piwik no script img

KriminalitätsstatistikAlle 26 Minuten eine rechte Straftat

Die Zahl der rechtsextremen Delikte hat sich seit 2001 verdoppelt. Wichtigste Zielgruppe der Neonazis bleiben Jugendliche. Der Verein "Gesicht zeigen!" fordert ein Gipfeltreffen.

Auch an den Stadträndern von Stuttgart und Köln seien ausländerfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen weit verbreitet, so Uwe-Karsten Heye von "Gesicht zeigen". Bild: dpa

Alle 26 Minuten passiert in Deutschland statistisch gesehen eine rechtsextrem motivierte Straftat - 2008 waren es rund 20.000, für 2009 wird, wenn die Nachmeldungen eingegangen sind, eine ähnliche Zahl erwartet. "Seit der Wende zählen wir mehr als 130 Tote, Opfer rechtsextremer Gewalt", sagte der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Gründer und Vorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen!" zu dessen zehnten Jubiläum am Montag in Berlin.

Dass rechtsextrem motivierte Straftaten keine Ausnahmefälle sind, betonte Jörg Wanke von der Initiative "Zossen zeigt Gesicht". "Erst am Wochenende sind in Zossen mehr als 30 Hakenkreuze an Häuser, Schilder und Stolpersteine auf dem Marktplatz geschmiert worden", berichtete er. An eine Hauswand sei eine Morddrohung gegen einen der Mitarbeiter der Initiative geschrieben worden. Die Initiative hatte sich als Reaktion auf eine aktive und gewaltbereite rechte Szene in der brandenburgischen Kleinstadt südlich von Berlin im Januar 2009 gegründet.

Erst im Januar dieses Jahres war das "Haus der Demokratie" der Bürgerinitiative durch Brandstiftung vollständig zerstört worden. Ein 16-Jähriger aus der rechten Szene hat die Tat gestanden. Die Bürgerinitiative habe aber bereits ein neues Domizil im Blick. "Wir lassen uns nicht einschüchtern", sagte Wanke. Er kritisierte die Haltung der Stadtverwaltung und der Bürgermeisterin Zossens: "Wir hatten von Anfang an ein Messer im Rücken und werden als Nestbeschmutzer betrachtet." Mit gezielter Jugendarbeit wolle die Initiative eine nachhaltige und strukturelle Demokratisierung erreichen. Ein Ziel der Initiative sei die Einrichtung eines Netzwerkbüros für die Region südlich von Berlin, in der Widerstand gegen rechte Aktionen bisher noch sehr spontan und unkoordiniert sei, erläuterte Wanke.

Die wichtigste Zielgruppe der Neonazis seien Jugendliche, bestätigte Heye. Insbesondere in ostdeutschen ländlichen Gebieten sei der Zulauf der Jugendlichen zu rechtsextremen Vereinigungen hoch. "In einigen Gegenden ist die NPD die letzte Sozialstation für Jugendliche", erläuterte Heye. Mit intensiver Jugendarbeit und ihrem Ruf als "revolutionäre Protestpartei" komme sie bei den Jugendlichen gut an.

Bei einer Wahlumfrage zur letzten Bundestagswahl unter noch nicht wahlberechtigten Jugendlichen erhielt die NPD in Sachsen 12,7 Prozent, in Thüringen 9,4 Prozent, 7,1 Prozent in Sachsen-Anhalt und 6,1 Prozent in Brandenburg. Heye betonte aber, dass Rechtsextremismus kein allein ostdeutsches Problem sei, auch an den Stadträndern von Stuttgart und Köln seien ausländerfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen weit verbreitet.

Es gehe aber nicht nur um ideologische Fragen, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, betonte Heye. Bildung und Jugendarbeit müssten gestärkt werden, es fehle die Mindestausstattung einer "Bildungsrepublik", sagte er. "Um die schulischen Voraussetzungen für Integration und Chancengleichheit zu schaffen, braucht es eine Bildungsinvestition von 23 bis 25 Millionen Euro". Rechtsextremismus sei in erster Linie Teil einer besorgniserregenden Entwicklung, die zu Ungleichheit und dramatischen Problemen geführt hätten. Von Politik, Wirtschaft und Kultur forderte er ein Gipfeltreffen. Ulrich Wickert, Journalist und Unterstützer des Vereins, forderte finanzielle Mittel für Aussteigerprogramme. "Wenn schon welche aussteigen wollen, müssen sie dabei auch unterstützt werden", sagte er.

Heye warnte davor, rechten und linken Extremismus in einen Topf zu werfen. So soll das von der Bundesregierung finanzierte Projekt "Vielfalt tut gut - Jugend für Toleranz und Demokratie", das seit 2007 gegen Rechtsextremismus aufklärt und in diesem Jahr ausläuft, zwar weitergeführt werden, aber um Linksextremismus und Islamismus erweitert werden. "Damit besteht die Gefahr, Rechtsextremismus zu verharmlosen", sagte Heye.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

20 Kommentare

 / 
  • A
    Andy

    An Linker Gewalt ist nur Gewalt scheisse. An Rechter Gewalt ist ALLES schlecht.

