Krippenplätze: Steinbrück und die goldene Knute
Die jüngste Vereinbarung zur Krippenfinanzierung ist eine kleine föderale Revolution - wer Geld vom Bund will, muss seine Forderungen akzeptieren.
Das Foto zur Einigung bei den Kinderkrippen sprach Bände. Zu sehen war ein Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mit dem üblich mürrischen Blick seines Lieblingstiers, dem Nashorn. Daneben eine weit über das übliche Maß strahlende Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Und daneben ein zerknirschter, düpierter, beinahe wütender niedersächsischer Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) - ein gänzlich ungewohnter Anblick des Dauerlächlers und Lieblings aller Schwiegermütter.
Christian Wulff hatte, wie jetzt bekannt wird, auch keinerlei Grund zur Freude. Landesfürsten wie er bekommen zwar vom Bund satte vier Milliarden Euro für den Krippenausbau. Berlin will sogar das Erzieherpersonal der Länder mitfinanzieren, ein absolutes Novum. Aber die Regierung in Berlin hat sich gleichzeitig ein wirksames Mittel vorbehalten: Wer nicht tut, was der Bund will, bekommt keinen Bundeszuschuss.
Vier Milliarden Euro gibt der Bund den Ländern in den kommenden fünf Jahren, damit diese die Kinderkrippen ausbauen können. 2,15 Milliarden Euro fließen in einen Investitionstopf, daraus werden neue Gebäude errichtet. Und weitere 1,85 Milliarden Euro gibt der Bund für das Gehalt von Erzieherinnen. Berlin überweist dafür aus seinen Umsatzsteuereinnahmen ab 2009 feste Beträge an die Länder - von 100 Millionen Euro im Jahr 2009 bis 700 Millionen im Jahr 2013. Allerdings unterliegt das einer festen Bedingung: Die Länder müssen bis zum 31. Dezember 2008 dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz zugestimmt haben. CIF
Die kleine föderale Revolution versteckt sich unter III.3, dem letzten Punkt der gerade veröffentlichten "Vereinbarung zum Betreuungsausbau" einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Wenn die notwendigen Gesetzesänderungen "nicht bis zum 31. Dezember 2008 im Bundesgesetzblatt verkündet worden sind", heißt es da, tritt die Verwaltungsvereinbarung am 1. Januar 2009 außer Kraft. Hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach: Wenn die Bundesländer bis Ende nächsten Jahres dem Rechtsanspruch auf Krippenplätze nicht zugestimmt haben, bekommen sie keinen Cent. Das ist juristisch verbrämt der Zwang zum Wohlverhalten im Bundesrat.
Die Bundesländer wollten bislang den Rechtsanspruch auf Krippenplätze um jeden Preis verhindern. Denn er ist ein scharfes Schwert - für die Eltern von Kleinkindern. Mütter und Väter haben damit das verbriefte Recht, einen Krippenplatz vor Ort direkt einzuklagen. Jetzt haben sich die Länder in der Krippenvereinbarung mit Steinbrück und von der Leyen dazu bereit erklärt, den Rechtsanspruch zu schlucken. Das bedeutet: Würden die versierten Bundesratszocker Christian Wulff, Roland Koch oder Peter Müller in der Länderkammer bei diesem Thema ein Veto einlegen, ist die viele Kohle wieder weg.
Was auf den ersten Blick wie die Knute gegen die armen Bundesländer aussieht, ist in Wahrheit auch eine Art Notwehr des Bundes gegen ständige Länderforderungen. Der Bund beteiligt sich bei den Krippen sogar an den Betriebskosten, das heißt, er finanziert das Gehalt der ErzieherInnen vor Ort. Dafür bekommen die Bundesländer etwas vom Heiligsten des Bundes - feste Anteile an der Umsatzsteuer. Dafür musste eine Gegenleistung her. "Wir wollten sicherstellen, dass dieses Bundesgeld dann auch zielgerichtet in den Ausbau der Kinderkrippen fließt", sagt Nicolette Kressl, Fraktionsvize der SPD und eine der Architektinnen des neuen Systems.
