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Kritik am Bremer Politik-UnterrichtAhnungslos an der Urne

Rot-grün-rot findet den Politik-Unterricht an Bremer Schulen super. „Katastrophal“ nennt ihn dagegen ein resignierter Politiklehrer.

Guter Politik-Unterricht beginnt auf Augenhöhe und mit kompetentem Personal Foto: Aude Guerrucci

BREMEN taz | Der Politik-Unterricht an Bremer Schulen sei „qualitativ hochwertig“ und nehme „einen weiten Raum ein“. Das schreibt der rot-grün-rote Senat in einer Antwort auf eine Große Anfrage der drei Koalitionsparteien, die jüngst das Parlament beschäftigte. „Der Senat ist der Auffassung, dass im Land Bremen eine sehr gute Basis für die Demokratiebildung gegeben ist“, heißt es in dem 26-seitigen Papier.

Der ehemalige Politiklehrer Mizgin Ciftci hat das als Referendar an der Schule an der Lerchenstraße in Vegesack anders erlebt. Er findet die Lage des Politik-Unterrichtes in Bremen „katastrophal“: der sei „strukturell total unterfinanziert und unterrepräsentiert“, sagt er der taz. Das ist ein echtes Problem – denn in Bremen darf man mit 16 schon die Stadtbürgerschaft und den Landtag wählen, mit 14 Jahren Beiräte.

Zwei Jahre arbeitete Ciftci hier als Lehrer, auch im Ausbildungspersonalrat war er aktiv. Angesichts seiner negativen Erfahrungen habe er sich gegen den Beruf entschieden – obwohl er seine Ausbildung mit „sehr gut“ beendete.

Mittlerweile ist er Gewerkschaftssekretär bei Ver.di. Zudem engagiert er sich für die Linkspartei im Osterholzer Kreistag. „Einigen Eltern, aber auch Kolleg*innen hat mein Anspruch an politische Bildung nicht gefallen“, erzählte er jüngst in einem Interview mit der Gewerkschaft GEW.

Viele Schüler*innen hatten bis zur Zehnten nie Politik

Mizgin Ciftci, Ex-Politiklehrer

„Mir wurde mehrfach vorgeworfen, die Schüler*innen zu linken Querdenkern zu erziehen, die alles und jeden hinterfragen würden.“ Als er, noch als Referendar, mit seiner 8. Klasse am Klimastreik teilgenommen habe und dabei eine Weste mit Gewerkschaftslogo trug, sei ihm daraus ein Strick gedreht worden, sagt er – als Lehrer sei er zur Neutralität verpflichtet.

Auch von seinem Schuldirektor sei er nicht unterstützt worden: „Als es vonseiten einiger Eltern, von denen einige – wie sich später herausstellte – offen mit AfD und Bürger in Wut sympathisieren, Kritik an meiner Person gab, wurde ich immer wieder zu disziplinarischen Gesprächen ins Büro der Schulleitung eingeladen. Ich wurde aufgefordert, mich zu zügeln und ‚nicht mit dem Feuer zu spielen‘.“ Ein Einzellfall? Nein, sagt Ciftci: „Das hat System.“ Allein an seiner Schule sei er der zweite Politiklehrer gewesen, der diese nach Angriffen von rechts verlassen hat.

Dabei haben die Schüler*innen selbst schon „eine bessere politische Bildung“ an Schulen gefordert, „die Gefahren von Radikalismus aufzeigt“. So steht es in einer Resolution, die bei der letzten Sitzung von „Jugend im Parlament“ beschlossen wurde. 2018 war das – das Gremium tagt normalerweise alle zwei Jahre. Weil die Bremische Bürgerschaft gerade umgebaut wird, findet das Planspiel erst 2021 statt.