  • U
    Uwe

    Linksextremismus sollte man auch nicht unterschätzen, warum müssen Autos angezündet werden um den Faschismus zu bekämpfen???

     

    Ich denke die Linksautonomen sind inzwischen zu dem geworden dass sie bekämpfen wollten.

  • X
    XChainsawX

    Schön wie auf Knopfdruck alle gleich wieder mit der sinnfreien Totalitarismustheorie nach der Bekämpfung von Extremisten schreien. Jaja die goldene Mitte ...... alles andere ist nur extrem ! Sobald von rechten Straftaten die Rede ist, muss sofort der Vergleich mit linken herangezogen werden.

    Ein Menschen "breit" zu schlagen (weil er als minderwertig angesehen wird) und ein Auto anzuzünden (weil immer mehr Sozialschwache vertrieben werden) ist definitv nicht das gleiche, wobei letzteres auch nicht unbedingt Sinn macht !

  • X
    xyz

    Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ein hingeschmiertes Hakenkreuz noch kein Indiz für eine rechte Straftat ist.

    Vor einiger Zeit wurde ein Synagoge mit einem Hakenkreuz beschmiert. Die Presse schrieb sofort von einem rechtsextremen Anschlag.

    Später kam raus, der Neonazi war ein Algerier.

     

    Die Statistikzählweise wurde im übrigen verändert. Früher wurden nur eindeutig zuordbare Anschläge von Rechten gezählt, heute ist das anders.

    So gesehen könnten auch Linksextreme in Ihrem antifaschistischen Kampf die Anzal der rechten Straftaten erhöhen, durch bloßes Beschmieren von Wänden.

     

    Manchmal glaube ich der Journalismus ist tot.

  • P
    PetraBerg

    Ist doch die gleiche Dummheit und Unmoral, einen Dönerladen anzuzünden, weil man nicht den Ausländer in der Nachbarschaft will, oder einen Geländewagen oder eine Villa anzuzünden, weil man keine reichen Nachbarn haben will.

     

    Gewalttätige Intoleranz muss der Staat bekämpfen. Egal ob mit rechtem, linkem oder religiös-fundamentalistischem Hintergrund.

  • T
    thomas

    die jugend provoziert,rebelliert naturgemäß gern gegen die wertevorstellung des bestehenden zeitgeistes .

    bietet da der belehrende kampf gegen rechtsextremismus nicht eine ideales auslebungsfeld der rebellion und fördert statt verhindert ??

  • N
    Nemo

    "Heye warnte davor, rechten und linken Extremismus in einen Topf zu werfen. So soll das von der Bundesregierung finanzierte Projekt "Vielfalt tut gut - Jugend für Toleranz und Demokratie", das seit 2007 gegen Rechtsextremismus aufklärt und in diesem Jahr ausläuft, zwar weitergeführt werden, aber um Linksextremismus und Islamismus erweitert werden. "Damit besteht die Gefahr, Rechtsextremismus zu verharmlosen", sagte Heye."

     

    das einzigste was hier verharmlost wird sind linksxetremismus und islamismus!

     

    wie kann man sich nur so gegen eine längst überfällige erweiterung im (wichtigen) kampf gegen intoleranz und extremismus sträuben? oder gehts den herrschaften nur um IHRE idiologie und kohle?!

  • P
    Petra

    ...auch an den Stadträndern von Stuttgart und Köln seien ausländerfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen weit verbreitet..

    Vieleicht sollte sich Herr Heye mal mit den Jugendlichen unterhalten, wie es zu diesen Einstellungen kommt. Mir berichten Jugendliche immer wieder über ihre schlechten Erfahrungen mit Ausländern. Daraus ergeben sich nunmal ablehnende Haltungen. Geht mal an Schulen mit hohen Migrantenanteil oder nehmt mal an Fußballspielen gegen türkische Jugendliche teil. Dannach wird sich die ein oder andere Einstellung verändern. So wie sich in weiten Teilen Migranten und Ausländer in diesem Land benehmen wundern mich solche Studien nicht mehr.

  • S
    SMT

    Was den hier los? Gar keine "Die linken sind viel schlimmer weil die mit den islamisten tagtäglich überall terroranschläge mit dutzenden von opfern machen" Kommentare? Wie langweilig. die Kommentarspalte ist auch nicht mehr das was sie mal war. ;-)

  • M
    Marcus

    Rechte Gewalt ist schlimmm...Linke Gewalt genauso...also ist eine gleiche Betrachtung absolut notwendig und seit Jahren überfällig!!! Es muss Projekte gegen Gewwalt geben... eine neue Sichtweise ist notwenig...Gegen Extremisten ob Recht oder Links oder Islamisten!!! Insbesondere Rechte und Linke haben bereits Millionen Opfer in den letzten Jahrzehnten auf der Welt gekostet!

