Kritik an Norwegens Flüchtlingspolitik: Eine Lektion besonderer Güte
Um Härte zu demonstrieren, hat Oslo Flüchtlinge einfach nach Russland zurückgeschickt. Das hat Moskau jetzt unterbunden.
Was weder Warnungen des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR vor einem eklatanten Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention vermochten noch Appelle diverser Organisationen, dazu hat jetzt Russland die norwegische Regierung gezwungen.
Am Samstag erklärte Moskau, mit sofortiger Wirkung „aus Sicherheitsgründen“ die Abschiebung von Flüchtlingen über den Grenzübergang Storskog nicht mehr zu akzeptieren. Man wolle erst Verhandlungen zwischen beiden Ländern über ein „geordnetes Verfahren“.
Norwegen hatte Ende November sein Asylrecht massiv verschärft, die Grenze zu Russland für Flüchtlinge praktisch blockiert und Russland zu einem „sicheren Drittland“ erklärt. Außerdem hatte Migrationsministerin Sylvi Listhaug angeordnet, alle rund 5.500 über Russland eingereiste Flüchtlinge würden ohne sachliche Prüfung ihrer Asylgründe in dieses für sie angeblich „sichere“ Asylland zurückgeschickt.
Norwegen nahm Flüchtlinge sogar in Haft
Bei der Abschiebepraxis wollte man offenbar bewusst Härte demonstrieren. Bis Weihnachten wurden 371 Asylsuchende, darunter Familien mit Kindern, trotz Schnee und bitterer Kälte mit Fahrrädern über die Grenze abgeschoben. Was mit diesen auf russischer Seite passierte, ist bis heute nicht bekannt.
Eirik Nilsen von Welcome Refugees
Weil Russland offenbar gegen diese Vorgehensweise protestierte, einigte man sich Anfang Januar für die Zukunft auf Bustransporte. Zustande kam bislang aber nur ein einziger Transport mit 13 abgeschobenen Flüchtlingen. Ende vergangener Woche verhinderten AktivistInnen von Welcome Refugees to the Arctic weitere Abschiebungen und konnten einige Flüchtlinge aus dem Abschiebelager herausholen. Sie fanden in einem Kirchenasyl vorläufige Zuflucht.
Die Polizei nahm daraufhin am Donnerstagabend alle 82 Personen im Abschiebelager in Haft, darunter 15 Kinder, das jüngste keine 2 Jahre alt. Erst als Medien diese Aktion heftig kritisierten, wurden einen Tag später zumindest Familien mit Kindern wieder freigelassen.
Aufatmen bei Flüchtlingshelfern
Am Sonntag wurde mitgeteilt, alle Inhaftierten seien wieder frei, dürften aber das Lager nicht ohne Erlaubnis verlassen. Begründet wird das mit einem Antiterrorgesetz aus dem Jahre 2008. Und das Justizministerium kündigte an, die seit Jahrzehnten bestehende Praxis, Kirchenasyl zu respektieren und niemand mit Gewalt aus Kirchen herauszuholen, sei „nicht mehr aktuell“, das „untergrabe das Asylsystem“.
Man werde jetzt mit Moskau verhandeln, erklärte Außenminister Børge Brende. „Nun können wir erst einmal etwas entspannen“, meint Eirik Nilsen von Welcome Refugees to the Arctic. Bei einer fünfköpfigen Familie aus Syrien kündigte die Ausländerbehörde wenigstens eine Asylprüfung in der Sache an.
Dabei dürfe es nicht bleiben, fordert das liberale Dagbladet: Vermutlich könne man tatsächlich einen Teil der Flüchtlinge nach Russland zurückschicken, „aber doch nicht automatisch, ohne Einzelfallprüfung und unter Verweigerung jeglichen Rechtsschutzes“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken