Krise der Milchbauern: Das Euter ist voll
Milch ist inzwischen so billig, dass es selbst für Großbauern eng wird. Sie fordern, dass der Staat die Produktionsmenge wieder deckelt.
Soll heißen: Wer nicht wächst, kann nicht billig genug produzieren und muss die Kühe abgeben. Doch selbst Großbetriebe wie Karps Hof ächzen nun unter dem Verfall der Milchpreise, der seit Herbst 2013 anhält. Deshalb fordern sie vom Staat, die Produktionsmenge zu begrenzen.
Die Bauern bekamen nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) im vergangenen Mai von den Molkereien 30 Prozent weniger für ihr Produkt als im Dezember 2013 – ein bundesweiter Durchschnittspreis von 29 Cent. Um ihre Kosten zu decken, bräuchten die Bauern je nach Effizienz des Betriebes 40 bis 50 Cent.
Dass Russland seit August 2014 EU-Milchprodukte boykottiert, hat nicht nur laut BDM lediglich zu einem kleinen Teil zu dem Preisverfall beigetragen. Bereits im Vorjahr hatten die Landwirte die Produktion kräftig ausgeweitet, um sich beim Auslaufen der Milchquote in der EU im April 2015 Marktanteile sichern zu können. Seitdem gibt es keine Begrenzung der Produktionsmenge per Gesetz mehr. Die Bauern expandierten stärker, als die internationale Nachfrage stieg.
Höfe geben auf
Viele Bauern hatten also schon vor April dieses Jahres mehr gemolken. Manche kauften Lieferrechte von anderen Bauern, andere nahmen bewusst eine Strafzahlung in Kauf. So haben sie die Preise selbst kaputtgemacht – nicht nur für sich selbst, sondern auch für diejenigen, die lediglich ihre Quote erfüllt haben. Darunter dürften vor allem kleine Höfe leiden, die pro Liter Milch meist höhere Produktionskosten haben.
Allein in den sechs Monaten bis Mai ist die Zahl der Milchkuhhaltungen um 2,2 Prozent auf knapp 75.000 gesunken, teilte das Statistische Bundesamt mit. Seit 2010 sind rund 19.000 Höfe aus der Milchproduktion ausgestiegen. Während damals jeder Halter im Schnitt 45 Milchkühe in seinem Stall stehen hatte, sind es aktuell 57 Tiere.
Aber das Beispiel des Mecklenburgers Karp zeigt, dass mittlerweile auch Großbetriebe von der Substanz leben. Er rechne in diesem Jahr mit 1,1 Millionen Euro weniger Einnahmen aus der Milch, sagt der Landwirt. „Investitionen werden erst mal zurückgestellt. Wir fahren auf Verschleiß.“
Deswegen haben Karp und mehrere andere Agrarunternehmer des Milchbauernbunds mit überdurchschnittlich großen Höfen vergangene Woche einen „Brandbrief“ an Agrarminister Christian Schmidt geschrieben. Darin fordern sie von dem CSU-Politiker, sich bei der EU für ihre Branche einzusetzen.
Forderung nach „Milchgipfel“
Brüssel solle früher als vorgesehen Milch aufkaufen, nicht erst, wenn der Preis weiter fällt. Zudem solle die EU Bauern dafür bezahlen, dass sie vorübergehend weniger melken. Langfristig will der Verband, dass die EU die Produktionsmenge bei einer „Marktkrise“ begrenzt. Wer dann dennoch mehr liefert, müsste eine Strafe zahlen.
Auch Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, appellierte an Schmidt zu handeln. „Ich fordere den Landwirtschaftsminister auf, jetzt einen Milchgipfel einzuberufen.“ Bund und Länder, Handel und Molkereien, Bauern und ihre Vertretungen müssten gemeinsam einen Weg aus der Krise finden.
Schmidt ließ der taz aber mitteilen, dass die Lage noch lange nicht so schlimm sei wie 2009, als die Preise besonders niedrig waren. „Für die Absicherung der Betriebe wurde im Zuge der Agrarreform bereits viel getan“, ergänzte eine Behördensprecherin. Der CSU-Politiker hat das Ende der Milchquote stets begrüßt und die Vorschläge des BDM abgelehnt.
Werden die Milchbauern also wieder streiken – so wie 2008? „Wenn die Politik sich weiterhin taub stellen sollte“, antwortet BDM-Chef Romuald Schaber, „liegen alle Optionen auf dem Tisch.
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