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Krieg in SyrienDie Armee verstärkt Luftangriffe

Das Regime setzt im Kampf gegen die Rebellen zunehmend auf die Luftwaffe. In den von ihnen kontrollierten Orten nehmen die Angriffe zu. Opfer sind meist Zivilisten

Marea nach einem Luftangriff. Bild: dapd

MAREA taz | Es ist kurz nach sieben Uhr morgens, als der Kampfjet über Marea donnert, Sekunden später explodiert unter ohrenbetäubendem Lärm eine Bombe, eine dicke graue Rauchwolke steigt auf. Nur wenige Minuten später folgt der nächste Luftangriff, wieder eine Bombenexplosion, wieder eine dicke Rauchwolke.

Getroffen wird ein Wohnviertel im Osten der rund 8.000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Ein Haus ist vollständig zerstört, durch die weggerissene Außenwand des Gebäudes sieht man die Küche, seltsam intakt liegt eine lila Plastikschüssel auf dem metallenen Küchenbecken zwischen Steinbrocken. Von dem Haus auf der Straßenseite gegenüber ist nur noch das schwere Betondach übrig. Überall liegen Trümmer und verbogenes Metall.

Männer haben sich vor den Häusern versammelt. Ein Mann und ein Kind wurden getötet. Einige filmen die Zerstörung. „Das ist die Rache des Regimes, weil die Soldaten desertieren und sich der freien Armee anschließen“, sagt ein Mann, der sich Abu Ahmed nennt. „Freie Armee“ nennen die Regimegegner den Zusammenschluss der Rebellen in der Freien Syrischen Armee (FSA). Die Männer beteuern, dass es in der Nähe der getroffenen Wohnhäuser keine Rebellenstellungen gebe. Beurteilen kann man das nicht. Schwere Waffen sind bei einem Rundgang jedoch keine zu sehen.

Aktuelle Entwicklungen

Die für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa hat Kampfpausen im syrischen Bürgerkrieg gefordert, um die notleidende Zivilbevölkerung zu versorgen. Die EU-Kommissarin reagierte auf einen wachsenden Strom von Flüchtlingen. Mindestens 2,5 Millionen Menschen in Syrien benötigten humanitäre Hilfe, mindestens 1,2 Millionen seien Vertriebene im eigenen Land, sagte Georgiewa. „Da Aleppo und Damaskus keine sicheren Gebiete mehr sind, gibt es nur noch außerhalb des Landes Hoffnung auf Sicherheit.“ Dies bedeute, dass im Libanon, in Jordanien und auch in der Türkei immer größere Probleme entstünden. „Hilfe innerhalb Syriens ist wichtig für jene, die im Konflikt gefangen sind, aber sie ist auch wichtig, um Auswirkungen auf die Nachbarländer zu reduzieren“, sagte sie.

Russland beschuldigte den Westen, für die Syrien-Krise mitverantwortlich zu sein. „Unsere westlichen Partner haben noch immer nichts getan, um die Opposition zu einem Dialog mit der Regierung zu bewegen“, teilte das Außenministerium in Moskau der Agentur Interfax zufolge mit. „Sie stiften sie stattdessen offen dazu an, den bewaffneten Kampf fortzusetzen“, hieß es. „Es ist klar, dass mit diesen Methoden eine politische Lösung der Krise unmöglich ist.“

Insgesamt starben am Mittwoch nach unbestätigten Angaben der Opposition mindestens 80 Menschen, darunter 54 Zivilisten. Am Vortag hatten die Gegner von Präsident Al-Assad landesweit mehr als 250 Tote gezählt, unter ihnen 51 Angehörige der Regierungstruppen.

Seit Ausbruch der Kämpfe in Aleppo vor mehr als einem Monat setzt das Regime von Baschar al-Assad im Kampf gegen die Rebellen immer häufiger die Luftwaffe ein. Dabei griff sie mehrfach auch die Städte und Dörfer in der Region nördlich und östlich von Aleppo an. Als am Sonntag die drei Festtage zum Auftakt des Ramadan begannen, sprachen Rebellen von einer Waffenruhe. Sie währte jedoch nur wenige Stunden.

Bombenangriffe mit Kampfjets

Bereits am Montag griffen Kampfjets die nordöstlich von Aleppo gelegene Kreisstadt al-Bab an. Dabei wurde wie in Marea ebenfalls ein Wohnhaus getroffen. In der Nacht von Montag auf Dienstag intensivierte die Luftwaffe die Bombardierungen noch einmal. Eine Stunde lang konnte man um Mitternacht in der gesamten Region zwischen Asas, Marea und al-Bab die dumpfen Explosionen von Bomben hören. Auf einer Straße bei Marea wurde nach Auskunft von Einheimischen eine dreiköpfige Familie schwer verletzt, als ihr Wagen von einer Rakete getroffen wurde.

