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Krise in ÄgyptenSchüsse auf Oppositionelle in Kairo

Brandsätze fliegen, Schüsse fallen: Die Lage in Kairo ist extrem angespannt, Augenzeugen berichten, auf Demonstranten sei gefeuert worden. Neue Proteste sind angekündigt.

Schweres Geschütz vor dem Präsidentenpalast in Kairo. Bild: reuters

KAIRO dpa/rtr | In der ägyptischen Hauptstadt Kairo haben Unbekannte am Dienstag auf oppositionelle Demonstranten gefeuert und neun Menschen verletzt. Augenzeugen berichteten weiter, auf dem Tahrir-Platz hätten die Angreifer auch Brandsätze geworfen.

Auf dem Tahrir-Platz wurden viele oppositionelle Demonstranten durch den Angriff aus dem Schlaf gerissen. Sie riefen: „Das Volk will den Sturz des Regimes.“ Auf dem zentralen Platz hatten sich vor fast zwei Jahren über Wochen Gegner des dann gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak versammelt und derzeit campieren viele Demonstranten dort.

Vier Tage vor dem geplanten Verfassungsreferendum haben sowohl die Islamisten als auch die Gegner des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi für Dienstag zu Großkundgebungen aufgerufen. Beobachter befürchten, dass es zwischen den Anhängern der verfeindeten Lager erneut zu blutigen Straßenschlachten kommt.

Die linken und liberalen Parteien wollen bei ihren Protestmärschen eine Verschiebung der für Samstag geplanten Volksabstimmung über eine neue Verfassung fordern. Sie lehnen den von den Islamisten formulierten Verfassungsentwurf ab. Das Dokument stärkt die Rolle der Religionsgelehrten im Staat und schwächt die Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Armee darf Zivilisten festnehmen

Die Muslimbrüder und ihre Verbündeten planen Kundgebungen unter dem Motto „Ja zur Rechtmäßigkeit“. Die Studentenbewegung der Muslimbrüder teilte unterdessen mit, sie werde am Dienstag nicht wie geplant auf dem Universitätsgelände demonstrieren. Mit dem Verzicht wolle man gewaltsame Zusammenstöße mit den Demonstranten der Gegenseite vermeiden.

Präsident Mursi hatte zuvor die Armee aufgerufen, bis zu der Volksabstimmung am Samstag auf den Straßen Ägyptens für Ordnung zu sorgen. Er gab ihnen das Recht, Zivilisten festzunehmen – solange bis das Ergebnis des Referendums veröffentlicht ist. Mursis Sprecher Jassir Ali erklärte am Montag, Mursi habe der Armee diese Sondervollmachten auf Wunsch der Wahlkommission erteilt. Die Richter des Staatsrates erklärten vor der Presse in Kairo, sie seien nur dann bereit, die Abstimmung zu überwachen, wenn für die Sicherheit der Richter in den Wahllokalen garantiert werde.

Die EU-Außenminister haben bei ihrem Treffen in Brüssel beide Lager zu einer friedlichen Beilegung des Streits aufgerufen. „Das ist eine sehr fragile Lage“, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. „Es ist eine Lage, die mich auch deswegen so besorgt, weil wir den Erfolg der ägyptischen Revolution wollen.“ Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte: „Der Weg zur Demokratie ist wirklich steinig, aber es ist wichtig, dass die Bürger sich engagieren.“

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3 Kommentare

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  • R
    Reh

    Das Problem ist, dass es ja nicht (auch wenn hier so davon gesprochen wird) "nur" die Linken sind, bzw. finde ich es von vornherein seltsam von der "linken Opposition" zu sprechen, da es sich in Ägypten um ganz andere Gruppen handelt, als wir bei uns haben. Deshalb könnten/sollten sich ALLE deutschen Parteien für die Opposition und gegen Mursil aussprechen.

    Denn auch wenn ich sonst die Bezeichnung "islamistisch" meistens voreilig und unüberlegt in Artikeln finde, ist sie hier sehr wohl angebracht (leider verliert sie durch ihre inflationäre Verwendung die Stichhaltigkeit in unserer Rezeption). Denn Mursil gehört den Muslimbrüdern an (auch wenn er zum Amtsantritt dies niederlegte - was nicht funktioniert, denn einer Religionsbewegung wie dieser (wir würden sie als Salafisten bezeichnen) kann man nicht einfach beitreten und austreten wie man möchte, es ist eine Entscheidung aus Überzeugung und für Lebenszeit - ziehen seine Muslimbrüder im Hintergrund die Fäden, er ist nur Ausführender Arm), somit sind alle gegen ihn, die nicht dieser Bruderschaft angehören. Heißt: koptische Christen, Mubarak-Gegner, Anhänger anderer Religionen und Religionslose (von denen es sehr sehr wenige gibt) UND sogar fast alle Muslime, da die Muslimbruderschaft eine radikale Gruppe ist, mit fanatischen Ansichten (-> siehe Rechte der Frau).

    Auch wenn ich es jetzt sehr kompliziert und in tausend Klammern erklärt ein wenig verwirrend geschrieben ist, sollte dies jetzt ein wenig klarer sein - dass es sich eben nicht um eine Linke oder irgendeine kleine Opposition handelt :)

    war mir ein Anliegen.

  • I
    intersoli

    Ich vermisse die Solidarität mit linken und linksliberalen Gruppen in Ägypten (und auch Tunesien). Ausser generellen Lippenbekenntnissen ist mir sowohl von Grünen als auch von Linken noch keine echte Aktion zur Unterstützung bekannt, und das ist schade und eine verpasste Gelegenheit.

     

    Ich lass mich aber gern eines Besseren belehren in dem Fall.

  • U
    Ute

    Sie machen es sich nicht einfach, die Ägypter, mit der Demokratie.