Kriegskunst aus Russland: Die ultraleichte Geheimwaffe
Ein Russe stellt aufblasbare Raketen, Waffen und sogar Panzer her. Sie werden auch im Krieg genutzt. Nur gegen den Wind sind sie nicht gewappnet.
CHOTKOWO taz | Das Erfolgsgeheimnis Alexander Talanows beruht auf der Kriegskunst des chinesischen Meisters Sun im 8. Jahrhundert: "Chu qi zhi sheng", zu Deutsch: "Außergewöhnliches erzeugen und so den Sieg erringen". Im Krieg und in der Liebe ist jede List ausdrücklich erlaubt.
Der studierte Raketenbauer ist neben der Armee wohl der Hüter des größten Rüstungspotenzials in Russland. Zu seinem Arsenal gehören Kampfjets vom Typ MiG, Panzer der T-Reihe, Truppentransporter und S-300 Raketenabwehrsysteme. Im Unterschied zur Armee braucht der Moskauer Rüstungsproduzent für das schwere Gerät indes nur wenig Stellplatz. Talanows Kriegsgerät ist faltbar und leicht zu transportieren. Eine Viertelstunde reicht, um aus einem schlaffen Rumpf ein pralles luftgestütztes Raketenensemble zu zaubern. Nur dem Wind ist das System nicht gewachsen.
Die Firma Rusbal (Russischer Ballon) hat sich auf Attrappen spezialisiert. Die Idee kam dem begeisterten Heißluftballonfahrer Talanow Anfang der 90er Jahre. Die Sowjetunion war zusammengebrochen und der Armee das Geld für echte Hardware ausgegangen. Anfangs wurde das Kriegsgerät noch aus Gummi geklebt, inzwischen verarbeiten die 50 Näherinnen in der Rüstungsschneiderei in Chotkowo im Moskauer Umland den noch leichteren Stoff Oxford-420. Rusbal ist Monopolist für ultraleichte Rüstung in Russland. Die Herstellung ist geheim. "Über Menge und Preis der Lieferungen an das Verteidigungsministeriums darf ich nichts sagen", schmunzelt Talanow. Nur das Gewicht der Faltprodukte ist kein Geheimnis. Ein MiG-Fighter bringt es auf 250 Kilogramm, ein Panzer auf 90.
Dem echten Waffenarsenal sieht das aufblasbare täuschend ähnlich. Dafür sorgen Dozenten von der Militärakademie, die die Designer Rusbals auf dem neuesten Stand halten. Im Krieg gegen Georgien 2008 sollen die illusionären Luftnummern die feindliche Abwehr erfolgreich getäuscht haben, berichtete zumindest die russische Presse. Auch das Ausland bekundete großes Interesse an der Faltarmada, vor allem Staaten aus dem Mittleren Osten.
Der russische Rüstungsexporteur "Rosoboroneksport", über den das Geschäft abgewickelt werden müsste, untersagt jedoch den Attrappenhandel. Seit der Wirtschaftskrise sind auch die Bestellungen der russischen Armee gesunken. Nur noch ein Drittel der Einnahmen stammen aus dem Wehrhaushalt. Den Großteil erwirtschaftet Rusbal durch Hüpfburgen, Spielgeräte und allerlei Reklameobjekte. Auf diesem Gebiet trifft das Unternehmen auf harte Konkurrenz aus China, die Meister Suns Empfehlung in den Wind schlägt: Sie kopiert, statt Außergewöhnliches zu produzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung