Kritik am Berliner Einwanderungsamt: Kein Kontakt
Einen Termin beim Landesamt für Einwanderung zu bekommen, wird immer schwieriger. Experten klagen über existenzielle Folgen für die Betroffenen.
Eigentlich soll die Digitalisierung die Arbeit von Ämtern und Behörden schneller machen – doch zumindest beim Landesamt für Einwanderung (LEA) haut das bisher offenbar nicht hin. Wie der Berliner Migrationsrat und die Beratungsstelle CUSBU (CommUnities Support for BIPoC Refugees from Ukraine) der taz berichten, haben bis zu 80 Prozent der Klient*innen, die ihre Beratungsstellen besuchen, das Problem, nicht rechtzeitig einen Termin beim LEA zu bekommen.
Die Folgen sind für die Betroffenen nicht selten existenzgefährdend: So bekam ein alleinerziehender Vater 15 Wochen kein Geld mehr vom Jobcenter, weil das LEA seine Anfrage nicht beantwortete. Nur mit Ersparnissen und Spenden konnte er in dieser Zeit Lebensmittel kaufen und die Miete zahlen. Der Mann brauchte nach einem Umzug in einen anderen Bezirk für das Jobcenter eine Bestätigung über seinen Aufenthaltstitel. „Erst als der Fall vor dem Sozialgericht landete, weil eine Sozialarbeiterin dem Mann half zu klagen, bekam er vom LEA das benötigte Papier“, sagte Katharina Ohlhorst, Beraterin bei CUSBU.
Nach ihrer Einschätzung und der ihrer Kollegin, Magdalena Benavente, Juristische Referentin beim Migrationsrat, hat sich die Situation für LEA-Kund*innen seit Sommer 2024 noch einmal verschlechtert. Damals wurde die Möglichkeit abgeschafft, sich online einen Termin zu buchen, nachdem eine taz-Recherche 2023 aufgedeckt hatte, dass die Onlineterminvergabe von zwielichtigen Firmen „gekapert“ worden war: Diese hatten sich Tausende Termine gesichert und sie an Bürger*innen verkauft, die darauf angewiesen waren, weil sie zum Amt mussten.
Seither gibt es nur noch das Kontaktformular der Webseite als Möglichkeit, einen Termin zu vereinbaren. Für „Notfälle“, wenn es also wirklich schnell gehen müsste, gibt es zwar ein extra Kontaktformular, „aber auch darüber bekommt man oft keine Antwort, schon gar keine schnelle“, sagt Ohlhorst.
Ohne Datum keine Rechtssicherheit
Zudem lasse das Kontaktformular ein entscheidendes Detail vermissen, sagen die Expertinnen: Betroffene erhalten keinen Nachweis darüber, wann sie das LEA kontaktiert haben. „Doch gerade für Menschen, die Fristen einhalten müssen, ist das essenziell. Eine Bestätigung ohne Datum schafft Rechtsunsicherheit“, betont Benavente.
Warum das wichtig ist, erklärt Benavente an einem Beispiel: Ein Student hatte ein Stipendium in Berlin und hier seinen Abschluss gemacht. „Danach beantragte er einen Wechsel der Aufenthaltserlaubnis. Er hat einen gesetzlichen Anspruch, 18 Monate hier zu bleiben als arbeitssuchender Akademiker“, erklärt sie. Doch das LEA habe ein Jahr lang nicht geantwortet, was schon an sich nachteilig für den Mann war, „denn diese Zeit fehlte ihm für die Arbeitssuche“.
Magdalena Benavente, Migrationsrat
Erst nach über einem Jahr habe sich das Amt gemeldet, so Benavente: Der Mann hätte nicht fristgerecht seinen Antrag auf Wechsel der Aufenthaltserlaubnis gestellt. Daher bekam er vom LEA eine „Grenzübertrittsbescheinigung“ – also die Aufforderung, Deutschland zu verlassen. Nur weil der Fall vor die Härtefallkommission kam, konnte der Mann hierbleiben. Und weil er mittels alter E-Mails doch nachweisen konnte, dass und wann er seinen Antrag gestellt hatte. „Mit dem Kontaktformular wäre es nicht gegangen“, sagt Benavente. Zwar gibt die LEA-Webseite nach dem Ausfüllen des Kontaktformulars die Möglichkeit, den Antrag als PDF herunterzuladen und empfiehlt dies auch – doch ein Datum steht nicht auf dem Dokument.
