Kritik am neuen Bundesteilhabegesetz: Arbeiten erlaubt, sparen nicht
Das Arbeitsministerium hat ein Gesetz vorgelegt, das Einkommen und Vermögen Behinderter regelt. Es macht sie zum Sozialfall.
In dem mehr als 300 Seiten starken Gesetzentwurf wird unter anderem die Anrechnung von Einkommen und Vermögen eines Behinderten und seines Partners auf Sozialleistungen neu geregelt. Wer die sogenannte Eingliederungshilfe bekommt, also Hilfe bei der Aufnahme einer Arbeit, in der Mobilität oder für betreutes Wohnen, darf laut Gesetzentwurf ab 2017 einen Freibetrag von 25.000 Euro an Vermögen selbst behalten, der nicht mit der Eingliederungshilfe verrechnet wird.
Der Freibetrag kommt zu früheren, kleineren Freibeträgen dazu. Der Vermögensfreibetrag für einen Leistungsberechtigten und seinen Ehegatten oder Lebenspartner betrage daher ab 2017 insgesamt 28.214 Euro, so eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums. Ab dem Jahr 2020 soll der Vermögensfreibetrag auf einheitlich 50.000 Euro angehoben werden.
Das Problem: Wer zusätzlich zur Eingliederungshilfe oder auch als alleinige Leistung Hilfe zur Pflege bekommt, etwa durch persönliche Assistenten im Haushalt, für den bleibt es bei der alten Anrechnung des Vermögens auf die Sozialleistungen. Dabei gilt ein Freibetrag an Barvermögen von 2.600 Euro. Darauf wies die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen, Corinna Rüffer, hin. „Von gleichberechtigter und selbstbestimmter Teilhabe können Menschen mit Behinderungen weiter nur träumen“, so Rüffer.
Es gibt in dem neuen Gesetz zwar den Passus, dass der Vermögensfreibetrag von 25.000 Euro auch für Pflegebedürftige gilt, wenn er aus Erwerbstätigkeit selbst angespart wurde. Dies aber dürfte nur für einen sehr kleinen Teil der Behinderten gelten. Ein großer Teil der Menschen mit Behinderung findet keinen Arbeitsplatz und lebt von der Grundsicherung bei dauerhafter Erwerbsminderung, auch dort gelten die Vermögensanrechnungsregeln der Sozialhilfe, die immer auch den Partner mit einbeziehen. Das neue Gesetz ändert daran nichts.
Mehrkosten für Bund und Kommunen
Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbandes Vdk, begrüßt allerdings die Verbesserungen, die das Gesetz beinhaltet. So werden die Freibeträge beim monatlichen Einkommen von Behinderten für einen Teil der Betroffenen großzügiger gestaltet, das Einkommen des Partners wird nicht mehr mit einbezogen. „Wir hätten uns aber gewünscht, dass Einkommen und Vermögen ganz anrechnungsfrei bleiben“, sagte Mascher.
Die Verbesserungen im Gesetz haben für den Bund Mehrkosten von 693 Millionen Euro im Jahr 2020 zur Folge, bei den Kommunen steigen die Kosten um bis zu 154 Millionen Euro. Das Gesetz befindet sich noch in der Ressortabstimmung. In Deutschland leben mehr als zehn Millionen Menschen mit Behinderung, davon sind 7,5 Millionen Schwerbehinderte.
Am 4. Mai ist ein Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung geplant. Bundesweit soll es Demonstrationen geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken