Kriminalität und Sport in Italien: Banales für die Bosse
Italiens Mafia nutzt eine interaktive Sportshow, um mit inhaftierten Clanchefs zu kommunizieren. Fußball und organisierte Kriminalität berühren sich in Italien öfters.
PALERMO taz | "Alles okay, Paolo" - diese in der interaktiven Fußballshow "Quelli che il calcio e…" des italienischen Staatsfernsehens RAI eingeblendete SMS bezog sich nicht auf das Befinden des auch hierzulande wegen seiner prognostischen Fähigkeiten geliebten Oktopus Paul. Nein, die harmlose Kurzmitteilung war an einen im verschärften Haftregime des Paragrafen 41b einsitzenden Mafioso gerichtet.
Dies teilte der frühere Antimafia-Staatsanwalt Enzo Macrì bereits bei einer parlamentarischen Anhörung im Mai mit. In der Hitze des Saisonfinales ging die Meldung darüber unter. Frisch zu Beginn der neuen Spielzeit schlägt sie jedoch Wellen in Fußball-Italien.
Die RAI sah sich genötigt, jede Verantwortung für das missbräuchliche Benutzen ihrer Infrastruktur zurückzuweisen. Aus den über 200.000 SMS, die die Sendung im Laufe der Saison erreichen, würden nur 0,001 % benutzt, erklärte ein Sprecher. Verantwortlich für das Management sei zudem eine Fremdfirma: "NeoNetwork entfernt mit Hilfe einer Software alle vulgären Wendungen. Ein Operator entscheidet dann, welche SMS gesendet werden."
Die Botschaften an die Mafiosi hatten gute Chancen, auf den Bildschirmen zu erscheinen, denn sie waren neutral formuliert. "Wir haben uns über die Banalität der Meldungen gewundert", meinte Ex-Staatsanwalt Macrì in der Tageszeitung Repubblica. Hinter den harmlosen Phrasen verbürgen sich allerdings "präzise Informationen für die Bosse".
Für Mafiosi ist es nicht neu, nach versteckten Kommunikationswegen zu suchen. Camorra-Paten haben in und um Neapel einige Lokalblätter in der Hand, die Leserbriefe und Kommentare voll von Handlungsanleitungen abdrucken. Im kalabresischen Rosarno schickte Radio "Olimpia" in seinem Musikprogramm verschlüsselte Botschaften in den Knast.
Wenn Familienangehörige sich beim Haftbesuch treffen, dann sind Mitteilungen über das Befinden einzelner Personen oft Befehle für Morde oder Einschüchterungsversuche. Eine Art analoges SMS-System für komplexere Kommunikation hat die Gefängnisverwaltung vor einigen Wochen entdeckt. Die Beamten wunderten sich, warum einige Mafiosi permanent die Wasserflaschen in ihren Händen drehten. Des Rätsels Lösung: Die Inhaftierten wiesen bei jeder Drehung auf einen bestimmten Buchstaben auf dem Etikett der Flasche hin. Ihr Gegenüber konnte sich so Zeichen für Zeichen die Nachricht zusammensetzen.
Die SMS in der Fußballsendung stellen nur einen Baustein im Kommunikationsnetzwerk der organisierten Kriminalität dar. Mit dem Fußballgeschäft verbindet die Mafiosi dennoch einiges. Das Geschäft mit Fanschals, Trikots und Lastminute-Tickets für die Spiele der Serie A - nach den offiziellen Regelungen muss man sie einige Tage vorher vorbestellen und gegen Vorlage eines Ausweises erwerben - ist nach Meinung der Staatsanwaltschaften Palermo, Neapel und Reggio Calabria fest in der Hand der Mafia-Organisationen.
In Palermo leistete sich die Cosa Nostra sogar einen eigenen Spielerberater. Er hatte sich die Rechte an einigen Nachwuchsspielern gesichert. Ein abgeschnittener Ziegenkopf vor der Haustür des damaligen Sportdirektors des US Palermo sollte seinen Zöglingen einen schnelleren Aufstieg in die A-Mannschaft bescheren. Diese Praxis flog vor zwei Jahren auf.
Eine besonders pikante Begegnung zwischen Fußball und Mafia gab es im Palermo der 60er und 70er Jahre. Der Rechtsanwalt Marcello DellUtri engagierte sich damals sehr im Fußballclub Bacigalupo. Weil dieser Klub der Begüterten in einem der ärmeren Viertel Palermos beheimatet war, engagierte DellUtri den stadtbekannten Mafioso Vittorio Mangano als Platzwart.
Er beschützte unter anderem den Sohn des Arztes Gaetano Cinà und des Rechtsanwalts Piero Grasso. Grasso senior ist inzwischen oberster Antimafiastaatsanwalt. Cinà senior war erst Hausarzt des Oberbosses Toto Riina und stieg später selbst in der Mafia-Hierarchie weit nach oben. DellUtri begründete mit Silvio Berlusconi Fininvest. Er ist heute Senator (für die Berlusconi-Partei) - und parallel wegen Mafia-Aktivitäten zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Mangano schließlich wurde Hausmeister in Berlusconis Villa Arcore - und wird von diesem heute noch als "Held" verehrt.
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