Benavente empfiehlt daher ihren Klient*innen, das Dokument als PDF auf dem eigenen Rechner zu speichern und auszudrucken – ein Trick, um doch ein Datum zu generieren. Ein weiteres Problem: In Bewilligungen, Ablehnungen oder anderen Bescheiden des LEA fehlt im Briefkopf inzwischen die Kontakt-E-Mail des zuständigen Sachbearbeiters – stattdessen wird man wieder auf die LEA-Webseite und das allgemeine Kontaktformular verwiesen. Sodass man nicht nachhaken kann, wenn ein Antrag über Monate nicht beantwortet wird. „Das Kontaktformular ist ein schwarzes Loch“, sagt Benavente. „Man wirft Antrag über Antrag hinein und nur mit viel Glück kommt etwas heraus.“
Die Zahl der Untätigkeitsklagen beim Verwaltungsgericht gegen das Landesamt für Einwanderung (LEA) wegen zu langer Einbürgerungsverfahren sind rasant gestiegen. Im Jahr 2022 seien 65 Klagen eingegangen, 2023 waren es 430, 2024 schon 1.684 und 2025 bis Ende Oktober 1.997 Eingänge, teilte das Gericht am Mittwoch auf taz-Anfrage mit. Einbürgerungsanträge müssen innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden. Das LEA ist seit Anfang 2024 dafür zuständig, vorher war dies Aufgabe der Bezirke. Das LEA hat das Verfahren durch Digitalisierung beschleunigt, wie es betont. 2024 hat das Amt rund 22.000 Einwanderungsanträge bearbeitet, für 2025 wollte man die Zahl verdoppeln. Doch seit 2024 steigt durch gesetzliche Erleichterungen auch die Zahl der Anträge, zudem muss das LEA noch 40.000 Alt-Anträge bearbeiten, die es von den Bezirken übernommen hat. Insgesamt sollen laut einem Bericht des RBB von Anfang 2024 bis Oktober fast 75.000 Neuanträge eingangen sein. (sum)
„Kritik berechtigt“
Von Einzelfällen könne schon längst keine Rede mehr sein, sagt Edwin Greve vom Migrationsrat. „Das LEA schränkt systematisch die Kontaktmöglichkeiten ein und antwortet dann über Monate nicht. Die Betroffenen werden so systematisch ihrer Rechte beraubt.“ Auch seien Beschwerden darüber immer schwieriger geworden, seit LEA-Chef Engelhard Mazanke 2023 die Ombudsstelle aus Kostengründen strich und verkündete, er selbst sei nun die Beschwerdestelle. „Wer weiß das schon – und wer traut sich, sich beim Chef des Amtes zu beschweren, das einem die Lebensmöglichkeit in Deutschland nehmen kann?“, fragt Greve.
Konfrontiert mit den Beschwerden gibt Mazanke „längere Wartezeiten bei Terminanfragen in Einzelfällen oder auch in einigen Bereichen“ zu. „Insofern ist die Kritik des Migrationsrates und CUSBU auch berechtigt.“ Seine Erklärung, wie schon bei früheren Anlässen: „tendenzielle Überlastung“ seiner Mitarbeiter – von denen er inzwischen 846 hat, 2021 waren es nur 533. Doch man habe auch immer mehr zu tun, so Mazanke: Hochgerechnet aufs ganze Jahr 2025 werde man 10 Prozent mehr persönliche Vorsprachen haben als im Vorjahr, das Gleiche gelte für Titelerteilungen und Einbürgerungen.
Probleme bei der Digitalisierung sieht Mazanke nicht, diese sei „sehr segensreich“. Auf die Kritik mit dem Kontaktformular und dem fehlenden Datum geht er nicht weiter ein. Wenn man einen digitalen Antrag stelle, „bestätigen wir automatisch die Fortgeltung des Aufenthaltstitels“. Dies habe sich im Zusammenspiel mit dem Notfallverfahren für besonders eilige Fälle „im Grundsatz bewährt“.
Benavente und Ohlhorst sehen das anders. Die sogenannte „Fiktionswirkung“, also dass ein (digitaler) Antrag an sich automatisch als vorläufige Verlängerung des Aufenthaltstitels gilt, gelte zum einen nicht bei Menschen, die nur eine Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder eine Fiktionsbescheinigung haben. „Wenn die einmal abgelaufen sind, sind sie abgelaufen. Dann gibt es zum Beispiel kein Geld mehr vom Sozialamt“, erklärt Ohlhorst.
Beratungsstelle muss schließen
Zum anderen wüssten Dritte oft nichts von dieser „Fiktionswirkung“, ergänzt Benavente. Arbeitgeber etwa dächten oft, sie müssten einem Mitarbeiter kündigen, wenn seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist – auch wenn er schon längst eine Verlängerung beantragt hat. Hierzu müsste das LEA offensiver informieren, fordert sie.
Ob die Beratungsstellen mit ihrer Kritik irgendwann durchdringen, ist fraglich. „All das wurde bereits mehrfach in Fachrunden und im Beirat für Migration diskutiert – auch unter Beteiligung der Leitung der LEA. Doch nichts ist geschehen“, sagt Benavente.
Zugleich fällt CUSBU als kritische Stimme demnächst wohl weg: Für 2026 bekommt die Beratungsstelle keine Förderung mehr vom Land, obwohl der Bedarf weiter vorhanden ist. „Wenn es immer weniger Beratungsstellen gibt, können noch weniger Betroffene ihre Rechte einfordern – und es fehlt ein Kontrollinstrument, das Behörden auf die Finger schaut“, sagt Greve vom Migrationsrat.
Womöglich ist das sogar ganz im Sinne der Politik.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert