Kreative Protestformen gegen Nazis: Andere Städte, andere Sitten
In Dresden blockieren Bürgerliche und Antifas gemeinsam den Aufmarsch von Neonazis. In Magdeburg kommt das Bündnis nicht zusammen. Warum ist das so? Eine Analyse.
Die Rufe schallen durch die Halle im Statthaus Böcklerpark in Berlin-Kreuzberg: "Nazis raus, Nazis raus". Antifas, Schüler und Familienväter haken sich unter, bewegen sich auf eine Polizeikette zu. Die drängt sie mit Schaumstoffknüppeln zurück. Es bleibt friedlich an diesem Nachmittag. Denn hier in Kreuzberg ist alles nur ein Spiel. Ein Training für die Blockade des Neonazi-Aufmarsches im Februar in Dresden.
Plakate, Banner und Flugblätter werben im Statthaus Böcklerpark für zivilen Ungehorsam in der sächsischen Landeshauptstadt. Für Magdeburg wirbt keines. Dabei werden die Rechtsextremen in Sachsen-Anhalt bereits am Samstag ihren Gedenkreigen eröffnen. Wie in Dresden wollen sie zu Hunderten die Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs instrumentalisieren. Im Kreuzberger Statthaus wissen das nur wenige. Und die zucken mit den Schultern. Zwei Großmobilisierungen? "Schaffste einfach nicht."
Mark Thärich* will er es dennoch versuchen. Der Antifa-Aktivist ist Mitglied eines Koordinierungskreises autonomer Gruppen, die mit Blockaden den Magdeburger Neonazi-Aufmarsch verhindern wollen. Einige Hundert Blockierer werden sie am Samstag sein, schätzt Thärich. "Überschaubar." Denn anders als in Dresden wird die Bürgerschaft Magdeburgs nicht mitziehen. Sie feiert symbolisch an anderer Stelle: mit einer "Meile der Demokratie" in der Innenstadt.
Mehrere tausend Magdeburger starben im Januar 1945, als das alliierte Bombardement im Krieg gegen die NS-Diktatur große Teile der Innenstadt zerstörte. Seit Ende der Neunziger benutzen die Neonazis das Ereignis für ihren "Trauermarsch", künden auf Transparenten vom "Bombenholocaust". Fast 1.000 Rechtsextreme waren es im vergangenen Jahr, bundesweit angereist.
Die Stadt wehrte sich spät. Erst seit 2009 organisierte sie eine Demokratiemeile. Bunte Stände von Vereinen und Initiativen, eröffnet von SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper. Die Rechten marschierten weiter.
Dabei zeigt das Jahr 2010, dass es auch anders geht. In Dresden kesselten Tausende mit Massenblockaden den Neonazi-Großaufmarsch am Bahnhof Neustadt ein. Bürger, Autonome, Parteipolitiker - gemeinsam, friedlich. Kein Stück bewegten sich die Nazis. Und das Erfolgsmodell Massenblockade schwappte fortan übers Land. In Berlin, Leipzig, Dortmund, selbst in der Brandenburgischen Provinz setzten sich Bürger gegen Neonazis auf die Straße. Nach Magdeburg schwappte die Welle nicht.
"Jede Stadt muss ihren eigenen Weg gehen", sagt Holger Platz, Ordnungsbeigeordneter und Veranstaltungsleiter der Demokratiemeile. Und der Weg Magdeburgs sei eben dieser. Ein Fest, fernab jeden Krawalls. Das habe sich bewährt. 5.000 Magdeburger seien im letzten Jahr gekommen, berichtet Platz, so viele wie zu keinen Gegenprotesten zuvor. Man habe eine eigenständige Feier der Demokratie etabliert, lasse die Nazis links liegen. In diesem Jahr erwartet er noch größere Beteiligung.
Für Mark Thärich von der Antifa ist das zu wenig. Gerade jetzt, vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März, bei der die NPD den Einzug ins Parlament anpeilt, sei Widerstand geboten. "Da reicht es nicht, mit einem Fest eine einzelne Straße zu besetzen", sagt Thärich. Es gehe um friedlichen Ungehorsam. Und seit Dresden seien Blockaden ja "nichts Ausgefallenes" mehr.
