Krise in Griechenland: Selbstmord aus Protest
Offenbar aus Verzweiflung über die Sparpolitik erschießt sich ein 77-Jähriger in Athen. Er wolle lieber tot sein, als auf der Müllkippe nach Essbarem zu suchen.
ATHEN taz | Es geschah am Mittwoch im Herzen der griechischen Hauptstadt, nur knapp hundert Meter vor dem Parlament: Ein 77-jähriger Mann tötet sich mit einem Schuss in den Kopf, offenbar aus Verzweiflung und Protest gegen die anhaltende Sparpolitik der griechischen Regierung.
Nach übereinstimmenden Medienberichten hinterließ der pensionierte Apotheker einen kurzen Abschiedsbrief, in dem er der „Besatzungsregierung“ Griechenlands vorwirft, sie habe ihm „jegliche Überlebenschance zunichtegemacht“. „Mir bleibt nichts anderes übrig, als meinem Leben ein ehrenhaftes Ende zu setzen, bevor ich im Müll nach Lebensmitteln suchen muss oder meinem eigenen Kind zur Last falle“, soll der 77-Jährige geschrieben haben.
Der Vorsitzende des Athener Apothekenverbandes, Kostas Lourandos, erklärte im griechischen Radio, der 77-Jährige sei ihm als besonnener Mann bekannt, der niemandem Schwierigkeiten bereitet habe. In der letzten Zeit habe der Mann mit großen gesundheitlichen Problemen und demzufolge auch mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt.
„Wie er vom Leben Abschied genommen hat, zeugt von persönlicher Integrität“, sagte Lourandos und fügte gleich hinzu: „Der Ort, den er sich dafür ausgesucht hat, zeugt auch von einer politischen Haltung.“
Nach Angaben der Polizei ist die Zahl der Selbstmorde in Griechenland in den vergangenen drei Jahren um mehr als 20 Prozent gestiegen. In diesem Zusammenhang sprach die Tageszeitung Kathimerini kürzlich von dem „grausamsten Kapitel in der Geschichte der Finanzkrise Griechenlands“. Dabei hatte das Land vor der Wirtschaftskrise noch die niedrigste Selbstmordrate in ganz Europa.
Die aktuelle Polizeistatistik sei noch nicht einmal vollständig, erklärt Vassilis Kontaxakis, Professor für Psychiatrie an der Universität Athen: „Genaue Angaben sind von der Polizei nicht zu bekommen“, beklagte Kontaxakis im griechischen Radio. Besonders gefährdet seien nicht nur ältere Menschen, sondern vor allem auch die 25- bis 30-Jährigen, die von der Rekordarbeitslosigkeit besonders hart betroffen seien, meinte der Athener Psychiater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen