Kritik an Radwege-Ausbau: Vor Gericht gerollt
Was tun gegen den lahmen Ausbau der Radinfrastruktur? Der Verein Changing Cities erprobt eine neue Taktik: einfach mal die Senatsverwaltung verklagen.
„Uns ist der Geduldsfaden gerissen“, teilt Changing Cities mit. Nicht einmal 5 Prozent des vorgesehenen Radnetzes seien bislang fertiggestellt. Weil das Fehlen sicherer Infrastruktur besonders dort ins Gewicht fällt, wo der Verkehr besonders gefährlich ist, wurden für den aktuellen Vorstoß fünf Straßenabschnitte ausgewählt, die zu den Berliner Unfallschwerpunkten zählen. Konkret geht es um Teile der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, der Neuköllner Hermannstraße, der Lichtenberger Treskowallee, der Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg und der Leipziger Straße in Mitte.
„Wenn die Politik nicht in der Lage ist, uns Bürger*innen im Verkehr zu schützen, müssen wir reagieren“, findet Changing-Cities-Vorstandsmitglied Paul Jäde. „Der Ball liegt jetzt bei Frau Schreiner.“ Deren MitarbeiterInnen fanden am Donnerstag in ihrem Posteingang fünf mehrseitige Schreiben der Lichtenberger Kanzlei Leonhardt, die jeweils die „verkehrsrechtliche Anordnung auf Errichtung von geschützten Radfahrstreifen“ oder aber „hilfsweise eine vergleichbare verkehrsrechtliche Anordnung“ beantragen, „um den Radverkehr an dieser Stelle ausreichend zu schützen“.
Diese knappe Forderung wird dann ausführlich begründet. Im Fall der Schönhauser Allee etwa führt Anwalt Leonhardt auf, dass der vorhandene bauliche Radweg lediglich 1,50 bis 1,60 Meter breit ist und damit den aktuell gültigen Mindestbreiten zum sicheren Überholen nicht genügt. Gleichzeitig komme es zu vielen Konflikten mit dem umfangreichen Fußverkehr auf dem Gehweg. Die Benutzungspflicht des Altradwegs ist auch längst aufgehoben, allerdings sei das Fahren auf der Fahrbahn – bei werktäglich bis zu 22.000 Pkws und bis zu 5.600 Lkws – für die 5.000 bis 10.000 Radfahrenden (die Zahl schwankt jahreszeitlich stark) sehr riskant.
Nur 700 Meter umgebaut
Zwischen 2018 und 2022 habe es laut Unfallstatistik auf beiden Fahrtrichtungen des Abschnitt insgesamt 37 verletzte Radfahrende gegeben, davon 2 schwer verletzte. Der Forderung der Pankower BVV, den rechten der drei vorhandenen Fahrstreifen dem Radverkehr zu widmen und dafür Pkw-Stellplätze zu opfern, sei die Senatsverwaltung bislang nur auf einem weiter südlich gelegenen, rund 700 Meter langen Abschnitt nachgekommen – hier wird der mit Betonelementen geschützte Radstreifen zum Teil noch fertiggestellt.
Eine „zeitnahe Fortführung“ dieser sei aber „nach Aussagen der SenMKVU nicht wahrscheinlich“, argumentiert das anwaltliche Schreiben und verweist auf Äußerungen der Senatorin, man werde jetzt immer „prüfen, ob es auch Sicherheit für Radfahrer gibt, ohne sich rigoros gegen Parkplätze zu entscheiden.“ Das entspricht auch dem internen Dokument „Hinweise für die Planung von Radverkehrsanlagen“, das die Verkehrsverwaltung zur aktuellen Grundlage aller Planungen gemacht hat.
Vor diesem Hintergrund leitet der Anwalt allerdings den „Anspruch auf verkehrsrechtliches Einschreiten“ seiner MandatInnen nicht vom Berliner Mobilitätsgesetz, sondern von § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) ab. In dem geht es um die Errichtung von Verkehrszeichen zur Erhöhung der Sicherheit – wozu auch farblich markierte oder baulich geschützte Radspuren gehören. Er argumentiert, es bestehe eine „konkrete Gefahr für die Individualrechtsgüter der Antragsstellenden, nämlich ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie ihr Eigentumsrecht an dem Fahrrad“.
Die entscheidende Frage lautet nun: Sind Einzelpersonen überhaupt berechtigt, derartige Anträge zu stellen? „Ja“, sagt Paul Jäde von Changing Cities: Man sei nach gründlicher Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass individuelle Rechte aus der Gesetzeslage abgeleitet werden könnten. „Die StVO soll ja Sicherheit herstellen, also den Anspruch Einzelner auf körperliche Unversehrtheit schützen.“ Sprich: Es müsse quasi umgehend gehandelt werden, gegebenenfalls mit vorläufigen Maßnahmen. Lehne die Senatsverwaltung die Anträge ab, könne dagegen Widerspruch eingelegt werden. Führe auch das nicht zum Erfolg, könne man eine Klage beim Verwaltungsgericht einreichen, so Jäde.
„Keine Rechtsprechung bekannt“
In der Verwaltung hat man da Zweifel, auch wenn sich deren HausjuristInnen den Fall noch einmal genau ansehen dürften. „Dazu, ob einzelne Verkehrsteilnehmer einen Anspruch auf geschützte Radinfrastruktur haben, ist bisher keine Rechtsprechung bekannt“, teilte Sprecherin Britta Elm der taz mit. Dagegen dürfte sprechen, „dass die Priorisierung der Anlage und die Ausgestaltung der Radwegeinfrastruktur in Umsetzung des Radverkehrsplans im Ermessen des Landes Berlin liegt“, so Elm – „und die Bestimmungen des Mobilitätsgesetzes oder der Straßenverkehrsordnung grundsätzlich im öffentlichen Interesse stehen“.
Genau das sieht Jäde hier nicht gegeben: Der Ermessensspielraum der Verwaltung, etwa indem sie auf Umbauten irgendwann in der Zukunft verweise, sei angesichts der Gefahrenlagen „auf null reduziert“. Genau genommen habe die Politik ihr Ermessen schon durch die Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes ausgeübt – und das spreche eine eindeutige Sprache.
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