Krise der sozialen Infrastruktur: Auf dem Weg in die Dystopie

Der Kinder- und Jugendnotdienst steht vor dem Kollaps – genau wie Kitas, Sozialhilfe und Schulen. Anstatt zu investieren, spart der Senat weiter.

Der verschmutzte Mehringplatz an der U-Bahnstation Hallesches Tor

Zunehmend dem Verfall preisgegeben: Der Mehringplatz Foto: IMAGO / Hohlfeld

Es ist das Rezept für das perfekte Desaster: Eine jahrzehntelang kaputt gesparte soziale Infrastruktur trifft auf eine sich anbahnende Haushaltskrise. Statt massiv mit Investitionen gegenzusteuern, dreht der Senat jeden Posten nach Einsparmöglichkeiten um. Warnungen vor dem drohenden Kollaps verhallen ungehört, wie zuletzt wieder am Dienstag vor dem Roten Rathaus. 150 So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen wiesen darauf hin, dass das System der Kinder- und Jugendnothilfe kaum noch funktionsfähig ist.

Nach einer selbst gestellten Überlastungsanzeige herrscht seit Juni ein Aufnahmestopp im Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK). Die Institution ist den Jugendämter angegliedert und stellt die erste Anlaufstelle für Kinder- und Jugendliche in Not dar. Falls Eltern gewalttätig werden oder massiv überfordert sind, kümmert sich der BNK um eine Unterbringung.

Doch Berlins Jugendämter sind seit Jahren überlastet, bis zu einem Punkt, an dem sie ihre Kernaufgaben nicht mehr erfüllen können. Beschäftigte klagen über steigende Belastung bei schwindendem Personal. In der Folge steigen die Krankheitsstände oder Kol­le­g:in­nen kehren dem Bereich ganz den Rücken zu. In Neukölln musste im vergangenen November eine Sektion des regionalen sozialpädagogischen Dienstes nach einer Kündigungswelle komplett schließen.

Der Senat guckt zu

Besonders Kinder und Jugendliche längerfristig unterzubringen, wird zunehmend schwieriger. Für Heranwachsende aus problematischen Verhältnissen schwinden damit die Chancen auf ein normales, selbstständiges Leben ohne Obdachlosigkeit, Drogen und psychische Probleme. Stattdessen landen sie immer häufiger auf der Straße, weil es keine bezahlbaren Wohnungen mehr gibt.

Die Situation im Kinder- und Jugendnotdienst ist aber kein isoliertes Problem. Erst vergangene Woche versuchten Er­zie­he­r:in­nen mit ihrem Streik mitzuteilen, dass es um die Kitas nicht besser steht. Auch in den Schulen verschlechtert sich die Situation zunehmend: Leh­re­r:in­nen fehlen, Angebote für bedarfsintensive Kinder werden gekürzt. Jugendklubs, von denen vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien profitieren, verfallen oder müssen schließen.

Der Senat aber tut nichts, um diesen Kollaps der sozialen Infrastruktur aufzuhalten. Stattdessen soll noch mehr gespart werden, wie zuletzt in Neukölln. Dort hätten Schü­le­r:in­nen angeblich zu viel Platz und seien im Vergleich mit anderen Bezirken zu teuer. Die geniale Lösung: Sie sollen Räume abgeben, beispielsweise für die Volkshochschule.

Einfach abgeschrieben

Trotz Haushaltskrise ist das Handeln des Senats keineswegs „alternativlos“, sondern lediglich eine Frage der Prioritätensetzung. Für Wahlgeschenke wie das 29-Euro-Ticket oder EM-Rollrasen ist ja auch noch genug Geld da.

Vielmehr verfolgt Schwarz-Rot eine konsequente Klientelpolitik. Denn vom Kollaps sind vor allem jene betroffen, die nicht auf eine funktionierende Familie, ein Eigenheim oder finanzielle Polster zurückgreifen können.

Die Folge: Ganze Milieus und Stadtquartiere, wie das am Kreuzberger Mehringplatz, drohen abgeschrieben zu werden. Für Jugendliche, die dort aufwachsen, gäbe es dann kaum noch Chancen für den sozialen Aufstieg. Die Ausmaße an Drogenkriminalität, Obdachlosigkeit und Verwahrlosung, mit denen die Kieze schon jetzt kämpfen, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was die Stadtgesellschaft erwartet. Aber keine Sorge, mehr Überwachung, mehr Polizei und höhere Zäune werden's schon richten.

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