Dennoch: Dresden war ein Signal, keine Schablone, die sich problemlos multiplizieren lässt. Hier sammelten sich so viele Neonazis wie sonst nirgends in der Republik. Es ist der letzte deutsche Großaufmarsch der Szene, der größte in Europa gar, mit bis zu 7.000 Teilnehmern. Und in Dresden ballte sich der Frust darüber, mit alljährlichem Begleitprotest am Rande nichts dagegen ausrichten zu können. Es war dieser Leidensdruck, unter dem sich Autonome, Gewerkschafter, Politiker und Prominente auf ihren Ungehorsam einigten: gewaltfreie, aber entschlossene Massenblockaden, so ihr Aktionskonsens.
Auch in diesem Jahr läuft die Mobilisierung nach Dresden wieder gut. Es gibt Blockadetraining, einen bundesweiten Aktions- und einen Plakatiertag. Auch weil die Neonazis mit einer neuen, zweigleisigen Strategie versuchen, den Blockaden zu entkommen: mit einem Fackelmarsch am 13. Februar und einem Großaufmarsch am 19. Februar. Die Dresdner wollen beides verhindern. Mit regionalen Protesten am ersten Termin und mit den großen Massenblockaden am 19. Februar. Riesig sei das Interesse, heißt es vom Bündnis "Dresden nazifrei!". In diesem Jahr dürften die Blockaden noch größer werden.
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In Sachsen-Anhalt: An diesem Samstag wollen mehrere hundert Neonazis durch Magdeburg ziehen. Autonome Gruppen wollen den Aufmarsch blockieren. Ihre Anlaufstelle ist eine Kundgebung auf dem Alten Markt ab 11 Uhr. Auf dem Breiten Weg organisiert die Stadt ab 12 Uhr eine Meile der Demokratie mit Bühnen und Informationsständen von über 70 Vereinen und Organisationen.
***
In Sachsen: In Dresden planen Rechte im Februar zwei Aufmärsche, am 13. und am 19. Februar. Der zweite Termin soll dabei ein Großaufmarsch werden, bei dem besonders viele Neonazis erwartet werden. Ein breites Bündnis mobilisiert für Großblockaden.
In Magdeburg überwiegt derweil das gegenseitige Misstrauen. Nur um "Imagepflege" gehe es den Stadtoberen, sagen die Autonomen. Nur um Action gehe es den Autonomen, sagen die Stadtoberen. "Blockieren statt ignorieren", betitelt das Antifa-Bündnis seinen Protest mit Wink an die Stadt. Blockieren, heißt es aus der Verwaltung, sei immer noch Nötigung und so eine Straftat.
Pascal Begrich engagiert sich seit Jahren gegen Neonazis in Magdeburg. Als Geschäftsführer im Demokratienetzwerk "Miteinander", als Mitglied im Bündnis gegen rechts. Das Bündnis ruft am Samstag auch zur Demokratiemeile auf. Zum Blockieren fehle schlicht die Masse, sagt Begrich. Es gebe keine Protesttradition in Magdeburg, zudem sei das Problem Rechtsextremismus lange nicht im öffentlichen Bewusstsein gewesen. "Wir befinden uns aber auf einem guten Weg", sagt Begrich. Vielleicht, wenn sich diesmal noch mehr Menschen an der Demokratiemeile beteiligten, könne man im nächsten Jahr zu anderen "kreativen Protestformen" aufrufen.
Mark Thärich von der Magdeburger Antifa glaubt schon dieses Jahr an die Chance des zivilen Ungehorsams. Wenn die Masse fehle, müsse man eben auf Überraschung setzen. Mit einer Blockade an einer verabredeten Stelle soll der Neonazi-Aufzug gestoppt werden. "Zuversichtlich" sei er, sagt Thärich, dass das gelingt. Und dass am Ende ein Zeichen fürs nächste Jahr steht. Ein Zeichen, dass Blockaden machbar sind, auch in Magdeburg.
* Name geändert
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