Kriegenburg inszeniert Lessing-Klassiker: Galotti ohne Gewalt

Andreas Kriegenburg hat "Emilia Galotti" in Magdeburg inszeniert - über weite Strecken traumtänzerisch, aber ohne Morde.

So satt von der Welt wie Cobain nach seinem letzten Drogenexzess: der Prinz von Guastalla. Bild: Hans-Ludwig Böhme

Emilia Galotti, wir vergessen dich nicht. Das Drama um eine junge Frau, die von einem Prinzen entführt wird und sich am Ende aus Scham über die eigene Verführbarkeit vom ehrpusseligen Vater umbringen lässt, lesen Jahr für Jahr Schulklassen und Deutschleistungskurse. Lessing ist immer noch Stoff für das Zentralabitur. Mit Lessings Trauerspiel wird der Weg gefunden, sich die Epoche der Emanzipation des Bürgertums vorzustellen, als ein rigider Moralbegriff zu einem Instrument der Abgrenzung vom Adel wurde und die Gefühlswelt in einen harten Griff nahm.

Kein Wunder also, dass viele Bühnen in kleinen und großen Städten "Emilia Galotti" auf den Spielplan setzen. Wenn dafür aber Andreas Kriegenburg, angesehen für seine die historischen Horizonte der klassischen Theatertexte ausweitenden Arabesken, nach Magdeburg kommt, in das aufstrebende Theaterhaus seiner ehemalige Heimatstadt, erwartet man schon Besonderes.

Was fängt man mit dieser Emilia heute auf der Bühne an, deren Einwilligen in den eigenen Tod am Ende umso mehr als nicht hinzunehmende Anpassung an die Normen des Vaters scheint, je mehr man sie vorher um ihrer Stärke und Eigenwilligkeit liebgewonnen hat. Und Emilia, in Magdeburg von Melanie Straub gespielt, gewinnt einen schon, bevor das Drama beginnt. "Ich-Emilia" malt sie etwas linkisch in großen Buchstaben auf einen eisernen Vorhang, mit sehr großem I am Anfang und dann zunehmend verzagt bis zum kleinen a. Sie erläutert ein wenig entschuldigend: "Ich fange ganz groß an und werde dann immer kleiner."

Das entpuppt sich im Laufe des Abends als doppelte Vorhersage: Denn einerseits sehen wir, wie der schmale Raum von Emilias Handlungsfreiheit Stück für Stück eingeengt und zerstört wird und von dem Mädchen, das am Anfang so gewitzt, verschmitzt, liebenswürdig und klug vor uns stand, immer weniger übrig bleibt. Andererseits wird die Inszenierung selbst dabei von einem großzügigen Spiel, das hier und heute stattfindet, zu einem Stück Theater, das vor allem auf die Geschichte zurückverweist.

Es scheint, als ob der Kontext, dessen sich die Schauspieler bedienen können, um ihren Rollen Leben zu verleihen, zunehmend auf die Entstehungszeit des Dramas zurückschrumpft. Denn nur dort ist das Ende zu verstehen.

Das stößt einem in diesem Drama immer wieder bitter auf, auch in der Magdeburger Inszenierung, die gegen Ende immer härter um die Anteilnahme des Publikums kämpft. Anfangs hat sie gar keine Mühe gehabt, in die Welt des Prinzen von Guastalla hineinzuziehen, der wie ein lebensmüder Popstar nach dem letzten Drogenexzess durch eine großzügige Suite taumelt, deren Wände mit goldenen Songzeilen ("Im worse at what I do best / and for this gift I feel blessed", Kurt Cobain) beschrieben sind. Marinelli singt das für ihn, sein Kammerherr, der so gern bis in die intimsten Winkel seines Prinzen vordringen würde, aber nicht darf. Dass er aus Zurückweisung böse werden wird, ahnt man bald. Und ebenso schnell ist man zu Hause im Gefühlshaushalt der patenten Eltern Emilias, die mit beiden Beinen auf der Magdeburger Erde zu stehen scheinen. Die Zukunft ihrer Tochter betrachten sie zunächst durchaus beflügelt, sind deren Aussichten doch damit verbunden, von hier wegzukommen und mehr von der Welt zu sehen.

So schön und sicher zeichnen die Schauspieler diese Milieus allein durch den Umgang mit der Sprache und ihrer körperliche Präsenz. Und doch erklärt sich daraus das Drama nicht, das sich ereignet. Die unerhörte Gewalt, die Morde, die der Prinz in schlafwandlerische Abkehr von der eigenen Verantwortung von Marinelli ausüben lässt, um an Emilia heranzukommen, scheinen in anderen Welten als der auf der Bühne stattzufinden. Deshalb bleibt die Inszenierung eine zwar über weite Strecken traumtänzerisch leichte Berührung durch den Klassiker, die einen am Ende aber doch mit dem beruhigten Gefühl entlässt - gut, dass diese Zeiten hinter uns liegen und wir ihnen nur noch auf dem Theater begegnen.

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Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin.

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