Kriminalitätsbekämpfung in El Salvador: Kein „Smoking“ für Gefangene
Präsident Bukele kämpft per Ausnahmezustand gegen kriminelle Banden. Menschenrechtler kritisieren die Sicherheitskräfte.
Präsident Nayib Bukele reagierte schnell und setzte die Zustimmung des Abgeordnetenhauses für den Ausnahmezustand durch. „Wir sind mit Ihnen, zählen Sie auf uns“, erklärte Parlamentspräsident Ernesto Castro. 67 der 84 Abgeordneten stimmten zu.
Obwohl zunächst auf 30 Tage befristet, ist der Ausnahmezustand bis heute gültig. Monat für Monat wurde er vom Parlament verlängert, das von Bukeles Partei Nuevas Ideas dominiert wird. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf geschützte Kommunikation sind seither ausgesetzt. Sicherheitskräfte können Menschen ohne Begründung festnehmen und ohne richterliche Anweisung inhaftieren.
Über 65.000 Mitglieder der Banden Barrio 18 und Mara Salvatrucha 13 (MS13) wurden seither festgenommen. Etwa 3.000 Gefangene seien wieder freigelassen worden, sagt Bukele.
Allein in den ersten 7 Monaten starben 90 Menschen in Haft
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht von „willkürlichen Festnahmen, erzwungenem Verschwindenlassen sowie Folter und Misshandlungen im Gefängnis“. Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. „Sowohl Soldaten als auch Polizisten verübten über Monate hinweg wiederholt ähnliche Übergriffe im ganzen Land“, so HRW. Allein bis November 2022 seien 90 Menschen in Haft gestorben.
Bukele, der vor allem über Twitter kommuniziert, kratzt die Kritik nicht. Er schüttet vielmehr noch Öl ins Feuer. „Soll die böse Diktatur den Gefangenen einen Smoking geben?“, erklärte er zu Vorwürfen über die Behandlung der Häftlinge. Und: „Jetzt gleich ziehen wir Geld vom Haushalt für Kinderkrankenhäusern ab, um ihnen Schuhe zu kaufen.“ Internationale Kritiker*innen seien „Partner der Banden“.
Immer wieder verbreitet er Fotos, auf denen die Demütigung zur Schau gestellt wird: aneinandergedrückte tätowierte Körper in weißen Unterhosen auf dem Boden kniend oder wie Vieh durch vergitterte Gänge getrieben.
Auch als Bukele vor zwei Wochen das Hochsicherheitsgefängnis Cecot eröffnete, in dem 40.000 mutmaßliche Maras einsitzen sollen, machten solche Aufnahmen die Runde. Per Twitter verschickte er ein Video, das die erniedrigenden Bilder mit dramatischer Musik inszeniert. „Sie werden das Licht der Sonne nicht mehr sehen“, so Bukele.
Repressiver Präsident inzeniert sich als cooler Typ
Das repressive Vorgehen des 41-Jährigen, der sich gerne im lockeren Outfit und mit Basecap als coolen Typen zeigt, kommt an. Zwischen 80 und 90 Prozent der Bevölkerung stehen Umfragen zufolge hinter ihm, 70 Prozent befürworten seine Wiederwahl 2024, obwohl die Verfassung das nicht vorsieht.
Dass die Partei Nuevas Ideas durch ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament unabhängige Institutionen geschwächt und die Richter der Verfassungskammer des Obersten Gerichts ausgetauscht hat, schadet der Zustimmung nicht.
Das ist kaum verwunderlich. Jahrelang haben „Barrio 18“ und „Mara Salvatrucha 13“ die Menschen terrorisiert. Sie mordeten, kassierten Schutzgeld und verkauften Drogen. Nicht wenige Väter flüchteten mit ihren Söhnen Richtung USA, um zu verhindern, dass diese von den Banden rekrutiert oder getötet werden.
Bukeles „Politik der harten Hand“ konnte der Macht der Kriminellen Grenzen setzen. Lange Zeit galt das Land als eines der gefährlichsten weltweit. 2015 wurden im Jahresschnitt 103 Menschen pro 100.000 Einwohner ermordet. Heute sind es noch 7,8. Zum Vergleich: in Mexiko sind es 12, in Deutschland lag die Zahl 2021 bei 0,3. Immer wieder verkündet Bukele auf Twitter stolz Tage, an denen niemand eines gewaltsamen Todes starb.
Die Mordraten gingen drastisch zurück
Bereits 2019, dem ersten Jahr seiner Amtszeit, gingen die Mordraten in dem 6,3-Millionen-Einwohner-Land deutlich zurück. Wie das salvadorianische Portal El Faro aufdeckte, beruhte das auf einem Abkommen zwischen Bukele und den Banden: Die „Pandillas“ verzichteten auf Gewalt, dafür wurden Haftbedingungen verbessert, Inhaftierte freigelassen und die Polizeipräsenz in den Barrios verringert.
Doch im März 2022 war damit Schluss. Die Banden beklagten, dass Mitglieder wider die Absprachen verhaftet worden seien. Seither setzt Bukele auf „Krieg gegen die Terroristen“.
Kritiker*innen bezweifeln einen langfristigen Erfolg der Repression. Denn Gefängnisse seien immer wichtige Rekrutierungsorte für die Gangs gewesen.
El Faro sieht in den Banden den ungeschminkten Ausdruck einer zerstörten Gesellschaft, die von fehlender Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit geprägt sei. Daran habe sich unter Bukele nichts geändert.
„Die Demokratie war für die arme Bevölkerung El Salvadors über Jahrzehnte hinweg, wenn überhaupt, etwas Abstraktes“, erklärte das Blatt, „die Banden dagegen waren jeden Tag in erdrückender Weise präsent.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl