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■ VorschlagKrippenspiel zwischen schüchternen Graffiti unter der Moltkebrücke

Auf dem Weg von der S-Bahn riecht es nach aufgewühlter Erde, und wenn man, einmal im Zuschauerraum angelangt, den Hals ein wenig reckt, rücken fünf Kräne und ein Sandhügel ins Blickfeld. Für Baustellen hat die Schauspielerin Christine Marx eine Vorliebe. Wohl deswegen spielt das von ihr und Monika Dierauer entwickelte Stück „Morgen machen wir uns einen Namen“ (Regie: Klaus Nothnagel) vor ungewöhnlicher Kulisse: In einem Gewölbe unter der Moltkebrücke, nicht weit von den Baugruben, aus denen der Lehrter Bahnhof gestampft wird.

Der Brückenbogen ist säuberlich geklinkert und nur von wenigen schüchteren Graffiti geschmückt. Ähnlich aufgeräumt ist das Stück: eine Collage aus Bibelepisoden, von der Erschaffung der Tiere über den Sündenfall bis hin zur Sintflut, erzählt von den Figuren Kiki (Marx) und Moni (Dierauer). Da wir uns unter einer Brücke befinden, sind die beiden obdachlos, hausen in Kartons und geben sich alle Mühe, an Vladimir und Estragon aus „Warten auf Godot“ zu erinnern. Vergeblich. Denn so niedlich wie die Namen ist auch die Geschichte. Tag für Tag spielen die Heldinnen die Schöpfung nach. Wie damals geht es immer wieder schief. Dann ist Gott, der mal von Kiki, mal von Moni gegeben wird, zerknirscht, und also reißt er sich den Hut vom Kopf und trampelt darauf herum. Ein Wortspiel hilft weiter: „Der Schöpfer muß bis zur Erschöpfung schöpfen.“ Manchmal wird lautgemalt, daß die rollenden Rs oder Zischlaute nur so durch die Luft wirbeln. Unterhaltsam wird es allerdings tatsächlich, wenn Kiki als Gott die Tiere erschafft und Dierauer entsprechende Geräusche ausstößt: Als Vogelstimmenimitatorin ist sie bestechend. Eine Schlange darf natürlich nicht fehlen, und natürlich trägt sie ein enges schwarzes Kleid und eine schwarze Larve. So bleibt die Kombination aus Bibel, Brücke und Baustelle reichlich harmlos. „Morgen machen wir uns einen Namen“, als „absurde Komödie“ angekündigt, liegt gefährlich nah beim Krippenspiel. Cristina Nord

„Morgen machen wir uns einen Namen“, bis 30. 6., Do-So, 20.30 Uhr (auch bei Regen), Freiplatz unter der Moltkebrücke, Tiergarten

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