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Krise der sozialen InfrastrukturAuf dem Weg in die Dystopie

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Der Kinder- und Jugendnotdienst steht vor dem Kollaps – genau wie Kitas, Sozialhilfe und Schulen. Anstatt zu investieren, spart der Senat weiter.

Zunehmend dem Verfall preisgegeben: Der Mehringplatz Foto: IMAGO / Hohlfeld

E s ist das Rezept für das perfekte Desaster: Eine jahrzehntelang kaputt gesparte soziale Infrastruktur trifft auf eine sich anbahnende Haushaltskrise. Statt massiv mit Investitionen gegenzusteuern, dreht der Senat jeden Posten nach Einsparmöglichkeiten um. Warnungen vor dem drohenden Kollaps verhallen ungehört, wie zuletzt wieder am Dienstag vor dem Roten Rathaus. 150 So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen wiesen darauf hin, dass das System der Kinder- und Jugendnothilfe kaum noch funktionsfähig ist.

Nach einer selbst gestellten Überlastungsanzeige herrscht seit Juni ein Aufnahmestopp im Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK). Die Institution ist den Jugendämter angegliedert und stellt die erste Anlaufstelle für Kinder- und Jugendliche in Not dar. Falls Eltern gewalttätig werden oder massiv überfordert sind, kümmert sich der BNK um eine Unterbringung.

Doch Berlins Jugendämter sind seit Jahren überlastet, bis zu einem Punkt, an dem sie ihre Kernaufgaben nicht mehr erfüllen können. Beschäftigte klagen über steigende Belastung bei schwindendem Personal. In der Folge steigen die Krankheitsstände oder Kol­le­g:in­nen kehren dem Bereich ganz den Rücken zu. In Neukölln musste im vergangenen November eine Sektion des regionalen sozialpädagogischen Dienstes nach einer Kündigungswelle komplett schließen.

Der Senat guckt zu

Besonders Kinder und Jugendliche längerfristig unterzubringen, wird zunehmend schwieriger. Für Heranwachsende aus problematischen Verhältnissen schwinden damit die Chancen auf ein normales, selbstständiges Leben ohne Obdachlosigkeit, Drogen und psychische Probleme. Stattdessen landen sie immer häufiger auf der Straße, weil es keine bezahlbaren Wohnungen mehr gibt.

Die Situation im Kinder- und Jugendnotdienst ist aber kein isoliertes Problem. Erst vergangene Woche versuchten Er­zie­he­r:in­nen mit ihrem Streik mitzuteilen, dass es um die Kitas nicht besser steht. Auch in den Schulen verschlechtert sich die Situation zunehmend: Leh­re­r:in­nen fehlen, Angebote für bedarfsintensive Kinder werden gekürzt. Jugendklubs, von denen vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien profitieren, verfallen oder müssen schließen.

Der Senat aber tut nichts, um diesen Kollaps der sozialen Infrastruktur aufzuhalten. Stattdessen soll noch mehr gespart werden, wie zuletzt in Neukölln. Dort hätten Schü­le­r:in­nen angeblich zu viel Platz und seien im Vergleich mit anderen Bezirken zu teuer. Die geniale Lösung: Sie sollen Räume abgeben, beispielsweise für die Volkshochschule.

Einfach abgeschrieben

Trotz Haushaltskrise ist das Handeln des Senats keineswegs „alternativlos“, sondern lediglich eine Frage der Prioritätensetzung. Für Wahlgeschenke wie das 29-Euro-Ticket oder EM-Rollrasen ist ja auch noch genug Geld da.

Vielmehr verfolgt Schwarz-Rot eine konsequente Klientelpolitik. Denn vom Kollaps sind vor allem jene betroffen, die nicht auf eine funktionierende Familie, ein Eigenheim oder finanzielle Polster zurückgreifen können.

Die Folge: Ganze Milieus und Stadtquartiere, wie das am Kreuzberger Mehringplatz, drohen abgeschrieben zu werden. Für Jugendliche, die dort aufwachsen, gäbe es dann kaum noch Chancen für den sozialen Aufstieg. Die Ausmaße an Drogenkriminalität, Obdachlosigkeit und Verwahrlosung, mit denen die Kieze schon jetzt kämpfen, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was die Stadtgesellschaft erwartet. Aber keine Sorge, mehr Überwachung, mehr Polizei und höhere Zäune werden's schon richten.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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2 Kommentare

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  • Tja, das Geld fällt einfach nicht von den Bäumen. Wie im Artikel beschrieben, besteht die Mangelwirtschaft seit Jahren. Es ist immer wohlfeil, die von anderen verursachten Probleme auf den jetzigen unbeliebten Senat zu schieben. Richtig, die SPD war in den letzten Jahrzehnten (mit) an der Macht. Grüne und Linke allerdings auch.



    An Volkshochschulen werden Übrigens Bildungsangebote für Alle und Sprachkurse für Migranten und Geflüchtete angeboten; kann es garnicht genug von geben.

    Mal eben (wieder) aus dem Tarifvertrag der Länder auszutreten (Kitastreik) scheint rückblickend vielleicht doch keine so gute Idee zu sein.

    Klientelpolitik ist es im Übrigen auch, gutverdienenden Akademikern Ihre 100 m² für 5,50 €/m² durch Vorkauf zu erhalten oder Genossenschaften zu alimentieren, die sich nur das obere Drittel der Stadtbevölkerung leisten können.

  • Apropos Schulen. Diejenigen mit hohen Migrationsanteil geben Kindern, die kaum deutsch sprechen, kaum eine Chance, weil der Lehreranteil mindestens verdoppelt werden müsste. Die Folge: vollkommen abgehängte Stadtteile. Zustände bald wie in Frankreich. Dazu Container- und Zeltstädte, weil die Migration ungesteuert verläuft. 800.000 Sozialwohnungen fehlen bundesweit, aber die Politik macht keine Anstalten das Problem zu lösen. Stattdessen Gentrifizierung und Imobilienspekulation ohne Ende.