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Kritik an Polizeigesetz in NiedersachsenEin Land fühlt sich verdächtigt

Das geplante Polizeigesetz mobilisiert den Protest hunderter Menschen in Niedersachsen. Sie sehen ihre Bürger- und Freiheitsrechte bedroht.

Sollen einfacher Wohnungen von Gefährder durchsuchen können: niedersächsische Polizisten Foto: dpa

Hannover taz | Im Flächenland Niedersachsen ist Protest keine einfache Angelegenheit. „Die Menschen müssen ganz viel Ärger in sich haben, damit sie sich nach Hannover aufmachen“, sagt Hanni Gramann von Attac. Das geplante niedersächsische Polizeigesetz ist so ein Thema, das in ganz Niedersachsen Menschen wütend macht. Das Bündnis #noNPOG rechnet für die geplante Großdemo am 8. September ab 13 Uhr mit mehreren Tausend Menschen. Denn in Städten im ganzen Land haben sich lokale Protestgruppen gebildet, die das Polizeigesetz verhindern wollen.

Die Große Koalition aus SPD und CDU plant, dass die Polizei in Zukunft mehr Eingriffsrechte bekommt. Dabei solle es um die präventive Bekämpfung von islamisch motiviertem Terrorismus gehen, erklärte Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei der Vorstellung des Entwurfs.

Geplant ist etwa eine Präventivhaft für Gefährder von bis zu 74 Tagen – dafür müssten die Verdächtigen noch keine konkrete Tat vorbereitet haben. Bisher sind nur zehn Tage Präventivhaft möglich. Außerdem sollen Telefone, Computer und Wohnungen von Gefährdern künftig leichter überwacht und ihnen auch elektronische Fußfesseln angelegt werden können.

Kritik von den Jusos am SPD-Gesetz

„Der Gefährderbegriff ist unfassbar unklar definiert“, kritisiert der Vorsitzende der Jusos in Niedersachsen, Jakob Blankenburg. „Das kann letztendlich gegen alle Menschen angewendet werden.“ Es komme auf die persönliche Einschätzung der Polizisten vor Ort an, wer als Gefährder gelte. Statt neuer Eingriffsrechte solle die Polizei die vorhandenen Möglichkeiten nutzen und die Landeskriminalämter untereinander besser vernetzen. „Wir wollen eine Polizei, die den Menschen zuhört und diese nicht abhört“, sagt der Juso.

„Die Unschuldsvermutung wird praktisch außer Kraft gesetzt“, befürchtet auch Gramann von Attac. „Im Prinzip ist jeder verdächtig. Er könnte ja terroristische Gedanken im Kopf haben.“

Juana Zimmermann, die Pressesprecherin des Bündnisses, in dem sich unter anderem Gewerkschaften, Fußballfans, Anwälte, der Flüchtlingsrat oder Antifa-Gruppen zusammengeschlossen haben, weist darauf hin, dass in der Anhörung für den Gesetzesentwurf im Landtag viele Experten diverse Kritikpunkte geäußert haben. „Dieses Gesetz greift tief in die Grundrechte ein“, sagt Zimmermann.

Infoveranstaltungen soll es in der kommenden Woche in mehreren Städten geben. So etwa am Dienstag, den 4. September, in der Warenannahme in Hannover. Amnesty International lädt ab 19 Uhr zur Podiumsdiskussion „Sicherung der Freiheit“.

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4 Kommentare

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  • Diejenigen, welche hier dieses Polizeigesetz herunterspielen und meinen, es werden keine Otto Normalbürger ohne Migrationshintergrund betroffen sein, die sind da doch etwas Weltvergessen!

    Wenn der Polizei, zeitlich unbegrenzt und ohne direkte Beschreibung des Tatverdächtigen oder des Tatbestandes erlaubt wird, abzuhören und sogar Tatverdächtige für 74 Tage festzuhalten, der ermöglicht der Polizei unter Weisung der Politik, Menschen jedweder Glaubens oder Ansichtsrichtung auszuschalten!

    momentan wird es wohl in erster Linie um islamische Gefährder gehen, wie propagiert wird, aber was, wenn diese Gefahr weitestgehend gebannt sein sollte?



    Dieses Gesetz erlaubt der Politik sehr weitgehende Eingriffe in das Leben jedes Bürgers und das dürfte später der Grund sein, dieses Gesetz nicht wieder einzustampfen, denn es ist viel zu hilfreich gegen spätere Widersacher gegen die Politik!

    Keiner kann sagen, dass sich Deutschland nicht in eine Richtung entwickelt, in der das Gesetz einmal gegen die eigenen Bürger eingesetzt werden kann!

    Solche Gesetze dürfen, wenn überhaupt nur eingesetzt werden, wenn sie sehr genau beschrieben und auf die Gefahr genauestens hingewiesen wird!

    Auch muss es eine gesetzliche Zeit Regel zur Abschaffung der Gesetze geben, damit sie immer wieder Neu verhandelt werden müssen, um eben zu verhindern, das sie sich gegen die eigenen Leute auf Dauer etablieren können!

    Wenn man sich die letzten Jahre mal genauer ansieht, muss man feststellen, dass die gewünschten Änderungen dieser Gesetze höchstwahrscheinlich keinerlei Wirkung gegen den Tatbestand der islamistischen Gefährdung erreichen werden, denn diese Gefährder agieren immer mehr als Einzelpersonen ohne einen direkten Bezug zum IS aufgebaut zu haben!Sie Radikalisieren sich durch das Internet und in den Kommunities in denen sie sich bewegen! Oft bekommen Freunde und Angehörige nicht einmal mit, dass sich jemand radikalisiert hat, wie will das dann die Polizei erreichen, sollte man sich fragen!!!

  • Ich bin auch kein Befürworter dieses Gesetzes.

    Aber die Horrorszenarien, die manche hier zitierten Gegner anführen, sind lächerlich übertrieben und der Sache nicht hilfreich.

    Dieses"es kann gegen alle angewendet werden/jeder ist verdächtig/usw"....

    Als ob die Polizei ein Interesse oder überhaupt das Personal und die Kapazitäten hat, jetzt willkürlich massenhaft Leute festzuhalten.

    99% der Bürger werden von den Veränderungen persönlich nicht betroffen sein.

    Das heißt natürlich nicht, dass man nicht gegen das Gesetz demonstrieren soll. Nur bitte nicht mit übertrieben Horrorszenarien.

    • @modulaire:

      Das Horrorszenario ist real, sie beschreiben es nur falsch. Es geht nicht darum, dass ALLE oder VIELE Bürger eingesperrt werden könnten. Das ist nämlich auch gar nicht nötig. Es genügt völlig die wenigen die "nerven" einzusperren. Und wenn das mit ausschließlich von der Polizei selbst "festgestellten" Umständen für 74 Tage begründet werden kann, dann haben wir echt ein Problem.

      • @Arno Birner:

        Zustimmung - sehr gut erklärt! Und wo die Reise, mit den verschärften Polizeiaufgabengesetzen (PAG), hingeht bzw. welche Personengruppen die (Ermittlungs)Behörden im Visier haben, zeigt anschaulich die rechtswidrige Hausdurchsuchung der Augsburger “Zwiebelfreunde“.

        netzpolitik.org/20...-war-rechtswidrig/

        www.taz.de/!5515912/