Kritik an Senatorin Kolat: „Ich hätte mehr erwartet“
Nach ihrem Einigungspapier zum Oranienplatz hat sich SPD-Senatorin Kolat aus der Verantwortung gezogen, kritisiert Aziz Bozkurt vom SPD-Landesvorstand.
taz: Herr Bozkurt, nach der Einigung des Bezirks mit den Besetzern der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule hagelt es Kritik, vor allem an den Grünen. Wer hat mehr Fehler gemacht: Senat oder Bezirk?
Aziz Bozkurt: Das ist eine gemeinschaftlich miserable Leistung, die wir da geboten bekommen. Konkret sieht man auf Senatsseite eine Politik, die lange nichts tut und dann, als die Sache eskaliert, auch noch Öl ins Feuer gießt.
Welches Öl meinen Sie?
Ich meine die Kommentare von Innensenator Henkel, in denen er den berechtigten politischen Protest als Erpressung betitelte oder immer wieder unnötig Druck auf die Verhandlungen ausübte und verlangte, dass man „endlich zu Potte“ kommen müsse. Er fühlt sich offensichtlich nicht verantwortlich. Sonst könnte sich auch nicht ein Polizeipräsident hinstellen und Ultimaten stellen.
Aber das war doch mit Henkel abgesprochen, oder?
Aber selbst dann: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Polizei ist, zu sagen: Macht was, sonst ziehen wir ab. Der Innensenator hatte dafür wohl nicht genug Mumm.
Und die Grünen?
Auch die agieren plan- und verantwortungslos. Es war ja nicht das erste Mal, dass man wegen der Flüchtlinge die Polizei gerufen hat. Im November wollte Bürgermeisterin Monika Herrmann schon mal den Oranienplatz räumen lassen. Dann gab es eine Mobilisierung der Unterstützer, und die Grünen sind zurückgerudert – genau wie dieses Mal. Und jetzt geht es ihnen primär darum, ihr Image zu retten als „CSU von Kreuzberg“, wie es die Piraten so schön formuliert haben.
33, geboren und aufgewachsen im ostwestfälischen Bünde. Der studierte Wirtschaftsinformatiker ist seit 2012 Landesvorsitzender der parteiinternen AG Migration und Vielfalt Berlin.
Auch von Ihrer Partei hört man nichts – auch nicht von SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat, die das Einigungspapier zum Oranienplatz ausgehandelt hat. Warum ist sie so still?
Frau Kolat hat ja dankenswerterweise mit ihrem Einsatz dazu beigetragen, dass der Oranienplatz nicht gewaltsam geräumt wurde. Das war der SPD aus menschlicher Perspektive sehr wichtig – und für diesen Erfolg hat sich Kolat ausgiebig feiern lassen. Aber schon damals gab es die Kritik, das würde sie nur machen, um aus ihrem politischen Tief zu kommen. Das fand ich zwar nicht, aber ihr Schweigen heute wirft die Frage auf, wie wichtig ihr das Thema ist. Ich hätte mir von ihr deutlich mehr Engagement erwartet.
Warum lässt die SPD den Innensenator gewähren? Ist man im Stillen doch mit Henkels harter Linie einverstanden?
Nein, es gibt deutlich unterschiedliche Visionen in punkto Flüchtlingspolitik. Wenn man bei Herrn Henkel überhaupt von einer Linie und Vision sprechen kann. Selbstkritisch muss ich als Sozialdemokrat aber zustimmen, dass die SPD bei der Einflussnahme im Hintergrund mehr tun könnte, um auf den Koalitionspartner einzuwirken. Vor allem könnte die Verhandlerin Frau Kolat deutliche Worte finden. Es steht ja nicht alles in dem Einigungspapier drin, was die Diskussionen während der Verhandlungen geprägt hat. Sie war dabei und weiß, welcher Geist diese Vereinbarung prägt. Den müsste sie deutlich machen.
Dann sollte Henkel also ein Bleiberecht aussprechen für die Gruppe? Die Grünen sind da bekanntlich gespalten. Und die SPD?
