Krise und Warenwelt: Eine kleine Packung, bitte
Kleine Produktpackungen gab es früher nur in der „dritten Welt“ – bald auch in Europa. Es ist also soweit: „Wir“ sind jetzt Afrika.
Es ist nicht ohne böse Ironie: Gibt man bei Google die Suchbegriffe „Konsum“ und „Armut“ ein, stößt man gleich bei einem der ersten Einträge auf „Überflussgesellschaft“. Und dieser Begriff eröffnet sogleich einen ganzen Horizont von Assoziationen.
In einer Gesellschaft im Überfluss konsumieren die Reichen viel, die Ärmeren wenig, aber da Güter in Überfluss vorhanden sind und auch die Armen als Konsumenten für Nachfrage sorgen, ist es keineswegs so, dass sie völlig aus dem konsumistischen Orbit ausgeschlossen sind. Auch sie konsumieren, nur anders. Und weil auch die Ärmeren längst nicht mehr wirklich arm sind, müssen sich die Wohlhabenden, um ihren Wohlstand zu dokumentieren, durch eine eigene Art von Konsum von den Habenichtsen absetzen. „Stil“ wird so zum Mittel zur Distinktion.
Die einen kaufen beim Gourmettempel um die Ecke, die anderen bei Aldi. Eine ganze Spielart der Soziologie hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten darauf verlegt, subtile „Schichtungen“ durch Konsum zu beschreiben. In der „Überflussgesellschaft“ werden Waren zu „Positionsgütern“, mit denen Statusüberlegenheit dokumentiert wird – Oberchic und Unterchic. Und doch wirkt eine solche Soziologie, die in Boomzeiten und der Ära stetigen Wachstums gedieh, und die mit aufgewecktem Interesse auf die Ästhetik der Waren guckte, heute seltsam aus der Zeit gefallen.
Instant-Kartoffelbrei in kleinen Mengen
Denn plötzlich sind es Millionen in Europa, für die nicht mehr gilt, dass sie ein schmaleres Haushaltsbudget haben als andere – sondern dass sie praktisch kaum mehr konsumieren können. Die Ankündigung des Lebensmittelmultis Unilever, nunmehr auch in Europa neue, kleine Verpackungsgrößen einzuführen, schlug jetzt ein wie eine Bombe. Dabei ist es ja nur zu logisch: Wer auch Leuten Instant-Kartoffelbrei verkaufen will, die nur über ein Haushaltsbudget von drei Euro am Tag verfügen, der wird wohl versuchen, die Packungsgrößen zu reduzieren.
Und wenn Millionen Leute höchstens 10 Euro im Supermarkt ausgeben können, ist es vielleicht nicht so eine gute Idee, Waschpulver nur in Packungen anzubieten, die ein Vierteljahr vorhalten und gleich das gesamte Budget eines einzelnen Einkaufs auffressen würden. Was die Nachricht so einschlagen ließ, ist natürlich der Umstand, dass er eine Art narzistische Kränkung ist.
Die kleine Packung wird zur Verkörperung der Krise. Diese kleinen Packungen gab es früher nur anderswo. In Afrika. In Asien. Vielleicht auch in Lateinamerika. Aber jetzt kommen sie also auch nach Europa, nach Spanien, Griechenland, Italien. Nach vier Jahren Finanzkrise sind „wir“ also soweit. „Wir“ sind also jetzt auch Afrika. Da klingt die Hintergrundmelodie vom Abstieg Europas an. Dabei ist gerade diese Packungsgrößen-Reduktion Symptom für eine Gesellschaft, in der der Massenkonsum die Wirtschaft am Laufen hält.
Doch die Exkludierten sind nicht völlig exkludiert, denn man braucht sie ja als Konsumenten. Solange sie noch als Konsumenten wertvoll sind, sind auch die Armen aus dem Blickwinkel dieses Systems nicht völlig nutzlos. Wer Zweitages-Rationen Haarschampoo kaufen kann, der ist, könnte man sagen, noch nicht vollends aussortiert. Der globale Wettbewerb, in dem die Firmen aus den reichen Nationen ihre Wettbewerbsvorteile ausspielen konnten, hat die lokalen Märkte in den heutigen Krisenländern ruiniert.
Lokale Warenkreisläufe wieder etabliert
Aber mit der Krise sind die Absatzmöglichkeiten für diese Konzerne nicht allein deshalb gesunken, weil die Millionen Arbeitslosen in Griechenland und Spanien kein Geld mehr haben, ihre Waren zu kaufen – sondern auch, weil die lokalen Warenkreisläufe wieder etabliert wurden. Ökonomisch gebeutelte griechische Bauern verkaufen ihre Tomaten heute billiger, als noch vor drei, vier Jahren, und griechische Arbeitslose, die kaum mehr Geld in der Tasche haben, kaufen sie ihnen ab – sofern nicht ohnehin, weil niemand mehr Geld hat, der Tauschhandel wieder aufblüht.
Denn das ist auch ein Aspekt dieser Geschichte: „Wir“ haben die südlichen Euroländer niederkonkurriert. Dafür durften „wir“ uns den Titel Exportweltmeister umhängen. Leider haben „wir“ uns damit auch einen Absatzmarkt ruiniert, sodass „wir“ plötzlich feststellen müssen: Wenn man den Nachbarn aus dem Geschäft drängt, wird man auf Dauer auch nicht froh.
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