Krise in der Türkei: Warten auf die Dürre
Seit Beginn der Wirtschaftskrise sind die Produktionskosten für ein Buch um 75 Prozent gestiegen. Verleger fürchten um ihre Existenz.
Özcan Sapan, Besitzer und Herausgeber des Verlages Çiviyazıları Yayınevi, macht sich jeden Morgen gegen neun Uhr auf den Weg zu seinem Verlagshaus – ein 3-Zimmer-Apartment in einem Wohnhaus. Beheimatet direkt am Altıyol, einer der belebtesten Straßen im Istanbuler Stadtteil Kadıköy, werden hier seit 25 Jahren Werke aus Wissenschaft, Forschung, Geschichte und Literatur in verschiedenen Sprachen verlegt. Doch die ökonomische Krise trifft den Verlag und die Branche hart.
Sapan spricht langsam, jedes Wort abwägend, ein Bart umrahmt sein breites Gesicht mit den blauen Augen. „Bei der Produktion von Büchern wird alles, von den Honoraren über das Papier bis zum Druck, in US-Dollar berechnet. Das treibt uns in die Enge“, sagt Sapan. Noch nie sei es in der 25-jährigen Existenz des Verlags so schwierig gewesen wie heute. Bei der schwindenden Kaufkraft in Zeiten der Wirtschaftskrise hätten Bücher keinerlei Chance.
Das türkische Verlagswesen ist in der Krise. Hunderte Verlage kämpfen gegen den rasant steigenden Wechselkurs und die Papierpreise, die an den Dollar gebunden sind. Die steigenden Papierpreise erschweren die Situation der Verlagshäuser zunehmend. Seitdem die Türkische Zellulose- und Papierfabriken AG (SEKA) – gegründet 1936 als staatliches Unternehmen und 1991 privatisiert – im Jahr 2005 geschlossen wurde, wird der landesweite Papierbedarf von Importfirmen gedeckt.
Der Anstieg des Wechselkurses wirkt sich unmittelbar auf den Papierpreis aus, was die Druckkosten erhöht. Während einige Verlage sich durch höhere Buchpreise zu helfen versuchen, minimieren andere Verlage die Auswahl ihrer Publikationen. Mit einer parlamentarischen Untersuchungskommission will sich Ilhami Özcan Aygun von der Oppositionspartei CHP der Papierkrise im Land annehmen und vor allem wissen, warum die landeseigenen Papierfabriken 2013 schließen mussten und ob sie nicht wieder zum Laufen gebracht werden können. Denn es sind nicht nur die Buchverlage, sondern auch Zeitungen und Zeitschriften bedroht.
Die Zahlen, die er ins Felde führt, sprechen für sich: Im Vergleich zum letzten Jahr kostete eine Tonne 750 Dollar und nun 900 Dollar. Das dünnere Zeitungspapier hingegen kostet nun statt 450 Dollar 800 Dollar. Elf Druckereien und Hunderte von lokalen Zeitungen und Zeitungsverlagen hätten im vergangenen Jahr schließen müssen. Der Abgeordnete schlägt nun vor, zumindest kurzzeitig die Mehrwertsteuer auf Papier von 18 Prozent auf 8 Prozent zu reduzieren. Er moniert, dass die Türkei sich komplett von Importen, unter anderem aus der USA, abhängig macht.
Das Ausmaß der Krise wird im November klar
Trotz der wachsenden Kosten geht aber insgesamt die Zahl der Publikationen nicht zurück. „Es wird alles nur Erdenkliche gedruckt, insbesondere religiöse Bücher“, sagt Özcan Sapan. Der Verleger befürchtet, es werde vor allem Literaturverlage treffen, und nicht nur die kleinen: „Kleinere Unternehmen werden ihre Bücherauswahl auf ein Minimum reduzieren, aber überleben“, sagt er. Die Wahrscheinlichkeit, dass mittelständische und große Verlagshäuser den Betrieb einstellen werden müssen, wenn sie die Fixkosten nicht mehr bezahlen können, sei aber größer.
Sapans Verlag, der derzeit im Durchschnitt drei Bücher pro Monat druckt, sieht sich gezwungen, auf zwei oder gar ein Buch pro Monat zu reduzieren. Anders als manch anderer Verlag hat Çiviyazıları Yayınevi die Buchpreise noch nicht erhöht, allerdings werden bis Ende November vorerst keine Bücher mehr gedruckt. „Viele Verlagshäuser machen das gerade so. Alle warten zunächst einmal ab. In ein paar Monaten wird sich nämlich das ganze Ausmaß der Krise herausstellen“, sagt er in seinem Büro.
Der am Nebentisch sitzende Redakteur setzt gerade zu einer kurzen Anekdote über das Erstellen von Gewinn- und Verlustrechnungen in der Vergangenheit an, als er von seinem Chef unterbrochen wird: „Dieses Mal ist es anders, diese Krise trifft uns härter“, sagt er und fügt hinzu: „ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so hoffnungslos bin. Und ich habe als Verleger schon einige Wirtschaftskrisen erlebt.“
Es ist nicht so, dass es keinen Ausweg gäbe. Einige Verleger*innen wollen sich angesichts der Krise zusammenschließen. Sapan hält dies jedoch nicht für realistisch: „Verleger*innen schaffen es nie, sich zu verständigen. Das sage ich aus langjähriger Erfahrung.“
Bücher zum doppelten Preis
Eine weitere Lösung könnte das Ministerium für Kultur sein, das allerdings unterstützt laut Sapan lediglich der Regierung genehme Publikationen, beispielsweise religiöse Werke. „In diesem Land leben Rechte, Linke, Islamist*innen und Atheist*innen. Leider fördert das Ministerium nicht alle in gleichem Maße“, sagt Sapan.
Auch in den Buchläden lässt sich die Krise beobachten. Hasan Çağlar ist einer der Geschäftsführer der Buchhandlung Mephisto, die Filialen in Taksim, Beşiktaş und Kadıköy hat. Er glaubt, dass die Papierkrise „die Leserschaft vollends fernhalten“ könne. „Statt neue Bücher zu drucken, verkaufen die großen Verlagshäuser ihre Lagerprodukte zum doppelten Preis. Dabei wird leider keine Rücksicht auf die Leser*innen genommen.“
Die Töne langsamer Musik klingen gleichmäßig vom Untergeschoss bis ins oberste Stockwerk der Buchhandlung auf der Istiklal-Straße. Hier oben befindet sich das hauseigene Café, wo einige Stammgäste vor Notebook-Displays sitzen oder in Bücher vertieft sind. Eine Kundin, die ihren Namen nicht nennen will, befürchtet, dass die krisengeschüttelte Buchbranche nur noch auf sichere Verkaufsschlager und Billigproduktionen setzen wird. Somit bedeute dies, dass der literarischen Kultur der Türkei eine große Dürre bevorstehe.
Der Verleger Özcan Sapan musste nun zwei seiner Verlagsmitarbeiter*innen aus seinem vierköpfigen Team entlassen. Eine Redakteurin und eine Grafikerin haben ihren Schreibtisch geräumt. Seit geraumer Zeit konzentriert sich der Verlag nur noch auf renommierte Autor*innen. Sapan legt eigentlich Wert darauf, auch unbekanntere Autor*innen zu verlegen, weil das zur Vielfalt in der türkischen Literatur beitrage. Aber unter diesen wirtschaftlichen Bedingungen kann er sich das nicht leisten.
Aus dem Türkischen von Sebastian Heuer
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