Im zehn Kilometer entfernten Tall Rifat bombardierte die Luftwaffe am Montag eine Grundschule, die bis vor Kurzem den Rebellen als Basis diente. Kurze Zeit später fahren Kämpfer mit einem Lastwagen vor, auf dem ein Luftabwehrgeschütz montiert ist. „Sie sollten nicht mit schweren Waffen in Wohngebieten auffahren“, sagt ein Familienvater. „Damit liefern sie nur dem Regime einen Vorwand für die Bombenangriffe.“ Tall Rifat wirkt wie eine Geisterstadt. Die meisten sind geflohen.

Auch in Marea packen am Dienstag einige ihre Sachen. Eine Familie fährt mit einem Traktor, bepackt mit Hausrat, in Richtung türkische Grenze. Zwei Männer preschen auf einem Moped mit Matratzen davon. Doch viele wollen trotz der Angriffe bleiben.

Es sind Orte wie Marea, die das Rückgrat der Aufständischen in Aleppo bilden, von hier bekommen sie Nachschub und hierher können sie sich zurückziehen. Deshalb werde die Gegend bombardiert, räumte ein Regimevertreter am Dienstag ein. „Sie werden uns wahrscheinlich wieder bombardieren“, sagt Abu Ahmed vor den Ruinen der ausgebombten Häuser. „Wir werden kämpfen, bis wir unsere Freiheit erlangt haben.“ Am Dienstagmorgen folgt die nächste Bombardierungswellle.

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5 Kommentare

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  • US
    Usbekistan, Swasiland oder was?

    Um welchen autokratischen Staat dieser Erde geht es hier? Es muß sich um ganz besonders privilegierte Bürger handeln, da man so besorgt ist, und für sie sogar einen größeren Krieg riskiert. Waffen und Terroristen werden eingeschleust um den Aufstand am Leben zu erhalten und gleichzeitig die Bevölkerung ins Jenseits zu befördern. Eine Berichterstattung die von Opfern unter der Zivilbevölkerung spricht macht deutlich, dass es sich hier wirklich um eine neue Form von Krieg handeln muss.

  • A
    Ant-iPod

    @Bernd Goldammer:

     

    Ich teile Ihre Einschätzung der syrischen Opposition in keiner Weise, aber wenn Sie schon den Vergleich zu bsw. Deutschland aufmachen, dann werden Sie sicher nicht bestreiten, dass wir hier Institutionen, Parteien und eine staatliche Organisation haben, mit Hilfe welcher wir die Probleme unseres Landes weitgehend Gewaltfrei lösen können.

    Dazu gibt es politische Prozesse - die zwar nicht bei Gefahr im Verzug helfen, aber die anstatt Symptome zu bekämpfen die Ursachen für einen Konflikt ermitteln und durch die man die Probleme aufgreifen und lösen kann.

     

    Dies ist in Syrien aber nicht der Fall.

     

    Hier würde eine akute Gefahr sicher durch die Polizei direkt bekämpft werden - wobei auch da die Strategie der Gewaltvermeidung stets vorrang hat. Hier würde man aber innerhalb von 16 Monaten längst politische Antworten gefunden haben.

     

    Nicht so in Syrien.

     

    Syrien ist eine Diktatur; ein vom Vater eingesetzter Sohn ohne jegliche Legitimation durch das Staatsvolk herrscht mittels Gewalt und Unterdrückung.

    Er und sein Clan, sowie seine Günstlinge bereichern sich persönlich, als wäre Syrien ihre Farm - googlen Sie dazu bitte die Vermögenswerte der Assads und Machloufs und vergleichen Sie mit üblichen Präsidentenapanagen.

    Prüfen Sie, welche Positionen in Staat und Wirtschaft von Familienmitgliedern besetzt sind.

    Prüfen Sie auf der Webseite von SANA, wie die "neue Syrische Verfassung" aufgebaut ist und welche Machtfülle der Präsident demnach hat.

    Prüfen Sie, wieviele Geheimdienste es in Syrien gibt und wie diese mit politischen Oppositonellen umgehen.

     

    Es ist nicht hinreichend zu sagen, die Opposition würde auch Verbrechen begehen und deswegen müsse man auf Seite Assads sein.

    Man muss sich schon die Mühe machen, sich die Gesamtsituation anzuschauen.

    Wenn man dies tut, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass in Syrien ein Diktator autokratisch herrscht und das Volk Mitbestimmung will.

     

    Und wo Sie den Vergleich zu Deutschland gezogen haben: Artikel 20 GG erlaubt uns ausdrücklich den Widerstand gegen solcherlei Regentschaftsversuche.

