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste