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Krisensitzung im DFB-TeamSelbsthilfegruppe hofft auf Sotschi

Im Bus, beim Essen, beim Training: Die DFB-Mannschaft versucht, die Auftaktniederlage aufzuarbeiten – und setzt auf einen Tapetenwechsel.

Personellen Veränderungsbedarf kann Neuer nicht erkennen. Also alles gut? Foto: dpa

WATUTINKI taz | Klischeehafter hätte das Wetter an diesem Tag nicht mitspielen können. Aber es hat ja keinen Zweck, es in diesen geschwätzigen Zeiten zu verschweigen: Dunkle Wolken haben sich am Dienstagmorgen über dem deutschen Lager nahe dem Moskauer Vorort Watutinki zusammengezogen. Und ja, hin und wieder gab es auch ein nervöses Grollen und Donnern zu hören. Dem Weltmeister droht eine historische Pleite. Ein WM-Vorrundenaus, das hat es in der Geschichte des DFB noch nicht gegeben

Nach einem Tag des öffentlichen Schweigens schickte der Verband in dieser Ausnahmesituation Kapitän Manuel Neuer zur Pressekonferenz in Watutinki. Intern, die Botschaft lag Neuer am Herzen, wurde überhaupt nicht geschwiegen. Im Gegenteil. Der erfahrene Torwart, der vor neun Jahren in der Nationalelf debütierte, stellte fest: „So stark war die Kommunikation in der Mannschaft noch nie wie nach dem Mexiko-Spiel.“

Und den Beweis hatte er mit seiner 50-minütigen Verspätung gleich mitgeliefert. „Sorry“, sagte der Torhüter zu Beginn der Pressekonferenz, „wir hatten eine Sitzung, die etwas länger dauerte.“ Eine Verzögerung, die fast schon wie eine Inszenierung wirkte, als wollte man allen demonstrieren, dass die deutsche Nationalmannschaft sich der brenzligen und ernsten Lage bewusst ist.

Direkt nach der Partie im Luschniki-Stadion, versicherte Neuer, hätten die Diskussionen im Bus begonnen, bei jedem Essen hätte man zuletzt über dieses Spiel gesprochen. Und Neuer befand: „Das ist auch ein gutes Zeichen. Man merkt, wie viele Spieler sich einbringen wollen.“

Kein personeller Veränderungsbedarf

Diese scheinbar endlosen Gesprächszirkel im Mannschaftsquartier von Watutinki zeigen vor allem, welch tiefe Spuren, welch traumatisierende Wirkung diese WM-Auftaktniederlage beim Titelverteidiger hinterlassen hat. „Es ist ein sehr befreiendes Gefühl, wenn man darüber spricht, was man verbessern kann“, erklärte Neuer. Und man konnte sich durch seine Schilderung den gruppentherapeutischen Charakter dieser gerade beendeten Teamsitzung bestens vorstellen. Ein paar Mal wendete Neuer anfangs den Drehstuhl hin und her, ehe er zu mehr Stabilität fand.

Während Mats Hummels direkt nach dem Mexiko-Spiel mit seiner massiven Kritik am Abwehrverhalten seiner Kollegen Spekulationen beförderte, das Team leide unter internen Zerwürfnissen, formulierte Neuer wie stets bedacht und mit genauem Maß. Es gebe keine Spaltung zwischen den jungen Mitgliedern des erfolgreichen ConfedCup-Teams aus dem letzten Jahr und den erfahrenen Weltmeistern, versicherte er. Und ganz Kapitän, lobte er die jungen Spieler, die nicht zum Einsatz kamen. Während seiner Regenerationszeit am Montag habe er ihnen beim Training zugesehen. Sie hätten „gebrannt“ und gezeigt, dass sie zum Einsatz kommen wollen.

Personellen Veränderungsbedarf kann Neuer aber nicht erkennen. An der Qualität der eingesetzten Spieler habe er keinen Zweifel. Es habe ja keine neue Mannschaft gegen Mexiko auf dem Platz gestanden. Oft genug hätten die eingesetzten Spieler in der Vergangenheit bewiesen, welch guten Fußball sie spielen können.

