Krise der Fünf Sterne in Italien: Bewegung kämpft ums Überleben
In Italien will die Bewegung Fünf Sterne einen Chef wählen. Doch sie hat sich mit der Plattform überworfen, die über die Mitgliedslisten verfügt.
„Wir liegen am Boden, doch wir stehen wieder auf“, verkündete der Rousseau-Chef Davide Casaleggio pathetisch, als er Ende letzter Woche das endgültige Zerwürfnis mit den Fünf Sternen bekanntgab. Auf seiner Plattform fanden die Onlinevoten statt, in denen die registrierten Aktivist*innen über Parlamentskandidat*innen, über die Führung, über Koalitionen mit anderen Parteien abstimmten.
Aus den Parlamentsfraktionen des M5S in Abgeordnetenhaus und Senat wurde Rousseau jedoch vorgeworfen, die Plattform agiere nicht nur als Dienstleister, sondern mische sich in Sachfragen ein. So verkündete Davide Casaleggio unlängst, an der alten Regel der Beschränkung von Mandaten auf zwei Legislaturperioden dürfe nicht gerüttelt werden. Auch aufgrund solcher Einmischung floss zuletzt kaum noch Geld vom M5S, was jetzt zum Bruch führte.
Legitimiert war Casaleggio allein durch dynastische Erbfolge: Sein Vater Gianroberto war der Daten-Guru, der zusammen mit dem Komiker Beppe Grillo das M5S gegründet hatte und dort seine Vision einer neuen direkt-digitalen Demokratie realisieren wollte. Die alte Doppelspitze ist allerdings weg, seitdem Casaleggio senior im Jahr 2016 starb und Grillo sich seinerseits kurz darauf auf die Rolle des „Garanten“, des Übervaters der Bewegung, zurückzog.
Ohne klares Profil
Er selbst spielte dann im Parlamentswahlkampf 2018 keine aktive Rolle mehr. Doch das schien kein Problem zu sein, da das M5S unter dem neuen „capo politico“, dem „politischen Chef“ Luigi Di Maio am Ende mit 33 Prozent als klarer Sieger aus den Wahlen hervorging.
Doch obwohl die Bewegung seit 2018 ununterbrochen in der Regierung sitzt – erst bis 2019 mit der rechtspopulistischen Lega, dann bis Februar 2021 mit der gemäßigt linken Partito Democratico und jetzt in der breiten Notstandskoalition unter Mario Draghi – ist sie heute führungs- und orientierungslos. Di Maio hatte vor 15 Monaten sein Rücktritt erklärt, einen Nachfolger gibt es bisher nicht. Der farblose Vito Crimi leitet seitdem das M5S kommissarisch, verfügt aber über keinerlei Autorität. Und die Bewegung, die nicht mehr auf Protest gegen das als korrupt gebrandmarkte Establishment der Altparteien setzen kann, sondern an deren Seite regiert, steht ohne klares Profil da. Nach allen Umfragen fiel das M5S auf nur noch 15 bis 17 Prozent der Wähler*innenschaft.
Deshalb soll es jetzt Giuseppe Conte richten, der bis Februar 2021 amtierende Regierungschef Italiens. Er ist in der Bevölkerung genauso wie an der 5-Sterne-Basis weiter hoch populär, deshalb soll er wahrscheinlich Anfang Mai zum neuen „capo politico“ berufen werden. Conte verspricht, entlang der Achsen Soziales, Ökologie und Kampf gegen die Korruption in der Politik die Bewegung programmatisch neu aufzustellen und ihr auch eine Organisation zu verleihen, die sie faktisch zur Partei werden ließe. Anfang Mai will er seine Vorschläge bekanntgeben.
Doch ausgerechnet der „Garant“ Beppe Grillo verdarb den Neustart. Er lancierte letzte Woche eines seiner Wutvideos. Statt über politische Themen brüllte Grillo seinen Zorn über die Staatsanwälte heraus, die gegen seinen Sohn wegen einer Gruppenvergewaltigung ermitteln, die er und drei Freunde im Sommer 2019 begangen haben sollen. Am schlimmsten: Grillo stellte die junge Frau, die Anzeige erstattet hatte, als Lügnerin dar, weil sie erst acht Tage nach dem Vorfall zur Polizei gegangen war.
Conte muss nicht nur mit diesem Imageschaden kämpfen. Zugleich weiß er gar nicht, wo die Aktivist*innen über ihn abstimmen können – denn die Plattform Rousseau hat ja ihre Dienste aufgekündigt und will auch die von ihr verwalteten M5S-Mitgliederlisten vorerst nicht herausrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“