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Kritik an Atommülltransporten durch NRW„Atom-Hotspot trotz Atom-Ausstieg“

Der Transport von hochradioaktivem Atommüll aus Bayern nach Nordrhein-Westfalen ist genehmigt. Atom­kri­ti­ke­r:in­nen finden das unverantwortlich.

Atomares Zwischenlager des Forschungszentrums Jülich: per Lkw über die Autobahnen, mitten durch Düsseldorf und das Ruhrgebiet Foto: Matthias Graben/imago

Bochum taz | Mit heftiger Kritik haben Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen und Atomkraftgegner:innen, aber auch die oppositionelle SPD, die Linkspartei und die Polizeigewerkschaft GdP auf die Genehmigung von Atommüll-Transporten aus dem ehemaligen Kernforschungszentrum Jülich, aber auch aus dem Forschungsreaktor im bayerischen Garching ins Zwischenlager Ahaus reagiert.

Nordrhein-Westfalen drohe damit eine „riesige Castor-Lawine über die Autobahnen“, die „absolut unverantwortlich sei“, erklärte ein Bündnis, zu dem sich fünf Anti-Atom-Initiativen, aber auch das Umweltinstitut München und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zusammengeschlossen haben.

Bei der „nuklearen Sicherheit versagt“ habe die von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst und seiner grünen Stellvertreterin Mona Neubaur geführte schwarz-grüne NRW-Landesregierung, kritisierte SPD-Landtagsfraktionsvize Alexander Vogt. NRW werde „trotz Atom-Ausstieg zum Atom-Hotspot“, klagte der energiepolitische Sprecher der So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen im Düsseldorfer Parlament, André Stinka.

Für die Linke erklärte deren atompolitischer Sprecher Hubertus Zdebel, für Schwarz-Grün seien „nicht Sicherheit, sondern Kosten“ zentral gewesen. Und der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, der den drohenden jahrelangen Atommüll-Tourismus schon Mitte August als „Wahnsinn“ bezeichnet hatte, sprach gegenüber der Rheinischen Post von einer „sinnlosen Mammutaufgabe“.

152 Castor-Behälter

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hatte die Genehmigung der Atommüll-Transporte am Montag bekanntgegeben – und unter „Sofortvollzug“ gestellt. Damit dürfen ab sofort 152 Castor-Behälter mit rund 300.000 hochradioaktiven Brennelementen des ehemaligen Kugelhaufen-Reaktors im rheinischen Jülich per Lkw über die Autobahnen, mitten durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das dichtbesiedelte Ruhrgebiet ins rund 170 Kilometer entfernte münsterländische Ahaus gefahren werden.

Gleiches gilt selbst für zwei Castor-Transporte mit hochangereichertem, waffenfähigem Material aus dem 700 Kilometer entfernten, wegen technischer Probleme seit fünf Jahren stillliegenden Forschungsreaktor FRM II in Garching bei München. Unmittelbar starten dürften die Transporte jedoch noch nicht: die Polizei benötige nach der Genehmigung acht Wochen als „zwingend benötigte Vorbereitungszeit“, erklärt der für den Polizeieinsatz zuständige CDU-Landesinnenminister Herbert Reul in einem der taz vorliegenden Schreiben.

In der Kritik stehen besonders die bisher wenig beachteten Atommüll-Transporte aus Bayern. In einem der Garchinger Castoren befinde sich „bereits mehr als 30 Kilogramm waffenfähiges Uran“, erklärte Hauke Doerk vom Umweltinstitut München. Das sei „mehr, als für den Bau einer Atombombe gebraucht würde“.

Erlebt werden könne damit „Markus Söder in Höchstform“, kritisierte Hartmut Liebermann von der Initiative Kein Atommüll in Ahaus – schließlich preise Bayerns CSU-Ministerpräsident gern „die angeblichen Vorzüge der Atomkraft an, doch den daraus resultierenden hochradioaktiven und hochangereicherten Atommüll“ wolle Söder „nach NRW abschieben“.

Anti-Atom-Initiativen kündigen Mahnwachen an

Von Seiten der Grünen kam Kritik an den Transporten dennoch vor allem aus Bayern. Die Vize-Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag, Claudia Köhler, nannte die „Verlagerung dieser hochgefährlichen Brennelemente“ ein „risikoreiches Unterfangen“, das Deutschland „bei der Lösung des Atommüllproblems keinen einzigen Schritt weiter“ bringe.

Die für die Atomaufsicht zuständige grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erklärte mit Blick auf Jülich, verantwortlich für die Transporte sei der Bund – und sprach lediglich von einer „logistisch herausfordernden Situation“.

Entsprechend enttäuscht sind Anti-Atom-Aktivist:innen von Neubaur. Die stellvertretende Regierungschefin „täuscht die Öffentlichkeit“, findet etwa Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg. Schließlich könne Neubaur eine 2013 von ihrem Ministerium verhängte Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des Jülicher Zwischenlagers sofort zurücknehmen – und die Transporte damit unnötig machen. „Neubaur“, sagt Eickhoff, „ist aufgrund ihrer Untätigkeit eine der Hauptverantwortlichen für diese Castor-Lawine“.

Die Anti-Atom-Initiativen haben schon für Dienstagabend zu Mahnwachen vor dem Zwischenlager Ahaus und dem Forschungszentrum aufgerufen. „Wir werden uns mit allen Mitteln auf die Straße stellen“, erklären sie mit Blick auf kommende Proteste.

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