  • N
    Nonamenoblame

    Kampfgenosse Schily hat wirklich ganze Arbeit geleistet !

     

    Hurrah !

  • D
    DenkSchlächter

    „Die Zahl der rechtsextremen Delikte hat sich seit 2001 verdoppelt. „

    Ist das gewollt oder warum ist das möglich?

  • C
    Claudia

    Der Heye hat ja mit seinem "No-Go-Area"-Schwachsinn schon gezeigt, welche geistige Flachzange er ist. So einen sollte eine seriöse Zeitung nicht zitieren.

  • D
    dieLINKE

    offensichtlich hat man den "hanschuh" der kampfansage gegen rechtsextremismus aufgenommen . kein "waffengang" bleibt ohne gegenwehr . es sei denn , die schmiereien sind eine art "sender gleiwitz" schließlich ist auch der linksradikalismus(antifaschismus) zurecht in negative schlagzeilen geraden .vielleicht wäre es sinnvoller, strafbestanderfüllende machenschaften der polizei zu überlassen und unerwüschte ansichten -in achtung des grundgesetzes - als meinungsfreiheit hinzunehmen.

    miteinander leben , nicht gegeneinander

  • K
    Kulgan

    Wie viele Linksextreme Gewalttaten gibt es im Vergleichbaren Zeitraum?

  • M
    Marianne

    Warum wird Rechtsextremismus verharmlost wenn man gegen die anderen Formen des Extremismus auch angeht?

     

    Tut mir leid aber nur weil es von links kommt werde ich kein Verständnis für Straftaten zeigen.

  • R
    Rolf

    Gratulation mit diesem Artikel haben sie gerade Islamismus verharmlost.

     

    Linksextremismus ist leider auch nicht mehr so harmlos wie sie es gerne hätten.

  • HS
    Holger Schmid

    Sogar Petra Pau von der Neuen Stasipartei glaubt die verschwurbelten Ammenmärchen aus der taz-Redaktion nicht mehr.

  • O
    Oi!=mc2

    Das Problem im Osten ist aber nach wie vor -und im Gegensatz zum Westen- dass die rechte Szene hier auf eine billigende Einstellung bei vielen Bürgern und Duckmäusertum auf Seiten der Loaklpolitiker trifft. Da hat sich seit Rostock eigentlich wenig verändert...

    Die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt empfehle ich bei der Nivellierung von Rechts- und Linksextremismus mal gegeneinander aufzuwiegen:

    13O Tote als Bilanz der rassistischen Gewalt gegen 34 Opfer der Roten Armee Fraktion zwischen 1971 und bis zur Auflösung der RAF 1993. Da wurde ein Riesen Anti-Terror Apparat in Bewegung gesetzt.

    Beim vorliegenden Problem bleiben die politischen Verantwortlichen weitgehend regungslos, labern ohne Ende von Terrorbekämpfung und kämpfen gegen ein Phantom, dem Islamistenterror. Der wirkliche Terror jedoch, der sich gegen Mitbürger mit Migrationshintergrund oder Antifaschisten wendet, und auf unseren Strassen stattfindet, wird allzu schnell kulturalisiert, zum sozialen Problem gemacht und mit irgendwelchen pseudo-aufrechten Initiativen ausgeschmückt. Ich will hier nicht behaupten, dass der rechte Terror von irgendjemand billigend in Kauf genommen wird, aber es scheint so, als könnten die politisch Verantwortlichen sehr gut damit leben.

    So lange die Anschläge der Rechten keine Politiker treffen...

  • H
    HamburgerX

    Jemand, der einen Dönerimbiss anzündet, weil er keine Ausländer in der Nachbarschaft will, ist für mich genau so verachtenswert, wie jemand, der Häuser oder Autos anzündet, weil er keine wohlhabenden Nachbarn in seinem Viertel haben will. Diese Art der Intoleranz ist immer dumm, egal, welches Etikett ihr zugeschrieben wird.

     

    Daher finde ich, dass durch Heyes Äußerungen und sein einseitiges Wegsehen eher der Linksextremismus verharmlost wird. Seine fragwürdigen Erhebungsmethoden sollten auf dem Gipfel auch mal besprochen werden. Da gilt man ja schon sinngemäß als ausländerfeindlich, wenn man den Islam nicht als bewundernswerte Kultur betrachtet etc.

     

    Warum auch kein Wort zu den deutlich gestiegenen linksextremen Gewalttaten? Die sind doch mittlerweile auf dem Niveau der "Gegenseite".

     

    Das schon alleine zeigt: Gewalt gegen Unschuldige ist eine Aufgabe von Staat und Zivilgesellschaft, die alle ideologisch-radikalen Motive erfassen muss, um glaubwürdig zu bleiben.