Der Bund hat aus bitteren Erfahrungen gelernt. Die Länder sind mit ihm bereits bei mehreren gemeinsamen Bildungsprojekten Schlitten gefahren. Mit dem Geld für Ganztagsschulen etwa wurden nicht wenige Turnhallen renoviert. Für andere Länder wiederum waren die Ganztags-Millionen ein willkommener Zuschuss zur Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Das sollte nicht wieder passieren. In der Krippenvereinbarung beschreitet der Bund nun Neuland. Aus den goldenen Zügeln - wie man früher Extragelder aus Bonn nannte - wird die goldene Knute.
Die Nagelprobe, ob das neue Instrument auch funktioniert, steht erst noch bevor. Bund und Länder haben bislang nur vereinbart, 750.000 Krippenplätze bis zum Jahr 2013 in ganz Deutschland bereitzustellen. Das wären aus heutiger Prognose Plätze für ein Drittel der Kinder unter 3 Jahren. Um dies juristisch abzusichern, bekommen Eltern ab dem Jahr 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Das alles muss erst noch ins Kinder- und Jugendhilfegesetz geschrieben werden, zudem sind Steuergesetze zu ändern, damit die begehrten Umsatzsteuermillionen in die Kassen der Länderfinanzminister fließen können. Bund und Länder haben sich zwar in der Vereinbarung wortreich versichert, dass sie das flott und widerspruchsfrei abwickeln - aber es gibt noch genug strittige Punkte.
Beispiel Betreuungsgeld: Die CSU möchte, dass neben dem Krippenausbau ein Kinderzuschlag an Eltern bezahlt wird, die ihre Kleinen zu Hause betreuen. Dieser Punkt hat keinen Eingang in die Vereinbarung gefunden - aber ob die neue Herdprämie für Zuhauseerzieher dazugehört, ist bereits heiß umstritten. Bayerns Familienministerin Christa Stewens (CSU) ist der Ansicht, dass das Betreuungsgeld "Bestandteil dieses Kompromisses ist". Sie droht: "Ohne das Betreuungsgeld ist auch der Rechtsanspruch nicht akzeptabel", und verspricht, das in der Gesetzgebung deutlich zu machen. Etwa durch Vetodrohungen?
Beispiel Qualität der Kinderkippen: Bislang wurde bei der Krippenwelle stets nur über die Zahl der Plätze gesprochen, zur betreuerischen und pädagogischen Qualität kam man nie. Dabei wäre das nötig, denn Deutschland hat nicht nur die wenigsten, sondern auch sehr schlechte Kitaplätze, wenn man andere europäische Länder zum Maßstab macht. In Frankreich etwa dürften deutsche Erzieherinnen allenfalls als kommunale Assistentinnen in die Kita - zum Brötchenschmieren und Windelwechseln. Experten wie der Kitabeauftragte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Norbert Hocke, glauben nun, die neuen Vereinbarung lasse genug Spielraum für Qualitätsdebatten. SPD-Politikerin Kressl ist da skeptisch: "Der Bund kann den Ländern keine Vorschriften über die Zahl der ErzieherInnen in den Krippen oder die Bildungspläne dort machen."
Und von der schwächsten Stelle der neuen Zusammenarbeit ist dabei noch gar nicht gesprochen: Die Vereinbarung hat keinerlei Auswirkungen darauf, wie viel Geld die Länder eigentlich von sich aus für die 750.000 Krippenplätze zu geben bereit sind. Der Deutsche Städtetag hat gerade dringend an die Länder appelliert, "rasch Zusagen über die Höhe der eigenen Finanzmittel für die zusätzlichen Betreuungsplätze zu machen". Geschäftsführer Stefan Articus sagte der taz, dass es erfreulich sei, dass der Bund freiwillig mit im Boot sei. "Die Länder dagegen sind zu zusätzlichen Zahlungen an ihre Kommunen verpflichtet", so Articus, hätten sich bislang aber um Zusagen herumgedrückt.
Und da kommt wieder Christian Wulff ins Spiel. Der Ministerpräsident murmelte stets, Bund, Länder und Kommunen müssten zu gleichen Teilen für die Krippenfinanzierung aufkommen. Wie er und die anderen Landesfürsten ihrerseits vier Milliarden Euro aufbringen wollen, hat Christian Wulff wohlweislich verschwiegen. Vielleicht schaute er auch deswegen so grimmig, als er den Kitakompromiss mit Steinbrück und von der Leyen aushandelte.
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