Kritik an Fehmarnbelt-Tunnel: Pläne außer Kontrolle
Dänemark will das Baugesetz für den Ostsee-Tunnel beschließen. Auf fehlerhafter Grundlage, meint Dänemarks Ex-Verkehrsplaner.
KOPENHAGEN taz | Heute verabschiedet das dänische Parlament (Folketing) das Gesetz über den Bau der festen Querung des Fehmarnbelts zwischen Deutschland und Dänemark. Der Beschluss wird gefasst, obwohl weder die Bausumme, der Umfang des EU-Zuschusses noch die Genehmigung der deutschen Umweltbehörden geklärt ist.
Das Folketing darf und muss nach dem dänischen Grundgesetz große Investitionsmaßnahmen beschließen. Aber das darf nur auf einer klaren und fachlich qualifizierten Grundlage geschehen.
Das Abkommen der dänischen politischen Parteien über die feste Querung wurde 2008 auf einer sehr unsicheren Grundlage getroffen. Aber mit dem Abkommen hatte die staatliche Realisierungsgesellschaft Femern A/S freie Hand zur Erstellung von – unglaubwürdigen – Planungsgrundlagen.
Die Parteien haben aber jetzt schon vereinbart, dass die Mauteinnahmen der Große-Belt-Brücke nicht für das Fehmarnbelt-Projekt verwendet werden dürfen. Daran kann man sehen, dass sie selber befürchten, dass sich das Fehmarnbelt-Projekt durch seine Mauteinnahmen voraussichtlich nicht trägt. Also wird es wahrscheinlich der dänische Steuerzahler sein, der auf dem Defizit sitzen bleibt.
Die Grundlage für die Fehmarnbelt-Querung ist der deutsch-dänische Staatsvertrag von 2009.
Strecke: Die gut 19 Kilometer breite Meerenge soll für eine vierspurige Autobahn und zwei Bahngleise untertunnelt werden.
Kosten: Von 5,5 Milliarden Euro im Sommer 2014 ist die Kostenschätzung aktuell auf 7,4 Milliarden Euro gestiegen. Dänemarks Verkehrsminister Magnus Heunicke forderte deshalb von Femern A/S, sie müsse "die Preise runter handeln". Bedeutet: spätere Fertigstellung oder schlechtere Arbeitsbedingungen und Löhne.
Amortisierung: Die Refinanzierung durch die Tunnelmaut verlängert sich von 32 auf etwa 39 Jahre.
Anschluss Dänemark: Straßen und Schienen von Rødby bis Kopenhagen baut der Staat für etwa 1,3 Milliarden Euro aus.
Anschluss Deutschland: Straßen und Schienen von Fehmarn bis Lübeck sollen von Bund und Bahn ausgebaut werden. Ursprünglich mit 817 Millionen Euro angesetzt, spricht die Bundesregierung nun von mindestens 1,5 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof geht von über zwei Milliarden Euro aus.
Ausstieg: Der Staatsvertrag enthält eine Ausstiegsklausel, etwa bei erheblichen Kostensteigerungen. Der Bundesrechnungshof fordert neue Verhandlungen.
Denn die Maut über die Große-Belt-Brücke könnte im Jahr 2030 wesentlich reduziert werden, weil dann die Darlehen zurückgezahlt sein werden. Aber diesen großen Vorteil für den dänischen Binnenverkehr darf man sich aus der Fehmarn-Perspektive nicht erlauben, da ihn auch die Reisenden aus Ostdänemark nach Deutschland nutzen würden, selbst wenn sie dabei 150 Kilometer Umweg in Kauf nehmen müssen.
Daher müsste die Fehmarnbelt-Querung weiter durch die hohe Große-Belt-Maut geschützt werden – zum Nachteil der dänischen Bürger und der dänischen Wirtschaft.
Die Mauteinnahmen von den Nutzern des Tunnels müssen Amortisierung und Zinsen des Anlagedarlehens sowie die laufenden Betriebsausgaben für den Tunnel decken. Die Prognose der Verkehrsnachfrage ist deshalb entscheidend für die Wirtschaftlichkeit.
Deshalb sollten internationale und unabhängige Experten die Qualität der Prognosen prüfen. Die Fehmarn AG hat ein hohes Eigeninteresse daran, optimistische Verkehrsprognosen zu liefern. Deshalb hätten die Zahlen von neutralen Fachleuten kontrolliert werden müssen. Das aber ist nicht geschehen.
Ein Verkehrsprognosemodell aus den 1990er-Jahren hat berechnet, dass die heutige Fährroute zwischen Rødby und Puttgarden bei einer festen Querung eingestellt würde, wegen zu geringen Verkehrs.
Aber diese Prognose beruht nicht auf heutigem Verkehrsverhalten und auch nicht auf einem zukünftig optimierten Fährbetrieb. Mit häufigeren Überfahrten in den Hauptverkehrszeiten und niedrigeren Preisen könnte die Fährroute mit dem Tunnel ernsthaft konkurrieren. Eine Analyse dieses Konkurrenzszenarios gibt es aber nicht in der Beschlussgrundlage.
Der LKW-Verkehr steht unter enormem Kostendruck. Die Konkurrenz durch immer mehr osteuropäische LKWs drückt die Preise, die Spediteure suchen die billigsten Routen. Die Überfahrtszeit der Fähren passt genau zur gesetzlichen Ruhezeit der Fahrer, wodurch, kombiniert mit niedrigen Überfahrtspreisen, die Fähre zusätzlichen LKW-Verkehr anzieht. Analysen einer solchen Entwicklung liegen ebenfalls nicht vor.
35 Prozent des PKW-Verkehrs über den Fehmarnbelt werden heute von Bewohnern nördlich des Belts generiert, die den Bordershop in Puttgarden besuchen, um billiges Dosenbier und ähnliches zu kaufen. Für sie kostet die Rückfahrkarte mit der Fähre heute 40 Euro, zu gewissen Zeiten sogar nur 13 Euro.
Diesen Verkehr rechnet die Femern A/S einfach zum Tunnelverkehr hinzu, für den eine Maut von 130 Euro zugrunde gelegt wird. Gäbe es dort den gleichen Rabatt wie auf der Fähre, würden die entsprechenden Einnahmen fehlen.
Der eigentliche Reiseverkehr ohne Bordershop ist seit 1990 um 15 Prozent zurückgegangen. Der Markt hat sich verlagert, hauptsächlich auf den Luftverkehr, häufig kombiniert mit einem Mietauto am Zielort. Ungeachtet dessen rechnet die Femern A/S mit einem gewaltigen Zuwachs an Verkehr.
Die Femern A/S und die Mehrheit im Parlament werden wahrscheinlich ihren Willen durchsetzen. Die Verlierer in diesem Spiel wären die dänischen Steuerzahler – sowie der Ost-West-Verkehr innerhalb Dänemarks über den Großen Belt, weil er dann mehr als 50 Jahre lang eine „Schutz-Maut“ bezahlen müsste.
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