  • A
    Ant-iPod

    Ich frage mich, wie schlimm die Dummheit des Regimes eigentlich ist?

    Militärisch ist dieser Konflikt seit Monaten nicht zu gewinnen. Wesentliche Erfolge von Assad's Armee oder der Schabiha sind nicht zu verzeichnen - außer natürlich, man empfindet den Tod von über 20.000 Syrern, die umfassende Zerstörung ganzer Stadtteile, oder den wirtschaftliche Niedergang des Landes etc. als Erfolg.

     

    Es muss doch auch dem dümmsten anzunehmenden Regierungschef klar sein, dass dieser Konflikt letztlich nur politisch gelöst werden kann.

    Hierzu passiert in Syrien unter Assad aber offensichtlich rein gar nichts.

    Es ist doch der blanke Hohn, seinen Vizeregierungschef in Moskau verkünden zu lassen, man wäre bereit zu verhandeln - ohne konkrete Angebote - und gleichzeitig die Luftangriffe massiv auszuweiten.

     

    Diese Vorgehensweise stürzt das Land immer tiefer in die Katastrophe, lässt die Sitten weiter verrohen, die Gewalt eskalieren, erhöht das Risiko von Racheakten, zerstört Privateigentum und Infrastruktur, vernichtet den Wohlstand des Landes etc.etc.etc. - das ist so unfassbar verantwortungslos und asozial, dass man es mit Worten gar nicht ausdrücken kann.

     

    Das ist keine Verteidigung des Landes gegen ausländische Intervention - und war es auch nie - denn wenn dies die Ursache für das Problem wäre und es dem Regime um syrische Eigenständigkeit ginge, könnte es jederzeit Reformen durchführen und der "bösen Feindpropaganda" dadurch die Grundlage entziehen. Dies geschieht aber nicht.

    Dem Regime geht es um die Privilegien der Assad's, der Machloufs und ihrer Günstlinge. Das Volk ist denen völlig egal - diese führen sich auf wie Kolonialherren, denen es nicht passt, dass ihre Verfügungsmasse gegen die Zustände rebelliert.

  • W
    Wolf

    Zur Erinnerung für jene die immer noch glauben, in Syrien gäbe es einen Bürgerkrieg: In Libyen und Syrien handelt es sich um ausländische militärische Aggressionen; Kriege mit Hilfe ausländischer und einheimischer Kollaborateure. Quelle: http://hinter-der-fichte.blogspot.de/2012/08/libyensyrien-nato-schnittmuster-versagt.html

  • BG
    Bernd Goldammer

    Hier eine Fiktion zum Nachdenken! Es ist 4 Uhr in Frankfurt am Main. Rebellen aus dem Ausland haben sich im dicht bewohntesten Viertel der Stadt verschanzt. Von hier aus gehen sie militärisch gegen den deutschen Staat vor. Polizeistationen fliegen in die Luft. Tagsüber werden Behörden und Banken angegriffen. Und wenn die Bundeswehr ihr Territorium verteidigen will, ziehen sich die Söldner wieder in die hiesigen Wohngebiete zurück. So nehmen sie die Zivilbevölkerung als Schutzschilde. Oder sagt man besser als Geiseln? Hier warten sie mit Stinger Raketen auf Abwehrreaktionen aus der Luft. Fiktiv: Der russische Geheimdienst versorgt die Söldner fast zeitgleich mit Informationen der Glonas Satelliten. Wie würde Deutschland reagieren? In Syrien ist das alles Realität. Das Land ist sicher keine Demokratie aber eben auch kein al-Qaida Staat. Wer gibt ausländischen Mächten eigentlich das Recht bewaffnete Soldaten in syrische Wohngebiete zu schicken? Das ist ein klarer Bruch des Völkerrechtes, gegen den sich jeder Staat wehren muss! Um seiner selbst Willen. Wer die Massenerschießungen zu verantworten hat, kann in Wirklichkeit doch auch niemand sagen. Kriegsverbrechen in der Uniform des Gegners sind leider eine grauenvolle Variante des modernen Bürgerkrieges. Ausländische Propagandainstitute planen doch mit den Leichenfunden. Terminlich scheinen sie jedenfalls bestens vorbereitet. Die Flüchtlinge im Libanon und in der Türkei kommen übrigens aus den besetzten Wohngebieten. Es gibt nur eine Antwort:Die Welt braucht ein neues Nürnberg. Und spitzenmäßige Ermittler, die sich am aktuellen Völkerrecht orientieren. Wieso deutet die TAZ so schwerwiegende Verbrechen einfach zum Nachteil des Assad Regimes um? Das ist doch schäbige Kriegsagitation.