: Kripo am Telefon
Wer als Trittbrettfahrer Milzbrand-Alarm verursacht, hat mit drakonischen Strafen zu rechnen. Täter sind nicht nur die typisierten „frustrierten Männer“, sondern auch Studentinnen und Familienväter
von JEANNETTE GODDAR
Ein Energiepaket besonderer Art flatterte am vergangenen Freitag Ministerien und Bundestagsfraktionen in die Post: Zwei in Teilen zerbröselte Täfelchen „Dextro Energen“, versehen mit einem Schreiben, in dem „Energie im Kampf gegen den Terror“ gewünscht wurde. Absender: der AStA der Universität Hannover. Eine Gruppe selbst ernannter Globalisierungskritiker namens „RightNow“ hatte die Energiebonbons in 25-facher Ausführung auf den Weg gebracht und gleich auch noch eine Pressemitteilung herausgegeben. Darin hieß es, man wolle gegen das Sicherheitspaket Otto Schilys demonstrieren und „kritisch auf die Gefahr eines hysterischen Klimas aufmerksam machen“. Und: Selbstverständlich handele es sich bei Dextro Energen „nicht um Milzbranderreger“.
In Ministerien und Fraktionen, die zwar einen Brief, aber keine Pressemitteilung zugeschickt bekommen hatten, wollte man Letzteres von professioneller Seite ausschließen lassen und rief die Polizei. Wenig später klingelte in der Uni Hannover das Telefon, die Kripo war am Apparat. Vonseiten des AStA distanziert man sich von dem makabren Scherz: eine „unglaublich dumme Idee“, konstatiert Kulturreferent Sebastian Raabe. Es sei „vollkommen naiv“, nicht darauf zu kommen, dass das Ganze als Milzbrand-verdächtig behandelt würde.
Die Post aus Hannover ist bisher eine der wenigen, bei der ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann. Bei den allermeisten Briefen, die inzwischen zu hunderten in Umlauf gebracht wurden, handelt es sich um Machwerke, die sowohl an Hintergrund als auch an intelligenter Vorbereitung zu wünschen übrig lassen – auch wenn erstaunlich viele Verfasser offenbar im Besitz eines staatlichen Abiturs sind. In Berlin versah ein 24-jähriger Student die von seiner Autowerkstatt angeforderte Inspektionsliste mit der Aufschrift „Dschihad“ und brachte sie auf den Postweg. In Neuss steckte ein 34-jähriger Familienvater einen Briefumschlag mit Backpulver in die Hauspost seines Betriebs und adressierte ihn an einen Kollegen. Im sächsischen Görlitz wurden ein 15- und ein 16-Jähriger gefasst, die einen Brief mit der Aufschrift „Milzbrand“ in den Vorgarten einer Nachbarin gelegt hatten. In Münster füllte eine angehende Gymnasiallehrerin, 28, Puderzucker und einen Zettel mit der Aufschrift „Ich bin der Milzbrand, uuuah“ in ein Kuvert und schickte es an ihren Bruder. Nachdem der Brief auf der Post war, dämmerte ihr offenbar etwas; sie rief an und entschuldigte sich. Zu spät – die Polizei war bereits unterwegs.
Der Münsteraner Studentin wie auch allen anderen über 18-jährigen Trittbrettfahrern drohen drakonische Strafen: Wegen Störung des öffentlichen Friedens sowie des Vortäuschens einer Straftat kann eine Höchststrafe von drei Jahren verhängt werden. Die ersten einschlägigen Urteile gegen Trittbrettfahrer wurden bereits verhängt; für eine Bombendrohung gab es schon einmal sieben Monate ohne Bewährung. Interessanter als die strafrechtlichen dürften aber die zivilrechtlichen Folgen werden: Private Unternehmen, Post, Polizei und Feuerwehr können den Verursacher zur Kasse bitten. Ein über Stunden geschlossenes Briefzentrum in Kombination mit einem Polizeieinsatz kostet schnell ein paar hunderttausend Mark.
Über Motive und psychologische Verfasstheit der Trittbrettfahrer weiß man bisher herzlich wenig: Die wenigen Überführten sind zwischen 15 und 57, überwiegend Männer, aber auch Frauen. Die häufig kolportierte These, es handele sich um „Verlierertypen“ auf der Suche nach Hype und Anerkennung, hält Werner Greve, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, für „pure Spekulation“: „Die Täter sind so heterogen wie ihre Motive“, so Greve, „das Spektrum reicht vermutlich von denen, die ein gewisses perverses Vergnügen an der Aufregung, die sie verursachen, entwickeln, bis zu solchen, die meinen, politisch etwas bewirken zu können.“ Was die Abschreckung angeht, hält Greve nicht die Höhe der Strafe für entscheidend, sondern die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden: „Wenn sich herumspricht, dass allerorten etwaige ‚SoKo Briefe‘ im Einsatz sind, hat dieser Spuk hoffentlich ein Ende.“
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