„Jugend im Parlament verlangt die Förderung eines nachhaltigen politischen Interesses bei jungen Menschen durch die Schule, um eine freie Meinungsbildung zu gewährleisten“, heißt es in einer von acht Resolutionen. Dazu solle es einmal pro Halbjahr an allen Schulen einen verpflichtenden Workshop-Tag geben, von Beginn der Sekundarstufe 1 bis Ende der Schullaufbahn.

Eingeführt wurde der nicht. Zwar wurden die Resolutionen vom Landtag debattiert. „Wir haben allen Grund, die Beschlüsse der Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen“, sagte CDU-Politiker Thomas von Bruch damals. Bei der SPD stießen die Forderungen aber nicht auf Gegenliebe: So ein Workshop-Tag wäre „eine Form von elaboriertem Politik-Unterricht“, führte der damalige SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe seinerzeit aus – „ob wir so etwas wirklich brauchen, weiß ich nicht“. Tschöpe fand, dass die Politisierung der Schüler*innen nicht Aufgabe der Schule sei, sondern entlang gesellschaftlicher Konflikte stattfinde. Am Ende lehnte der Senat den Workshop-Tag als zu großen „Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Schulen“ ab. Politik-Unterricht in Bremen solle nur eine „entpolitisierte Institutionenkunde sein“, kritisiert Ciftci.

Dabei bemängelt eine neue Studie die Qualität des Politik-Unterrichts an deutschen Schulen, wie die Süddeutsche Zeitung am Montag berichtete: „Mancherorts macht das Fach mehr als vier Prozent der Unterrichtszeit an den weiterführenden Schulen aus, in anderen Ländern nicht einmal ein Prozent.“ In Thüringen, dem Saarland, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bekommen Schüler*innen am Gymnasium demzufolge frühestens in Klasse 8 Politik-Unterricht, in Bayern sogar erst in Klasse 10. Nur in Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könne er schon in Klasse 5 beginnen.

Im ganzen Land „miserabel“

Entsprechend vorbildlich findet sich der Senat: Die Stundentafel für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich der Oberschule sei „im bundesweiten Vergleich bereits jetzt überdurchschnittlich ausgestattet“. Darüber hinaus gebe es „deutlich mehr Unterrichtsstunden“ für politische Bildung als in den Mindestvorgaben der Kultusminister vorgesehen.

Laut Bildungsressort stehen für den Lernbereich „Gesellschaft und Politik“, zu dem Geografie, Geschichte und Politik gehören, sowohl in fünften bis zehnten Klassen der Oberschulen als auch in den fünften bis neunten Klassen der Gymnasien „im Schnitt circa drei Unterrichtsstunden pro Woche“ zur Verfügung.

Die Praxis sehe ganz anders aus, sagt Ciftci: „Viele Schüler*innen hatten bis zur Zehnten nie Politik-Unterricht“ – gerade wegen der Konkurrenz zu Geografie und Geschichte. Es gebe viel zu wenig Politikleh­rer:innen in Bremen – und jene, die das Fach lehrten, seien oft schlecht ausgebildet. Schon 2016 bemängelte eine Studie der Uni Bremen, dass Politik an Bremer Schulen häufig fachfremd unterrichtet wird. Ciftcis Bilanz: Die Situation des Faches sei im ganzen Land „miserabel“ – und in Bremen „nicht viel besser“.

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1 Kommentar

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  • Ich lese den Satz: „Mir wurde mehrfach vorgeworfen, die Schüler*innen zu linken Querdenkern zu erziehen, die alles und jeden hinterfragen würden.“ Der Satz verstößt gegen jede Logik. Er müsste entweder heißen: „Mir wurde mehrfach vorgeworfen, die Schüler*innen zu Querdenkern zu erziehen, die alles und jeden hinterfragen würden.“ Oder „Mir wurde mehrfach vorgeworfen, die Schüler*innen zu Linksdenkern zu erziehen, die alles, was von nicht von links kommt, und jeden, der nicht zu den Linken zählt, hinterfragen würden.“



    Wat denn nu?



    Martin Korol, Bremen