Dem ist nicht zu widersprechen. Wer erinnert sich nicht an die Lobeshymnen von vor drei Monaten, die dem deutschen Team nach dem 1:1 im Freundschaftsspiel gegen Spanien gewidmet wurden. Eine berauschende Darbietung hatte man damals in Düsseldorf gesehen. Die Analysen, die jetzt plötzlich die Überalterung im deutschen Team zum Thema machen, scheinen doch eher konjunkturell bedingt zu sein.

Neuer geht aktuell von einem Einstellungsproblem aus. Wie das passieren kann, ist ihm selbst allerdings rätselhaft. Nun soll mal wieder einfach „der Hebel“ umgelegt werden. „Das ist nicht so leicht, wie man das auszusprechen vermag“, räumte Neuer ein.

Verliererstempel schon aufgedrückt

Es ist eine höchst kompliziertere Angelegenheit in dieser prekären Lage. Zumal auch die Statistiken der letzten Jahre als ungünstiges Zeichen gelesen werden können. Drei der vier letzten Weltmeister – Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014 – schieden vier Jahre später in der Vorrunde aus. Der Erfolgssattheit entkommt man offensichtlich nicht so einfach. Das ist derzeit womöglich das größte Problem.

Die deutsche Therapiegruppe klammert sich an alles, was Hoffnung macht. Und jedes Angebot aus dem Fundus des positiven Denkens nimmt sie dankbar an. Als Neuer gefragt wurde, ob die anstehende Flugreise nach Sotschi, wo das nächste Gruppenspiel gegen Schweden am Samstag stattfindet, nicht einen positiven Nebeneffekt haben könnte, bekannte Neuer: „Ich freue mich auf den angesprochenen Tapetenwechsel. Es ist ein Zeichen, dass etwas Neues kommt.“

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Spätestens nach dem verpatzten Auftakt gegen Mexiko ist das Karma vom DFB-Quartier in Watitun­ki endgültig dahin. Genau genommen aber wurde diesem mittlerweile fast unheilvoll erscheinenden Ort, etwa knapp 50 Kilometer vom Roten Platz in Moskau entfernt, der Verliererstempel bereits vor der ersten Ballberührung aufgedrückt.

Das Ozeanrauschen von der WM 2014 in Brasilien wurde in Moskau vermisst. In sehr lebendiger Erinnerung hatten es nicht nur viele Berichterstatter, als sie ihre grauen Berichte aus Watutinki sendeten, sondern auch Bundestrainer Joachim Löw. Ihm schwebte wohl vor, das brasilianische Modell Campo Bahia, wo das deutsche Team unter Kokospalmen residierte, in Sotschi am Schwarzen Meer wieder aufleben zu lassen. Aber so wenig sich aus dem brasilianischen, idyllisch-abgelegene Ort der WM-Titel ableiten lässt, so wenig ist die derzeitige deutsche sportliche Tristesse mit Watutinki in Verbindung zu bringen.

Der russische Rückzugsort des DFB-Teams ist möglicherweise zweckorientierter (Löw verglich die Anlage mit einer Sportschule), an Exklusivität fehlt es trotzdem nicht. Vom gesichtslosen Watutinki bekommt man im Teamhotel, das rundherum von einem Nadelwald umgeben ist, nichts mit. Statt des Atlantiks hört man hier eben den Kuckuck rufen. Und Eichhörnchen hüpfen durch den würzig riechenden Baumbestand. Der Trainingsplatz ist um die Ecke und die Spielorte dieser WM sind viel bequemer zu erreichen als vor vier Jahren, wo man noch eine Flussfähre nutzen musste. Wenn das deutsche Team mit einem Erfolg aus Sotschi zurückkehrt, wird vielleicht auch die Wertschätzung von Watutinki wieder ein wenig steigen.

Manuel Neuer war es vor der Abreise am Ende der Pressekonferenz dann noch wichtig mitzuteilen, dass man merken würde, wie überzeugt die Mannschaft davon sei, die Gruppenspiele gegen Schweden und Südkorea zu gewinnen. Das hatte er so oder so ähnlich zuvor zwar schon dreimal erwähnt, aber es müssen an dieser Stelle mildernde Umstände gelten. Die deutschen Nationalspieler kommunizieren ja so viel wie noch nie in den letzten Jahren, da kann man sich nicht alles merken, was man einmal gesagt hat.

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