piwik no script img

Kreativer Eintopf

Die Vereine „Lesen und Schreiben“ und „Kreisel“ wollen kindliche „Lernschwierigkeiten“ ganzheitlich angehen  ■ Von Alexandra Frank

„Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Kinder beispielsweise Leseschwierigkeiten haben“, sagt Lerntherapeut Jochen Klein. Der Geschäftsführer der beiden Hamburger Vereine „Lesen und Schreiben“ und „Kreisel ... für das Leben mit Kindern“ will Kindern mit Lernstörungen und deren Eltern Unterstützung bieten. Um klassische Nachhilfe geht es dabei allerdings nicht, sondern vielmehr darum, das Problem „Lernschwierigkeiten“ ganzheitlich an der Wurzel zu packen.

„Deshalb sprechen wir zunächst mit Eltern und Lehrern und beobachten anschließend mehrere Stunden lang das Kind beim Spielen und bei Gesprächen, bevor wir mit unserem eigentlichen Programm anfangen“, erzählt Klein. Manchmal stelle sich schon beim Beobachten heraus, dass mangelnde Bewegung oder Hörschwierigkeiten die Ursache für schulische Probleme sind.

Dementsprechend setzen die Kurse an ganz unterschiedlichen Punkten an. Klein erzählt von einem Kind, dessen Eltern eigene Schulängste offenbar an den Nachwuchs weitergaben. Da ging es zunächst nur darum, diese Angst zu nehmen. Oder, wie in einem anderen Fall, das Selbstbewusstsein zu stärken: Gerade mal fünf Buchstaben kannte dieses Kind, in der Schule konnte es damit nicht mithalten. „Indem wir dem Kind am Anfang nur Aufgaben mit diesen fünf Buchstaben stellten“, erklärt Klein, „erlebte es erstmals Erfolgserlebnisse“ – wichtig für spätere Fortschritte. Der Umgang mit Sprache und Schrift gehört für den Therapeuten genauso ins Programm wie Bewegungsübungen, Entspannung und Wahrnehmungsförderung. „Wir wollen schulisches Lernen nicht nur als isolierte Fähigkeit trainieren, sondern dem Kind helfen, die Lernschritte und Erfahrungen zu machen, die es dafür braucht“, sagt Mitarbeiterin Ute Dorendorff.

Beschäftigt sich der vor 15 Jahren gegründete Verein „Lesen und Schreiben“ mit den betroffenen Kindern selbst, richtet sich „Kreisel“ an die andere Seite: Gemeinsam mit Ehefrau Margarita, einer ausgebildeten Hebamme und Familientherapeutin, entwickelte Klein Seminare und Fortbildungsausbildungen für Pädagogen, die sich mit Kindern beschäftigen, die Lernstörungen haben. Dazu gehört auch eine dreijährige Zusatzausbildung zum Integrativen Lerntherapeuten.

Die berufsbegleitenden Kurse umfassen neurologische, psychologische und pädagogische Aspekte und vermitteln dabei, wie man Körpergefühl, Entspannungstraining, Sprachgefühl oder auch Orthographie der Kinder fördern kann. „Ganz wichtig ist dabei die Verknüpfung von Unterricht mit viel Praxis“, betont Margarita Klein. „Für viele Teilnehmer steht am Ende der Fortbildung die Gründung einer eigenen lerntherapeutischen Praxis.“ Weil die Weiterbildung des Kreisel e.V. vom Fachverband für Integrative Lerntherapie (FiL) anerkannt ist, sind die Absolventen dazu berechtigt, den Titel „Lerntherapeut FiL“ zu tragen. Voraussetzung für die Fortbildung ist allerdings, dass man bereits zuvor in einem pädagogischen Beruf tätig war.

„Wir alle sind beruflich oder privat mit Kindern konfrontiert und wollen denen, die Lernschwierigkeiten haben, gezielter helfen können“, fasst Michaela gr. Darrelmann, die seit zwei Jahren den Kurs besucht, das Anliegen der überwiegend weiblichen Kursteilnehmenden zusammen. Und Mechthild Wesjohann betrachtet den Bezug der Zusatzausbildung zu ihrem eigentlichen Berufsfeld, der Ergotherapie, als „Eintopf, nicht als Rezept“.

Ein Bild, dem die übrigen Teilnehmer nur zustimmen können: Es gehe weniger darum, die in den Blockseminaren gewonnen Erkenntnisse nach einem festgelegten „Rezept“ sofort einzusetzen. Sie würden vielmehr einen kreativen „Eintopf“ brauen, also das Gelernte Schritt für Schritt in die Praxis umzusetzen.

Informationen:

Eltern, die die Hilfe von Lesen und Schreiben e.V. in Anspruch nehmen möchten, können sich jederzeit an den Verein wenden: Große Bergstraße 261, 22767 Hamburg, Tel.: 040/38 19 00, Fax: 389 55 75. Die Kursdauer richtet sich nach den Bedürfnissen des Kindes. Der Verein berät auch über finanzielle Fördermöglichkeiten.

Die nächste dreijährige Zusatzausbildung Integrative Lerntherapie beginnt am 4. Februar 2002. Der Gesamtpreis für alle Unterrichtsteile (600 Stunden) und Materialien beträgt 7000 Euro. Alternativ kann man an einer einjährigen Seminarreihe zum Thema „Lesen, Schreiben, Rechnen mit allen Kräften unterstützen“ teilnehmen und diese später zu der dreijährigen Fortbildung ausbauen. Hier liegen die Kosten bei 2000 Euro für 200 Unterrichtsstunden. Kontakt: Kreisel e.V., Dr. Jochen Klein, Bugdahnstraße 5, 22767 Hamburg, Tel.: 040/38 61 23 71, Fax: 38 08 67 07, E-Mail: KreiselHH@aol.com.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen