Krise im Kongo: Zeichen stehen auf Sturm

Kurz vor den Wahlen wächst im Ostkongo die Unsicherheit. Es wird von wiederholten Massenvergewaltigungen berichtet, zudem zerfällt die Armee immer mehr.

Massenvergewaltigung als politisches Druckmittel: Zamuda Sikujuwa wurde 2003 von Soldaten schwer missbraucht. Bild: ap

Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) prüft Berichte über eine neue brutale Massenvergewaltigung im Osten des Landes. Über 150 Frauen laut UN, bis zu 170 laut Ärzte ohne Grenzen wurden in der Nacht zum 10. Juni angegriffen und grausam sexuell misshandelt, als desertierte Soldaten die Dörfer Nyakiele, Abala und Kanguli unweit der Stadt Fizi in der ostkongolesischen Provinz Südkivu angriffen. Die Übergriffe wurden letzte Woche bekannt, als ein Team von Ärzte ohne Grenzen das Dorf Nyakiele besuchte; am Montag, dem 27. Juni, wollte ein UN-Ermittlerteam in das Gebiet reisen.

Im August 2010 hatte ein ähnlicher Vorfall in der Provinz Nordkivu, als in dem von UN-Patrouillen geschützten Ort mehrere hundert Frauen von mutmaßlichen ruandischen Hutu-Milizionären systematisch vergewaltigt worden waren, zu einer schweren Krise innerhalb der UN-Mission geführt. Damals warf die Affäre ein Schlaglicht auf das Unvermögen der UNO, Gewaltakte der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zu unterbinden, deren Führung derzeit in Deutschland vor Gericht steht - am 27. Juni sollte der Prozess weitergehen.

Die aktuellen Nachrichten aus Nyakiele unterstreichen ein anderes großes Problem für den Ostkongo: Die kongolesische Regierungsarmee FARDC droht in ihre Bestandteile aus ethnischen Milizen zu zerfallen, die sich einst spinnefeind waren.

Den vorliegenden Informationen zufolge waren die Überfälle von der Nacht zum 10. Juni das Werk von Oberst Niragure Kifaru, ein in die Armee eingegliederter ehemaliger Kommandant der kongolesischen Hutu-Miliz Pareco (Kongolesische Widerstandspatrioten). Weil seine Leute angeblich weniger von Beförderungen profitieren als ehemalige Tutsi-Rebellen in der Armee, verließ Kifaru am 9. Juni mit 200 bewaffneten Anhängern das Militärlager Kananda in Südkivu und machte sich auf den Weg in seine Heimatprovinz Nordkivu; die Überfälle und Vergewaltigungen ereigneten sich in der darauffolgenden Nacht.

Milizenführer desdertieren

Während Hutu-Soldaten in Südkivu sich gegenüber Tutsi-Soldaten benachteiligt fühlen, ist dieselbe Klage spiegelbildlich von Tutsi-Soldaten über ihre Hutu-Kameraden zu hören. Wenige Wochen vor Kifaru desertierte ein ehemaliger Tutsi-Rebellenkommandant in Südkivu mit seinen Kämpfern aus der Armee, ebenso ein Polizeikommandant mit Zugang zu Waffenlagern.

Vergangene Woche warnte die Internetzeitung der Banyamulenge-Tutsi "Journal Minembwe", angesichts der Spannungen drohe eine neue Rebellion im Kongo, weil die Banyamulenge sich verteidigen müssten - mit solchen Parolen hatten die beiden großen Kongokriege 1996 und 1998 begonnen, die das Land ins Chaos gestürzt hatten. "Wir stehen wenige Monate vor den Wahlen, da ist alles möglich", kommentiert ein gut informierter ostkongolesischer Beobachter die Lage.

Dass die rivalisierenden Milizenführer überhaupt aus der Armee desertieren, hat damit zu tun, dass Kongos Militärführung vor wenigen Monaten die Umstrukturierung der Armee in "Regimenter" beschloss und dafür die verschiedenen Truppenteile aus ihren Stationierungsgebieten abzog und kasernierte. Der Rückzug der Armee aus weiten Teilen Ostkongos hat im Kampf gegen die straff organisierten ruandischen Hutu-Kämpfer der FDLR fast alle in den letzten zweieinhalb Jahren erzielten Fortschritte zunichtegemacht.

Insbesondere im Innern der Provinz Südkivu sind weite Landstriche nicht mehr für humanitäre Hilfe zugänglich, berichtet die humanitäre UN-Abteilung OCHA. Zehntausende Menschen seien vor verstärkten FDLR-Übergriffen auf Märkten und an Straßensperren auf der Flucht.

Bürger müssen sich neu in Wahlregister eintragen

In der Provinzhauptstadt Bukavu und Shabunda kam es in den letzten Wochen zu Protestmärschen wütender Bürger. Ein Memorandum geflohener Bewohner Shabundas warf der Regierung vor, die Unsicherheit zu dulden, damit sich die Leute nicht an der laufenden Aktualisierung des Wahlregisters beteiligen können - am 28. November wird im Kongo ein neuer Präsident gewählt, und Amtsinhaber Joseph Kabila kann diesmal nicht mehr wie vor fünf Jahren auf die Treue der kriegsmüden Ostkongolesen zählen.

Zehntausende Menschen jubelten letzte Woche in Goma und Bukavu dem Wahlkampfauftakt von Kabilas ehemaligem Parlamentspräsidenten Vital Kamerhe zu, der heute als einer der wichtigsten Oppositionskandidaten für die neue "Union der kongolesischen Nation" (UNC) antritt und mit den Stimmen des Ostens Kabila schlagen will. Kamerhe forderte den Kongo auf, sich zur Gesundung am Modell Brasilien zu orientieren.

Aber vor der Wahl müssen sich alle Bürger neu in die Wahlregister eintragen, und wenn sie auf der Flucht sind, geht das nicht. Es ist nicht weit zur Vermutung, Kabila schüre bewusst Unsicherheit im Osten, um die Zahl von Oppositionsstimmen dort zu reduzieren.

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