Dazu gibt es keine öffentliche Positionierung. Wir als Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, die für diesen Politikbereich zuständig ist, sind der Überzeugung, dass es auf jeden Fall eine Bleiberechtslösung geben muss. Und der Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes gibt dazu rechtlichen Spielraum auf Landesebene. Es geht also um die Frage, wie man das politisch einschätzt oder gewillt ist: Gibt es ein politisches Interesse, den Einsatz dieser Menschen zu würdigen, die unsere 20 Jahre brachliegende Asylpolitik aufgewirbelt haben? Ich finde, ja. Wenn der Paragraf in diesem Fall nicht gelten soll, in welchem dann?
Nach der Einigung zur Schule sagt der Senat jetzt, der Bezirk solle die Kosten des Polizeieinsatzes bezahlen. Finden Sie das gerecht?
Das ist reiner Populismus. Es geht offensichtlich darum, in die Diskussion über Flüchtlinge einen anderen Zungenschlag reinzubekommen, nach dem Motto: Was die uns wieder kosten.
Was passiert mit den Leuten, die weiter in der Schule wohnen? Der Senat erklärt, er sei für sie nicht zuständig, sie hätten das Oranienplatz-Papier abgelehnt.
Noch so eine beschämende Diskussion. Das Einigungspapier besagt, dass man die rechtliche Möglichkeit nutzen wird, Asylverfahren aus anderen Bundesländern an sich zu ziehen. Das galt ebenso für die Bewohner der Schule. Wenn sich Henkel weigert, das umzusetzen, was er selbst abgenickt hat, dann lässt das an seiner Ernsthaftigkeit und seinem Verantwortungsbewusstsein zweifeln. Jetzt muss der Senat etwas tun, er ist in der Pflicht. Mit oder ohne Henkel.
Leser*innenkommentare
Stefan Mustermann
Viele Politiker sind sich einig: die Asylpolitik muss verbessert werden.
Zum Beispiel der frühere Bezirksbürgermeister Schulz sagte auf radioeins zu dem Camp am Oranienplatz, es gehe nicht darum, das Camp polizeilich zu räumen. Vielmehr gehe es darum, die Flüchtlingspolitik zu ändern, das Flüchtlingsrecht zu ändern und es humaner zu gestalten. Flüchtlinge dürften nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Langer Tünn
"Und der Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes gibt dazu rechtlichen Spielraum auf Landesebene. [...]Wenn der Paragraf in diesem Fall nicht gelten soll, in welchem dann?"
§23 I S.2 AufenthG: "Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern"
Der rechtliche Spielraum auf Landesebene, von dem sie hier schwadronieren, existiert in dieser Form nicht. Ob eine Aufenthaltserlaubnis nach §23 I AufenthG gewährt wird, hängt auch von der Zustimmung des BUNDESinnenministeriums ab. Und dieses muss qua Auftrag nunmal die Interessen den ganzen Bundes vertreten. Und diese decken sich nicht unbedingt mit denen, des Mikrokosmos Berlin-Kreuzberg, auch wenn die Bewohner dieses kleinen Landstriches häufig denken, die ganze Welt dreht sich nur um sie.
Auch interessant, dass eine Passage des §23 I AufenthG nie Erwähnung findet:
"Die Anordnung kann unter der Maßgabe erfolgen, dass eine Verpflichtungserklärung nach § 68 abgegeben wird" - §68 sieht eine Verflichtung vor, die Haftung und die Kosten für den Lebensunterhalt der Ausländer zu übernehmen.
Also eigentlich ein Paragraph, als wäre er geradezu für die Unterstützer geschrieben worden. Aber dass einer von den Engagierten solch eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hätte um die Anwendung des §23 zu vereinfachen, davon habe ich bis jetzt nichts mitbekommen.
Karl Wagenrad
Der ganze Vorgang war eine bodenlose Frechheit. Die Personen hätten aus der Schule geholt werden müssen, zur Not mit der gleichen Gewalt die sie und ihre deutschen "Aufputscher" auch angewendet haben.
Dennoch ist das vielleicht endlich der Anstoß das Asylrecht so umzugestalten, dass Asylsuchende sich wirklich integrieren können, indem man ihnen den Weg zum Arbeitsmarkt öffnet und sie bei der Erlernung der Sprache und dem Kennenlernen der Regeln unserer Gesellschaft konstruktiver und effektiver unterstützt.
Der gegenwärtige Zustand wird bei den vielen Menschen die derzeit bei uns Asyl suchen langfristig zu gefährlichen Spannungen führen, die leicht zu instrumentalisieren sind.