Kritik am deutschen Verfassungsschutz: Die Politik der Inlandsspione
Der Journalist Ronen Steinke nimmt in seinem Buch den Verfassungsschutz ins Visier – vor allem dessen große Macht, im Inland Personen auszuspionieren.
Im Vergleich zu anderen liberalen Demokratien ist der deutsche Verfassungsschutz ein Unikum. Trotz ähnlicher Bedrohungen, wie sie etwa in den USA, Frankreich oder in Österreich vor allem von Rechtsextremen ausgehen. Das FBI, der Inlandsgeheimdienst DGSI oder die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst sind anders konzipiert.
Ronen Steinke hat nun ein neues Buch veröffentlicht, das sich mit den Aufgaben und der Funktionsweise der hiesigen Verfassungsschutzämter beschäftigt. Man könnte auch von einem pointierten Profil sprechen, das der Jurist, Journalist und Buchautor angelegt hat: Auf knapp 200 Seiten geht Steinke mit den gewachsenen Strukturen, dem Selbstverständnis und dem konkreten Agieren der Verfassungsschutzämter ins Gericht – und das mitunter sehr hart.
Steinke schildert anschaulich, wie folgenreich etwa eine Nennung in den Verfassungsschutzberichten für Organisationen und ihnen angehörende Einzelpersonen ist. Ein bekanntes Beispiel aus den letzten Jahren ist der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), dem durch eine später wieder rückgängig gemachte Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit existenzgefährdende Steuernachzahlungen drohten.
Ronen Steinke: „Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht“. Berlin Verlag, Berlin 2023, 224 Seiten,
24 Euro
Oder Klimaaktivist:innen, die von manchen Ämtern gar nicht wegen ihrer Protestmethoden, sondern schon wegen politisch relativ gemäßigter Forderungen als „Verfassungsfeinde“ gelten.
An den Grundrechten rütteln
Die Argumentationen, die zu solchen Einschätzungen seitens der Behörden führen, sind häufig alles andere als stichhaltig. Bei genauerem Hinsehen würden die als Beweis für eine Verfassungsfeindlichkeit angeführten Aussagen häufig sogar solide auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Denn wirtschaftspolitisch ist das Grundgesetz eigentlich „ziemlich offen“, schreibt Steinke. Zentral sei vielmehr die politische Diskreditierung von unliebsamen politischen Akteuren.
Steinke geht es nicht unbedingt darum, politisch Partei zu ergreifen für die von den Behörden ins Visier genommenen Gruppen. Als Verteidiger eines liberalen Rechtsstaates stört er sich vor allem daran, wie stark mitunter an Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gerüttelt wird sowie linke und rechte Gruppierungen mit Doppelstandards beurteilt werden. Steinke kritisiert die deutschen Verfassungsschutzämter als „Politik-Beobachtungs-Geheimdienst“.
Aspekte wie behördliche NS-Kontinuitäten, die Zeit des „Radikalenerlasses“ oder die Mordserie des NSU behandelt Steinke relativ knapp. Besonders spannend sind die Kapitel zur digitalen Quellen-Überwachung und der Präsenz der Ämter in den sozialen Medien. Hierfür hat sich Steinke auch mit Agenten und ehemaligen Mitarbeitern getroffen. An diesen Stellen liest sich das Buch teils wie eine Reportage.
Zu den Unterschieden zwischen den immerhin 16 verschiedenen Landesverfassungsschutzämtern erfährt man im Buch leider relativ wenig. Es drängt sich jedoch die Frage auf, wie sich etwa linksliberale Regierungskoalitionen auf das Selbstverständnis der Behörden, den konkreten Umgang mit Rechtsextremismus und Islamismus sowie die Art der parlamentarischen Kontrolle auswirken.
Den Verfassungsschutz abschaffen
Steinkes Buch richtet sich an ein breites Publikum. Genauso wie seine früheren Publikationen zielt es darauf ab, Themen im politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu platzieren und voranzutreiben. In seinem Fazit plädiert er dafür, den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Leider bleibt unklar, was genau daraus folgen soll. Dass diese Diskussion bei den Grünen oder in der Linkspartei mit verschiedenen konkreten politischen Forderungen geführt wird, ist eine Leerstelle des Buches.
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