Krieg in der Ukraine: Ohne Pass und ohne Perspektive

Es sind nicht nur Ukrainer, die flüchten. Naveed lebte in Charkiw und Fatemas Familie flüchtete nach Ternopil. Alle sind aus Kabul und stecken nun fest.

Ein Junge in einem Raum spielt mit Seifenblasen

Etwas Ablenkung finden – in der Flüchtlingsaufnahme von Korczowa Foto: Jakub Porzycki/Agencja Wyborcza/reuters

KORCZOWA taz | Naveed stammt ursprünglich aus Kabul. Vor 15 Jahren verließ er sein Land, um in der Ukrai­ne zu studieren. Er suchte aber auch ein besseres und sicheres Leben, bekennt er. Nach dem Studium fand er eine Anstellung als Lagermanager, hatte ein stabiles Einkommen und ein gutes Leben. Die Ukraine sei zu seiner Heimat geworden. Er hat in Charkiw gelebt; der Stadt, deren Herz nun in Schutt und Asche liegt.

Während des Gesprächs sitzt Naveed auf einem Feldbett mitten im Getümmel aus Helfern und Geflüchteten. In einer Halle des Handels- und Einkaufszentrums „Dolina“, acht Kilometer vom Grenzübergang Korzcowa entfernt, wurde eine provisorische Unterkunft eingerichtet. Mehr als 500 Menschen können hier vorüber­gehend eine Bleibe finden.

Neben Naveed sitzen zwei junge Frauen, eine davon eingewickelt in einer dicken Decke. Trotz der vielen Menschen ist es relativ kühl in dem Gebäude, das bis vor wenigen Tagen bis auf einen Supermarkt im hintersten Teil völlig leer stand. Nebenan im Flur hat sich eine Menschentraube gebildet. An einem kleinen Tisch sitzen zwei usbekische Konsulatsmitarbeiter und registrieren ihre Landsleute, damit sie zügig per Bus nach Warschau und weiter in die Heimat reisen können.

Krieg ist überall Krieg

Für Naveed und seine Familie gibt es keine so einfache Lösung. Noch weiß er nicht weiter. Ob es einen Unterschied zwischen der Flucht aus Afghanistan und der Flucht aus der Ukrai­ne gegeben habe? Er muss nicht lange überlegen. „Es gibt keinen Unterschied“, sagt er. „Der einzige Unterschied ist, dass es ein anderes Land ist. Der Krieg hier ist wie Krieg dort.“ Die Angst sei dieselbe und die Gefahr auch. Und noch eine Gemeinsamkeit gebe es: „Ich habe beide Male meine Heimat verloren. Es war dasselbe Gefühl, als ich das Land verlassen habe.“

Auch wenn er noch keine konkrete Perspektive hat, Naveed ist jedenfalls im sicheren Polen. Für die Familie von Fatema Hosseini sieht es ganz anders aus. Die afghanische Journalistin hat nach der Machtübernahme der Taliban ihre Heimat verlassen. Sie wurde in die USA evakuiert und hält sich heute dort auf. Am Telefon sagt sie: „Ich wollte nicht alleine gehen. Ich wusste, dass mein Vater gefährdeter ist als ich, weil er elf Jahre lang für das afghanische Militär gearbeitet hat.“

Ihr damaliger Arbeitgeber drängte sie, Schutz in der Ukraine zu suchen. Ihre Familie, die Eltern, der 18-jährige Bruder und die zweijährige Schwester, durfte eine Woche später folgen. Dann begann das Chaos. Denn Fatemas Schwester lebte zu diesem Zeitpunkt bereits länger in Kanada. Sie wollten alle dorthin. Das Land schien der bessere Ort zu sein als die Ukraine. Alles war vorbereitet, sie hatten sogar eine Wohnung. Alles sah gut aus. Doch dann kam die finale Zusage doch nicht.

Gefangen in Bürokratie

Fatema Hosseini erzählt: „Es hieß, wir hätten einen Fragebogen per Mail bekommen und noch nicht beantwortet. Aber es gab keine Mail.“ Einen Monat habe es gedauert, bis die Mail auf mehrere Nachfragen hin dann doch endlich eingetrudelt sei. Es habe sich um Nachfragen zu ihrem Vater gehandelt, was genau dieser beim Militär getan habe, ob er Menschen getötet habe.

„Zum Glück hat er das nie“, sagt Hosseini. Eigentlich sollte damit der Ausreise nichts mehr im Weg stehen. Nur noch zwei Wochen Bearbeitungszeit lagen vor der Familie. Und dann brach der Krieg aus. Die Familie sitzt nun in Ternopil fest, rund fünf Stunden mit dem Bus von der Grenze. Das heißt, wenn überhaupt noch einer fährt. Und ihre Pässe liegen auf dem „Migration Office“ in der Kanadischen Botschaft in Kiew.

Fatema Hosseini sucht einen Weg, ihre Familie aus der Ukraine zu holen. „Kanada fühlt sich nicht zuständig“, klagt sie. „Sie sagten mir an der Notfallnummer der Botschaft, sie könnten nichts tun, da meine Familie keinen Aufenthalts­titel für Kanada hat.“ Hosseini ist ­ratlos. „Und dann sagten sie mir, eigentlich seien sie nur für kanadische Staatsbürger verantwortlich.“

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